Thomas de Maizière über Sicherheitspolitik: „Dampfgeplauder weckt Enttäuschung“
Verteidigungsminister Thomas de Maizière über ein Eingreifen in Syrien, deutsche U-Boote für Israel und seine „sensiblen Soldaten“.
taz: Herr de Maizière, Generäle wie einfache Soldaten beklagen sich bitterlich darüber, dass die Bundeswehr zu wenig Akzeptanz genießt. Haben sie Recht?
Thomas de Maizière: Ach ja. Das Bedürfnis nach Zuwendung mancher in der Bundeswehr gleicht einer nach oben offenen Richterskala.
Die Bundeswehr ist wehleidig?
Kabinett: Thomas de Maizière, 58, ist seit März 2011 Bundesminister für Verteidigung. Als solcher verantwortet er unter anderem die Bundeswehrreform, eines der größten Projekte der schwarz-gelben Koalition. Der CDU-Politiker ist eine der wichtigen Stützen von Kanzlerin Angela Merkel. Sie machte ihn 2005 in der Großen Koalition zum Chef des Kanzleramtes. In der schwarz-gelben Regierung wurde de Maiziere im Oktober 2009 Innenminister, bevor er auf Geheiß Merkels die Nachfolge des wegen der Plagiatsaffäre zurückgetretenen Karl-Theodor zu Guttenberg antrat.
Karriere: Der CDU-Politiker begann seine politische Karriere in Ostdeutschland. 1990 war er Berater der letzten DDR-Regierung. Danach wurde er erst Staatssekretär im Kultusministerium, später Chef der Staatskanzlei in Mecklenburg-Vorpommern. Dieses Amt übernahm er ab 1999 auch in Sachsen. Bevor ihn Merkel in den Bund holte, war de Maiziere in diesem Bundesland auch Finanz-, Justiz- und Innenminister.
Familie: Thomas de Maiziere wurde 1954 in Bonn geboren. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und er lebt mit seiner Familie in Dresden. Von klein auf hat de Maiziere einen Bezug zur Bundeswehr: Sein Vater Ulrich war Berufsoffizier und von 1966 bis 1972 Generalinspekteur der Bundeswehr. Als solcher entwickelte er das Leitbild vom „Staatsbürger in Uniform“. US
Ich sage Soldaten oft: Übertreibt es nicht. Schaut auf die Faktenlage: Die Reputation der Bundeswehr wie des Soldatenberufs ist hervorragend. Entsprechende Umfragen weisen beidem seit Jahren Plätze unter den ersten Fünf oder Zehn zu. Das wäre in den 80er Jahren nicht denkbar gewesen.
Will der Verteidigungsminister diese Gelegenheit nicht nutzen, Wertschätzung für seine Truppe zu fordern?
Wahr ist: Die „postheroisch“ genannte deutsche Gesellschaft tut sich damit schwer, das Besondere am Soldatenberuf angemessen zu würdigen.
Das im Töten und Sterben besteht.
Es besteht darin, dass der katholische Militärbischof sagt, Töten und Sterben gehört dazu. Oder dass wir Tapferkeitsmedaillen an junge Soldaten verleihen, die in Afghanistan Kameraden unter Lebensgefahr aus einem Feuergefecht retten. Soldaten zeigen Tapferkeit im altmodischen und besten Sinne des Wortes. Aber dies ist fremdartig in unserer sicheren Welt, hier mitten in Europa. Für dieses Andersartige die richtigen Worte und Wertschätzung zu finden, ist eine Aufgabe.
Sie wollen, dass auch Deutschland eine Veteranenpolitik bekommt. Was heißt das?
Zunächst einmal verständigen wir uns gerade darüber, was ein Veteran überhaupt ist. Ein Soldat, der aus dem Einsatz kommt – oder jeder Soldat.
Wer daheim die Kaserne hütet, will auch gelobt werden.
Richtig. „Zwei-Klassen-Armee“ – auch darüber wird gerade heftig diskutiert. Ebenso wichtig ist die Frage: Sind nur diejenigen Veteranen, die verwundet an Körper oder Seele aus dem Einsatz wiederkommen? Ich glaube, auch diejenigen, die vielleicht sogar durch Erfahrungen gestärkt heimkehren, sind Veteranen. Nicht nur die Mühseligen und Beladenen sollen schließlich geehrt werden.
Wird denn ein Gedenktag mit Wimpeln, Fackeln und Sonntagsreden Akzeptanz schaffen?
Ein Veteranentag kann am Ende ein Teil einer Lösung sein, ja. Aber ich möchte keinen Muttertag für Soldaten etablieren. Nach dem Motto: Heute kaufen wir Mutti mal Blumen, knallen ihr aber morgen wieder die schmutzige Wäsche vor die Waschmaschine. Ein Gedenktag müsste eingebettet sein in Veteranenpolitik.
Feuerwehrleute, Notärzte oder Polizistinnen riskieren oft auch viel für die Gesellschaft.
Ich finde auch, dass die öffentliche Wertschätzung von Menschen, die am und mit dem Tod arbeiten, höher sein muss. Das betrifft die Krankenschwester, die im Hospiz arbeitet, wie den Kampfmittelbeseitiger, der die Bombe aus dem zweiten Weltkrieg auf der Baustelle entschärft. Und doch ist der Soldat der einzige, der gelobt, die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Nur vom Soldaten verlangen wir, dass er sich aktiv in Lebensgefahr begibt und im Auftrag der Politik sogar bereit ist zu kämpfen und notfalls zu töten.
Dient es der Akzeptanz des Militärs, wenn man die Rechte des Bundestags zur Entsendung der Bundeswehr einschränkt?
Sie verkürzen ein wichtiges Thema auf polemische Weise. Auf die Rechte des Parlaments bei der Entsendung der Bundeswehr sind wir stolz. Sie entlasten übrigens auch die Exekutive, weil der Bundestag politisch mit haftet. Wenn wir aber in einem Bündnis Kommandostrukturen und Logistik teilen und einzelne Länder bestimmte Funktionen, etwa die Luft-zu-Luft-Betankung, anbieten, dann muss sich das Bündnis darauf verlassen, dass das klappt – unabhängig davon, wer mit in einen Einsatz zieht. Dazu bedarf es früher Parlamentsentscheidungen.
...Vorratsbeschlüsse à la „der Bundestag stimmt den militärischen Notwendigkeiten des kommenden Jahres zu“?
Nein. Es geht darum, früh über die Bindung im Bündnis von Kapazitäten zu entscheiden. Schon beim Irakkrieg wäre es ehrlicher gewesen zu sagen: Überflugrechte und die Bereitstellung von Geheimdiensterkenntnissen gehören dazu, auch wenn wir nicht vor Ort mitkämpfen.
Die Nachrichten von Massakern in Syrien reißen nicht ab. Wird sich die Nato dem Ruf nach militärischem Eingreifen noch lange entziehen können?
Ich finde es schwer erträglich, dass irgendwelche Kaffeehausintellektuellen in der Welt den Einsatz von Soldaten fordern, ohne je darüber Rechenschaft ablegen zu müssen, was das bedeutet. An den Gräbern und bei den Trauerfeiern der Soldaten steht dann der Verteidigungsminister mit trauernden Hinterbliebenen. Ich sehe diese neue forsche Art von Anforderungen an das Militärische mit Sorge. Die ganze Last der Folgen wird dabei nicht genügend bedacht.
Das ist nicht die Aufgabe von Menschenrechtsinitiativen.
Aus rein menschenrechtlichem Engagement kann man aber keine Militäreinsätze durchführen. Wir müssen zusätzlich fragen: Nützt oder schadet eine Intervention? Wem helfen wir? Wie lange dauert das? Wie kommen wir da wieder heraus? Wie hoch sind die Kosten – an Menschen, und an Geld? Was ist die rechtliche Grundlage? Die Antwort auf all das kann dazu führen, dass wir im wörtlichsten Sinne macht-los zuschauen müssen. Dieses Dampfgeplauder von Leuten, die keine Verantwortung tragen, weckt in Regionen wie Syrien Erwartungen und verursacht eben dadurch auch furchtbare Enttäuschung.
Das Dampfgeplauder ist der Versuch, das entstehende Völkerrecht von der Responsibility to Protect mit Inhalt zu füllen. Schließlich erweitert das Prinzip der Schutzverantwortung den Begriff der staatlichen Souveränität um die Verantwortung, seine Bürger zu schützen.
Diese Schutzverantwortung ist ein neues, wichtiges völkerrechtliches Instrument. Aber dürfen wir es in Anspruch nehmen, wenn es nicht vom Sicherheitsrat gedeckt ist? Ist es ein Recht oder eine Pflicht? Ich sehe es als Recht an, nicht als Pflicht. Wir haben in Ruanda zugeschaut, wir haben in Simbabwe zugeschaut, wir schauen natürlich in Nordkorea zu. Allein die Betroffenheit über Fernsehbilder und Zeitungsberichte kann nicht darüber entscheiden, ob man eingreift oder nicht.
Sie möchten weiterhin unbewaffnete UNO-Soldaten die toten Zivilisten zählen lassen.
Das Mandat lautet „beobachten“. Wir haben von der Menschenrechtsbewegung gelernt, dass das Herstellen von Öffentlichkeit Wirkung hat. Es ist ein Unterschied, ob jemand ein flimmerndes Bild von irgendeinem Handy in die Welt schickt, oder ob wir einen UNO-Bericht haben. Das hat auch auf diejenigen eine Wirkung, die Gewalt ausüben. Das mag eine zornige Mutter in Syrien nicht unmittelbar überzeugen, aber politisch ist es so.
Beim Rüstungsexport ist die Bundesregierung weniger zurückhaltend. Stabilisieren nuklear aufrüstbare U-Boote für Israel die Region?
Wir befinden uns in der Kontinuität früherer Regierungen. Die U-Boote, die wir liefern, sind unbewaffnet. Die Bewaffnung liegt in der Verantwortung von Israel.
Warum muss die Bundesrepublik die U-Boote mitbezahlen?
Das ist ein Beitrag Deutschlands für die Sicherheit Israels. Deutschlands Sicherheit bestand vier Jahrzehnte auch auf nuklearer Abschreckung – von anderen für uns. Man mochte das damals für falsch halten, gefährlich und teuer – aber es war erfolgreich. Wenn unsere Sicherheitsdoktrin aber vierzig Jahre lang Abschreckung war, dann können wir anderen Staaten das Recht darauf nicht ohne weiteres absprechen.
Sie gelten als sehr loyal – zur Kanzlerin und zur Partei. Ist Loyalität in der Politik eine nützliche oder eine notwendige Eigenschaft?
Nützlich und notwendig. Sie können eine Institution nicht ohne Loyalität organisieren. Niemand ist gezwungen, Mitglied einer Regierung oder Fraktion zu sein. Wenn man aber dabei ist, muss man loyal sein, sonst ist man herzlich eingeladen zu gehen. Ausnahmen sind Gewissensentscheidungen, die übrigens aber gar nicht so häufig sind wie mancher Politiker behauptet.
Sie meinen die Gegner des Eurorettungskurses?
Ihre Interpretation. Es ärgert mich aber, dass in Deutschland die Unsitte zugenommen hat, als Teil eines Mehrheitssystems in ein Amt zu gelangen und dessen Privilegien auch gern zu nutzen – aber aus Gründen eigener Profilierung illoyal zu sein, um für sich selbst Fleißkärtchen zu sammeln. Das ist auch eine große Quelle von Politikverdrossenheit.
Die schwarzgelbe Koalition ist ein Musterbeispiel dafür, was Sie gerade beschreiben.
Ja, das könnte besser sein. Die zum Teil deutlich verbesserungsfähige Reputation unserer Koalition hängt nicht mit den Sachergebnissen, sondern mit dem Erscheinungsbild zusammen. Es gibt einen Lohn der Presse für Illoyalität, der nicht in Geld besteht, auch nicht in Wertschätzung, sondern in Publizität, was für manche in der Politik eine Droge ist. Es darf aber innerparteilich und in einer Koalition keine Prämie für Illoyalität und diese Art für Publizität geben. Wir haben derzeit bloß ein großes Glück: In der Opposition gibt es die gleichen Probleme.
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