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Tiefe Risse im serbischen Block

■ Milosevic erneuert Kritik am Führer der selbsternannten Republik Krajina und verkündet das Ende des Krieges War Abschuß des EG-Hubschraubers Teil eines Putschversuchs?/ UN beschließt Entsendung von 50 Beobachtern

Belgrad (afp/dpa) — In Jugoslawien haben sich die Risse im serbischen Block am Donnerstag vertieft. Nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Kadijevic, dessen Amt der Generalstabschef der Armee Adzic vorübergehend übernahm, übte der serbische Präsident Slobodan Milosevic heftige Kritik an dem Führer der selbsternannten serbischen Republik Krajina, Milan Babic. Milosevic beschuldigte Babic, den Krieg nicht beenden zu wollen, weil er sich gege den UN-Plan wende. Unterdessen teilte der stellvertretende jugoslawische Verteidigungsminister Stane Brovet nach Angaben der Belgrader Tageszeitung „Borba“ dem UN-Sondergesandten für Jugoslawien, Cyrus Vance, mit, in der Armee habe es einen Putschversuch gegeben. Der Abschuß des EG-Hubschrauber, bei dem fünf EG-Beobachter getötet wurden, sei Teil dieses Putschplanes. Trotz dieses schweren Zwischenfalls beschloß der UN-Sicherheitsr die Entsendung von 50 weiteren UN-Beobachtern, die den möglichen Einsatz von Friedenstruppen der Vereinten Natonen sondieren sollen. Die Militärbeobachter sollen binnen einer Woche ihre Arbeit aufnehmen. Ihre Aufgabe ist es, über die Einhaltung des Waffenstillstandes zu wachen, der am vergangenen Freitag in Kraft getreten ist. Nur wenn die Feuerpause andauert, sollen 10.000 UN-Friedenssoldaten in die kroatischen Krisengebiete entsandt werden. Der Sicherheitsrat forderte die Konfliktparteien auf, „alle notwendigen Maßnahmen“ für die Sicherheit des UN- und EG-Personals zu ergreifen.

Die Bundesarmee verteidigte sich unterdessen damit, daß die EG-Hubschrauber keine Erlaubnis hatten, in den jugoslawischen Luftraum einzudringen. Die Belgrader Mlitärführung sei von dem Abflug der Beobachter mit Ziel Zagreb nicht informiert worden, erklärte der stellvertretende Generalstabschef der Bundesarmee, General Raseta.

Rästelraten herrscht um den scharfen politischen Schwenk des serbischen Präsidenten Milosevic, der die Haltung des Krajina-Führers Babic, der die Stationierung von UN- Friedenstruppen auf dem Gebiet „seiner Republik“ ablehnt, als „exrem unverantwortlich“ bzeichnete. Mit dem Schutz der serbischen Minderheit in Kroatien durch UNO-Friedenstruppen sei das serbische Kriegsziel erreicht. Eigentlich hatte Milosevic seinen Anhängern ein Großserbien mit allen in Jugoslawien lebenden Landsleuten versprochen. Milosevic weiß aber genau, daß Kroatien die Abspaltung eines Drittels seines Territoriums und seinen Anschluß an ein Großserbien nicht hinnehmen würde. Weiter dürfte ihm klargeworden sein, daß in diesem großserbischen Staat sein eigenes Volk in die Minderheit geriete. Über die riesigen Wirtschaftskräfte zur dauerhaften Unterdrückung der Mehrheit (Kroaten, Albaner, Moslems und Ungarn) verfügt die serbische Nation aber nicht. Das Umdenken Milosevics dürfte auch durch den wachsenden Widerstand unter den Serben ausgelöst worden sein, für ihre Landsleute in Kroatien in den Krieg zu ziehen.

Ob Milosevic die neue Position Serbiens überall durchsetzen kann, ist noch nicht ausgemacht. Die Serben in Kroatien hat er offen aufgerufen, die widerspenstigen politischen Führer zu stürzen, die auf Großserbien beharren. Auf der anderen Seite wollen sich die Serben in der Republik Bosnien-Herzegowina in Form einer eigenen Republik abspalten. Zwei neue und schwere nationale Konflikte warten auf ihn: Die zwei Millionen entrechteten Albaner in der serbischen Provinz Kosovo begehren ebenso auf wie die mehrere hunderttausend Menschen zählende moslemische Minderheit in Südserbien.

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