Tibetanisches Kochen & Ayurveda-Massage: Instant-Erleuchtung in Dharamsala

Die indische Stadt ist beliebter Wallfahrtsort für spirituelle Rucksacktouristen. Ein Geheimtipp, von dem allzu viele schon gehört haben

Tibetanischer Mönch beim Ordnen des Schals, Dharamsala Bild: dpa

Der kleine indische Ort am Fuße des Himalaja ist seit den Sechzigerjahren Zufluchtsstätte der Exiltibeter. In Dharamsala befindet sich auch der Sitz des Dalai Lama und der tibetischen Exilregierung. Man kann von hier weit in die nordindische Tiefebene hinabschauen, im Rücken den Himalaja. Eine Traumlandschaft. Buddhismus prägt die obere Stadt Dharamsala. Seit einigen Jahren ist die Stadt auch ein beliebter Wallfahrtsort für spirituelle Rucksacktouristen. Ein Geheimtipp, von dem allzu viele schon gehört haben. Von Delhi sind es zwölf Stunden mit dem Nachtzug bis Panthakot, dann noch mal vier Stunden mit einem Bus oder Taxi die Berge hinauf. Man schlingert an Abgründen entlang, der Fahrer nimmt mit Höllengeschwindigkeit die Kurven; "Please pray for us!" steht auf dem Bus. Die Anreise ist eine Strapaze, und dennoch kommen sie alle hierher.

Der Boom der westlichen Besucher sorgt dafür, dass überall in Dharamsala gebaut wird. Frühmorgens schon setzen die Presslufthämmer ein, während die heiligen Kühe in aller Seelenruhe in Abfallcontainern nach Essbarem suchen. Die Betonmischer rotieren wie Gebetsmühlen. Taxis und Rikschas hupen entnervt. In den Cafés dröhnen die Kaffeemaschinen für den ersten Latte macciato. Die Rucksacktouristen sind schon wach und schlendern die kleine Geschäftsstraße hinunter, in der indische Händler und tibetische Handwerker ihre Waren ausstellen. Die Touristen kommen aus Interesse am Buddhismus oder aus Anteilnahme am politischen Schicksal der Tibeter, vielleicht auch mit dem Wunsch nach einer Instant-Erleuchtung, bevor das Semester in Europa weitergeht. Entsprechend eifrig bieten die Einheimischen zahllose Kurse an, die innerhalb von fünf Tagen mit den Grundlagen der buddhistischen Meditation vertraut machen, mit tibetischem Kochen, Ayurveda-Massage, Reiki, Handlesen oder chinesischer Astrologie. Gewiss kann man das alles auch problemlos in Berlin-Kreuzberg bekommen, aber hier ist es einfach authentischer, vielleicht auch aufregender.

"Ein Kurs, der dein Leben verändern kann!", versprechen die Zettel an den Hauswänden. Auch Sudoku- und Schachturniere sind im Angebot, Contact Improvisation, Treffen der Anonymen Alkoholiker und Schnupperkurse in Obertongesang. Wer von seinen spirituellen Fortschritten in der Heimat erzählen oder einfach mal wieder chatten möchte, der findet eine rasche Verbindung in den zahllosen Internetcafés von Dharamsala. Die Souvenirläden bieten tausendfach Postkartenansichten vom Dalai Lama, tibetische Sinnsprüche, Aufkleber, Schals, Hemden, Hosen, Buddhas als Handschmeichler, Fotoapparate. Richard Gere und Pierre Brosnan waren übrigens auch schon hier, sie lächeln von der Speisekarte der Pizzeria. Selbstverständlich sind sich alle Touristen in der Ablehnung dieses spirituellen Massentourismus einig. Man begegnet einander mit mühsam gebändigter Empörung, liest die T-Shirt-Aufschriften "Lichtgestalt" und "TSC Memmingen" und schüttelt unmerklich den halberleuchteten Kopf. Man steht in der "German Bakery", kauft Vollkornbrot und sucht, von Kopf bis Fuß in tibetische Gewänder gehüllt, vor den anderen Touristen den Eindruck zu erwecken, schon seit Jahren hier ansässig zu sein. Da der Ort aber so klein ist, begegnet man sich unweigerlich wieder beim Biertrinken oder im Kellerkino, das die neuesten Filme aus dem Westen zeigt. Abends mühen sich auf der engen Kreuzung zwei Reisebusse, aneinander vorbeizukommen. Die Neuankömmlinge, die hier aussteigen, stehen verwundert da, misstrauisch beäugt von den bereits eingeweihten Touristen, deren Grundkurs in tibetischer Meditation in zwei Tagen schon zu Ende geht.

Den Tibetern ist dieses emsige Treiben offensichtlich gleichgültig. Sie ähneln, vor allem weil viele das gleiche Brillengestell tragen, verblüffend dem Dalai Lama, schlurfen in ihren orangeroten Gewändern durch die schmalen Gassen, telefonieren mit ihren Handys und treffen sich abends beim Billard, das sie mit einer Ruhe und Konzentration spielen, die nur in jahrelanger Meditation zu erlangen sind. Im Hof des Tsuglakhang-Tempels, der auch als Sitz der Exilregierung dient, bläst eine Schweizer Touristin ihr depressives Alphorn. Die Mönche lassen sie achselzuckend gewähren. Vielleicht will sie auf sich aufmerksam machen. Vielleicht will sie auch nur weitere Touristen nach Dharamsala locken.

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