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TieraktivismusTier­schüt­ze­r:in­nen müssen zahlen

Das Landgericht Oldenburg verhängt eine Geldstrafe gegen Ak­ti­vis­t:in­nen. Sie hatten im Schlachthof heimlich Bilder aufgenommen und veröffentlicht.

Landgericht Oldenburg: Im Prozess um heimliche Videos von einem Schlachthof wurde das Urteil verkündet Foto: Sina Schuldt/dpa

Zwei Tier­schutz­ak­ti­vis­t:in­nen von Animal Rights Watch (Ariwa), Anna Schubert und Hendrik Haßel, wurden vom Landgericht Oldenburg verurteilt. Grund war das unbefugte Betreten eines Schweineschlachthofs im Landkreis Vechta, um heimlich Bild- und Videomaterial aufzunehmen. Außerdem müssen die Angeklagten für die Schäden zahlen, die durch die Aufnahmen entstanden sind oder in Zukunft noch entstehen. Auch die Kosten außerhalb des Gerichtsverfahrens sollen sie übernehmen. Der niedersächsische Schlachthof Brand Qualitätsfleisch GmbH klagte, nachdem Schubert und Haßel im Mai 2024 das Gelände betreten hatten. Die Polizei erwischte sie nachts beim Versuch, zuvor installierte Kameras zur Dokumentation der Betäubungsanlage zu entfernen.

Die Ak­ti­vis­t:in­nen kritisierten die grausame und umstrittene, jedoch gesetzlich erlaubte Betäubungsmethode des Betriebs: Dabei werden die Tiere in einem Fahrstuhlsystem neun Meter tief in einen Schacht befördert, der anschließend mit hochkonzentriertem Kohlendioxid (CO2) gefüllt wird, um sie bewusstlos zu machen. Laut den Tier­schüt­ze­r:in­nen funktioniert diese Methode in der Praxis oft nicht reibungslos und löst bei den Schweinen Panik und Atemnot aus. Auf den Videoaufnahmen ist zu sehen, wie die Tiere unruhig schreien und in Todesangst versuchen, sich aus den Käfig-Gondeln zu befreien. Der Schlachthofbesitzer betonte, der Betrieb halte alle gesetzlichen Vorgaben ein und trage zudem das Tierwohl-Label.

Seit vergangenem Sommer verbreitet die Tierschutzorganisation Ariwa die Bilder der Schweinetötungsanlage über ihre Homepage. Auch der NDR und die ARD hatten das Bildmaterial verwendet. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wollte man damals wegen der Verbreitung der Bilder jedoch nicht verklagen, betonte der Hamburger Anwalt Walter Scheuerl, der die Brand Qualitätsfleisch GmbH berät, im Zuge des Zivilprozesses im Juni. Vielmehr wolle man diejenigen, die die Bilder auf illegale Weise beschafft hätten, persönlich zur Rechenschaft ziehen.

Das Videomaterial zeigt, dass die Tiere durch die CO2-Betäubung bereits vor der Tötung leiden

Der Kläger sieht sich in seinem Ruf geschädigt und forderte im Laufe des Prozesses von den Ak­ti­vis­t:in­nen persönlich einen Schadensersatz von 98.000 Euro. Man würde jedoch auf das Geld verzichten, wenn das Bildmaterial zukünftig nicht mehr verbreitet werde. Die Ak­ti­vis­t:in­nen lehnten mit der Begründung ab, die Öffentlichkeit habe ein Recht darauf, die Aufnahmen zu sehen. Schubert und Haßel sprechen von einer „Einschüchterungsklage“ und sehen einen Eingriff in die Pressefreiheit.

Das Landgericht gab der Brand Qualitätsfleisch nun jedoch recht. Das Gericht in Oldenburg begründete seine Entscheidung damit, dass die Ak­ti­vis­t:in­nen Hausfriedensbruch begangen hätten, der nicht durch einen Notstand gerechtfertigt werden könne. Die Ak­ti­vis­t:in­nen sowie die Organisation Animal Rights Watch dürften außerdem die Schlachthof-Aufnahmen nicht mehr verbreiten.

Mitverantwortlich für Veröffentlichung

Der Aktivistin Schubert wurde nachgewiesen, dass sie die Aufnahmen selbst weitergegeben hat – aus Sicht des Gerichts macht sie das mitverantwortlich für die Veröffentlichung durch Ariwa. Bei Haßel blieb es beim Vorwurf des Hausfriedensbruchs. Zwar seien die Aufnahmen laut Gericht wichtig für die öffentliche Meinungsbildung, doch seien sie nicht mit dem Ziel entstanden, konkrete Rechtsverstöße zur Anzeige zu bringen. Veröffentlichungen durch die Presse sind vom Verbreitungsverbot ausgenommen – eine Unterscheidung, die die Ak­ti­vis­t:in­nen nicht nachvollziehen können. Das Gericht widersprach zwar der Behauptung des Schlachthofbetreibers, die Aufnahmen der Betäubungsanlage seien manipuliert worden – das dokumentierte Tierleid im Betrieb griff es jedoch nicht auf.

Das Videomaterial mache deutlich, dass die Tiere durch die CO2-Betäubung bereits vor der Tötung enormes Leid sowie „Atemnot, Panik und Schmerzen“ erfahren, so Haßel, die Gesellschaft müsse über diese Standard-Schlachtmethode in Deutschland informiert werden.

Dass diese legal sei, sei ein „völliger Skandal“, sagt Schubert nach Urteilsverkündung. Zudem stehe der „Erstickungskampf“ der Tiere in keinem Verhältnis zu den Vorwürfen des Hausfriedensbruchs. Zudem sehen die Ak­ti­vis­t:in­nen in der Einzelfallentscheidung eine Gefahr, dass diese Art der Berichterstattung durch ähnliche Rechtsprechungen in Zukunft gefährdet werden könne.

Die Schadenshöhe soll der Kläger noch beziffern und sie wird separat verhandelt. Der Streitwert von rund 140.000 Euro sei laut Verteidigung zu hoch und könnte die Beklagten in die Privatinsolvenz führen. Nikolaus Brand, Geschäftsführer des Schlachthofs, sieht im Urteil eine klare Entscheidung zugunsten seines Betriebs und eine Absage an das „Geschäftsmodell der selbsternannten Tierrechtler“. Die Rechtsordnung gelte auch für idealistisch motivierte Aktivist:innen, so Brand. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Tier­schüt­ze­r:in­nen kündigten an, dagegen in Berufung zu gehen.

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17 Kommentare

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  • Wie kann denn die Wahrheit zu Schadensersatzpflicht führen?

  • Möchte vielleicht der Betreiber der Anlage mal die Menschenwihl-Qualitäten seiner Betäubungsanlage ausprobieren?



    Schweine haben etwa den Intellekt eines drei- bis vierjährigen Menschenkindes. Vielleicht hat der Herr ja ein Kind in dem Alter, dem eine OP bevorsteht, da kann er sich die teure Narkose sparen, indem er sein Kind in den 9 m tiefen Schacht hinablässt. Und nach der - hoffentlich erfolgreichen - OP das Kind mal fragen, wie's denn so war.



    Ein Land, in dem solche Methoden erlaubt sind, hat die falschen Politiker und generell die falschen Fleischfresser.

    • @Wolfgang Peters:

      Bis in die 1950er Jahre wurde CO2 tatsächlich als Betäubungsmittel bei Operationen verwendet. Siehe "de.wikipedia.org/wiki/Kohlenstoffdioxid" .Allerdings dürfte dies kaum durch herablassen in einen CO2-gefüllten Schacht passiert sein.

    • @Wolfgang Peters:

      Und was hilft da? Ganz einfach: kein Fleisch essen!

  • Was anderes war aus Oldenburg zu erwarten?

  • Die Konstrukteure dieser Anlagen, die Zuständigen in den Genehmigungsbehörden, ihre Betreiber / Nutzer, ihre amtliche Betriebsaufsicht - die alle von diesen Qualen wissen - gehören vorgeführt und verklagt, und nicht die mutigen, empathischen Überbringer der schlechten Nachricht, die selbstlos die unzureichende öffentliche Kontrolle kompensieren!

    • @Lichtenhofer:

      Genau das, Lichtenhofer. Dass diese Betäubungsmethode überhaupt jemals legal wurde ist der Skandal.

  • Hoffentlich hilft die mediale Aufmerksamkeit der Klage und den angeklagten die Kosten zu stemmen.

    Das Urteil und die Begründung wiedersprechen sich einfach selbst:

    Hier wurde ein Betrieb und eine Tötungsmethode gefilmt, die den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Wenn das korrekt wäre und an der Methode nichts auszusetzen ist, dann muss doch der Viehhalter nicht fürchten, dass dadurch sein Ruf gefährdet ist, bzw. kann doch dadurch dann kein Schaden entstehen.

    Fast 100.000 € Schadenersatz. Wofür? Der hat doch nicht ein Schwein weniger verkauft durch die Aktion.

    Da ist doch ganz klar zu erkennen, dass hier im Grunde selbst den Viehzüchtern klar ist, dass da irgendwas nicht stimmt mit dem wie sie es machen, aber sich mal aufrichtig zu reflektieren ist einfach zu schmerzhaft. Die Wut am Boten auszulassen hingegen ist einfach.

    Schade für die Tiere.

  • Pfändungsschutzkonto einrichten, Schuldnerberatungsstelle aufsuchen, Insolvenzantrag stellen, nach drei Jahren ist alles vorbei und wenn man sich an alle gesetzlichen Vorgaben hält und sich eine entsprechende Vollzeitstelle für die Zeit sucht, geht der Tierleidproduzent mit nix, außer dem guten Gefühl "gewonnen" zu haben nach hause.

  • Dieses Urteil darf keinen Bestand haben. Andernfalls wird es unmöglich, derartige Zustände künftig zu dokumentieren und der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen.

  • Verkehrte Welt 😔

  • taz: *Auch der NDR und die ARD hatten das Bildmaterial verwendet. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wollte man damals wegen der Verbreitung der Bilder jedoch nicht verklagen, betonte der Hamburger Anwalt Walter Scheuerl, der die Brand Qualitätsfleisch GmbH berät, im Zuge des Zivilprozesses im Juni.*

    Mit dem NDR und die ARD möchten sich der Schlachthofbesitzer und der Hamburger Anwalt wohl lieber nicht anlegen, also hält man sich an zwei Tierschutzaktivist:innen von Animal Rights Watch.

    Wenn der Schlachthofbesitzer sagt, dass sein Betrieb sich an alle gesetzlichen Vorgaben halte und zudem sogar das Tierwohl-Label trage, dann fragt man sich doch, weshalb der niedersächsische Schlachthof Brand Qualitätsfleisch GmbH sich über das Bild- und Videomaterial so aufregt und sogar einen Anwalt einschaltet.







    taz: *Das Gericht widersprach zwar der Behauptung des Schlachthofbetreibers, die Aufnahmen der Betäubungsanlage seien manipuliert worden – das dokumentierte Tierleid im Betrieb griff es jedoch nicht auf.*

    Wenn das Landgericht Oldenburg auf 'das dokumentierte Tierleid im Betrieb nicht einging', dann sollte der NDR oder die ARD da vielleicht noch mal "drauf eingehen".

    • @Ricky-13:

      „Mit dem NDR und die ARD möchten sich der Schlachthofbesitzer und der Hamburger Anwalt wohl lieber nicht anlegen, also hält man sich an zwei Tierschutzaktivist:innen von Animal Rights Watch.“

      War auch mein Gedanke

      „Wenn das Landgericht Oldenburg auf 'das dokumentierte Tierleid im Betrieb nicht einging', dann sollte der NDR oder die ARD da vielleicht noch mal "drauf eingehen".“

      Schöner Gedanke, dafür zahl ich sogar gern Rind-funk-gebühren 🐮🐷🪿

  • Gibt es ein Spenden Konto/ Spenden Wallet Adresse (Btc, Eth, Ltc, Sol usw)?



    Man muss die ja jetzt damit nicht allein lassen...

  • Der größte Skandal ist doch was für grausame " Verfahren " hier auf deutschem Boden im Jahre 2025 zur Schweinetötung staatlich genehmigt werden ! Fleisch, welches durch den Stress der Tiere doch ungenießbar für den Menschen wird, abgesehen von den ganzen Antibiotika während der Aufzucht !

    • @Alex_der_Wunderer:

      Das ist tatsächlich der eigentliche Skandal, der aber vom Gericht nicht aufgegriffen wurde, denn Richter halten sich nur streng an die geltenden Gesetze. Wenn man aber nur Gesetze 'abarbeitet', ohne sich das wirkliche Problem einmal genau anzuschauen, dann geht das mit Künstliche Intelligenz (*KI-Richter*) sicherlich schneller und besser.

      Und wie konnte der niedersächsische Schlachthof Brand überhaupt das Tierwohl-Label erhalten (?), denn tiergerechte Bedingungen in der Tierhaltung, bei Tiertransporten und bei der Schlachtung sind die wichtigsten Kriterien des Tierwohls. Der Begriff „Tierwohl“ ist in Deutschland aber ohnehin weder gesetzlich definiert noch markenrechtlich geschützt und hat mit einem staatlichen Tierwohl-Label auch nichts zu tun. Entwickelt wurde die Kennzeichnung „Tierwohl“ nämlich von der 'Initiative Tierwohl', einem Zusammenschluss der Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und der Lebensmittelketten Aldi Nord/Süd, Edeka/Netto, Kaufland/Lidl, Rewe/Penny.

      Kritik am Tierwohl-Label gibt es schon lange von Tierschutzorganisationen, die stattdessen die Einführung einer verpflichtenden Haltungskennzeichnung fordern.

      • @Ricky-13:

        Mit Tierwohl in unserem Land soll sich ja Sigmar Gabriel, der auch so gut mit dem [Schweine] Unternehmen der Tönnies Holding kann, auskennen....