■ Thomas Thielschs Dokumentarfilm Cross Over untersucht das Wirken kultureller Identität: Keine Heimat im Mutantenstadl
Das erste Bild macht Krach. Eine Blasmusikkapelle übt lautstark und ausgelassen. Dazwischengeschnitten werden aufeinanderprallende Waggons. So beginnt Cross Over, Thomas Thielschs erster Film seit Schluss Gegenschuss (1990). Doch was hier wie ein ironischer Kommentar zu dem wilden Durcheinandermusizieren wirkt, gibt gleichzeitig eine wichtige Bewegung des Films wieder. Cross Over dokumentiert und erzeugt selbst ein Aufeinanderprallen von Menschen, Traditionen, Sprachen und kulturellen Identitäten. Thielschs Film fragt danach, was aus dem Aufeinanderprall entsteht.
Dabei bedeutet die Musik von FSK und der Linzer Band Attwenger die ideale Ergänzung, denn die Bands präsentieren ihre Form des musikalischen und politischen Crossover. „Heimat-Musik“wird zur oszillierenden Bewegung zwischen unterschiedlichen Orten, zur Entdeckungsreise. Ein Konzertausschnitt von Attwenger erscheint wie eine Quersumme des Films.
Cross Over ist zuallererst eine Reise, und so werden wir selbst Teil des Grenzübertritts – Thielschs Film führt von Süddeutschland über die Schweiz nach Österreich und wieder zurück. Die Stationen heißen Basel, Kärnten, Linz und das Appenzeller Land. Überall entstehen Bezüge zu dem, was dort „Tradition“heißt oder was unter „Heimat“verstanden und vermittelt wird. Dabei kommt diese spannende Beschreibung ohne pittoreske Folklore und desavouierende Freakshows aus. Vielmehr stellt der Film eine aufrichtige Nähe zu seinen Figuren und Themen her, die nie auf Kosten einer analytischen Distanz geht.
Der Aufenthalt in Basel steht unter dem Zeichen der Basler Fasnacht, die sich als teils absurd-anarchisch, teils militärisch organisierter Spiegel unterschiedlichster gesellschaftlicher Einflüsse präsentiert: Beängstigendes Spießertum, skurrille Typen und Einzelgänger der Baseler Hausbesetzer-Szene kommen hier zusammen, um gemeinsam durchzudrehen.
Bei einem Kirchtagsfest in Kärnten, das von den Vorbereitungen bis zum Ende verfolgt wird, kommt die Beziehung zwischen den Generationen und das Aussterben der slovenischen Sprache in der Region zur Sprache. „Wozu brauche ich Tradition?“, wiederholt ein junger Mann die gestellte Frage, „Es gehört einfach dazu, die Frage stellt sich nicht.“
Vor dem Linzer Stahlwerk wird via Bildschirm eine Rede von Hermann Göring eingespielt: Wir stehen vor den ehemaligen Hermann-Göring-Werken. Cross Over heißt nicht zuletzt, Berührungen mit der Nazi-Vergangenheit zu entdecken. Und genau darin liegt der Reiz des Films – es geht um Verbindungspunkte, um die Frage nach Identität. Jan Distelmeyer Abaton
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