Thunberg, Musk und der Gaspreis: Heuchelei und Leckerli
Thunberg lästert über kleine Pimmel, Musk fordert Qualität, und meine Hündin ist zwar klüger, aber auch nicht unbestechlicher als mancher Mensch.
W ir müssen über Doppelzüngigkeit und Heuchelei reden“, sagt Frau Dr. Bohne, meine Assistentin, eine hochintelligente Mischung aus Rauhaardackel und Deutschem Jagdterrier. „Diese Eigenschaften scheinen mir doch auch in der letzten Woche des sich dem Ende zuneigenden Jahres die ausgeprägtesten bei euch Menschen zu sein.“
„Wie kommen Sie darauf?“, frage ich. „Nun, nehmen wir Greta Thunberg. Sie hat einem Mann namens Andrew Tate, einem ehemaligen Kickbox-Champion und Möchtegern-Playboy, böse Worte geschrieben.“ „Ich weiß. Na und?“, antworte ich. „Er hat ihr via Twitter angekündigt, eine Liste seiner 33 Autos zu schicken. Und darauf hat Thunberg geantwortet, er möge das doch an smalldickenergy@getalife.com senden. Ich glaube, ich muss das nicht übersetzen, oder?“
Bohne schüttelt den Kopf. Sie seufzt. „Also, ich habe keinen Zweifel an der Kleinpimmeligkeit dieses Typen“, sagt sie. „Überhaupt teile ich die Erkenntnis, dass Menschen, insbesondere Männer, häufig kleine, mickrige Körperlichkeiten – Hirn, Schwanz, Hände – mit großen, protzigen Dingen – Autos, Jachten, Knarren – kompensieren. Und ich finde es auch in Ordnung, das diesen Leuten verbal um die Ohren zu hauen.“ Sie überlegt. „Aber dass dies jetzt ausgerechnet Leute feiern, die sonst absolut empört sind über ‚body shaming‘ und ständig über ‚body positivity‘ reden, das ist doch ziemlich doppelzüngig, finden Sie nicht?“ Sie guckt mich fragend an.
Ich nicke. „Sehe ich auch so. Übrigens: Die Personifikation von Doppelzüngigkeit sind Doppelagenten. Haben Sie, werte Frau Dr. Bohne, schon mitbekommen, dass ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes möglicherweise geheime Informationen an Russland weitergegeben hat?“
Tadelnd fliegen die Hängeohren
„Hab ich“, sagt Bohne. „Wahrscheinlich lukrative Doppelzüngigkeit. Was hat er dafür bekommen? Leckerlis? Wurde er erpresst? Oder ist er einfach ein Putin-Fanatiker?“ Tadelnd schüttelt sie ihr Köpfchen, ihre Hängeohren fliegen dabei hin und her. „Ihr Menschen seid schon eine seltsame Spezies! Wobei ich nicht verschweigen will, dass wir Hunde auch durchaus anfällig für Bestechung sind.“
Bohne und ich sind überzeugt, dass das Doppelzünglein der Woche, ach was, des Jahres!, Wladimir Putin ist. Bricht mitten in Europa einen Krieg vom Zaun, sagt aber, dass man das nicht Krieg nennen dürfe. „Diese Woche hat er mehrere Kriegsschiffe eingeweiht“, berichtet meine Hündin. „Wie nennt er die Kähne? Ausflugsdampfer?“ Sie kichert bellend. „Depperter Volltrottel!“, murmelt sie, woran man merkt, dass sie durch und durch Wienerin ist.
Apropos Russland: Die Gaspreise sind diese Woche gefallen. Milde Temperaturen, niedriger Verbrauch. „Aber für uns wird’s trotzdem nicht billiger“, sage ich verärgert. „Ja, weil die Versorger langfristige Verträge abschließen“, antwortet Bohne. „Die Verbraucher werden es, wenn überhaupt, in ein paar Monaten spüren.“ Jetzt bin ich es, der den Kopf schüttelt. „Wenn was teurer wird, wird das sofort weitergegeben. Aber wenn etwas billiger wird, dauert es. Das ist so heuchlerisch!“
„Genauso heuchlerisch wie die Mail von Elon Musk an die Tesla-Mitarbeiter“, findet Bohne: „Sie sollten sich doch bitte richtig ins Zeug legen und Qualität produzieren, denn Qualität setze sich durch.“ „Hat er nicht Unrecht“, sage ich. „Ja“, stimmt mir Bohne zu, „aber er tut das doch nur, damit der Kurs der Tesla-Aktie, der schneller abgestürzt ist als ich meinen Napf leer fresse, wieder steigt! Den Absturz hätte er verhindern können, indem er nicht so viel Blödsinn redet und twittert!“
„Da haben Sie nicht Unrecht“, lobe ich meine Assistentin. „Aber die Mail scheint zu wirken, der Aktienkurs ist wieder gestiegen.“
„Apropos steigende Kurse: Können Sie bitte meinen Napf füllen? Wird Zeit für ein festliches Mahl zum Ende des Jahres! Immerhin hat Dr. Drosten die Pandemie diese Woche für beendet erklärt, und wir könnten jetzt auch über Autoritätsgläubigkeit von Deutschen und Hunden reden, aber das machen wir dann im nächsten Jahr.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?