Thomas Mücke über die Gefahr von rechts: „Wir müssen Position beziehen“
Das Violence Prevention Network (VPN) leistet Extremismusprävention. Sollte die AfD mitregieren, will die Organisation kein Staatsgeld mehr annehmen.
Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Kommunal- und Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier auf dem Spiel steht: Wer steht für die Demokratie ein? Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um ihre Existenz?
taz: Herr Mücke, viele zivilgesellschaftliche Initiativen schauen gerade mit Sorge auf die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst und auf mögliche Wahlerfolge der AfD, die sich immer weiter ins Rechtsextreme radikalisiert. Ihr Violence Prevention Network (VPN), das in der Extremismusprävention tätig ist, teilt diese Sorge. Was befürchten Sie?
Thomas Mücke: Wir arbeiten jetzt seit 24 Jahren zum Thema Rechtsextremismus und engagieren uns gegen jede Gefahr, die von dieser Szene ausgeht, mit Präventions- oder Ausstiegsprojekten. Noch nie haben wir uns dabei Sorgen gemacht, dass eine Situation eintritt, in der Rechtsextreme politisch und parlamentarisch bestimmenden Einfluss gewinnen könnten. Das hat sich nun geändert, genau diese Gefahr ist jetzt akut. Und deshalb müssen wir reagieren. Wenn wir uns so intensiv mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigen, dann müssen wir jetzt Position beziehen.
Ihr Projekt hat nun einen Beschluss gefällt. Welchen?
Thomas Mücke, 65 Jahre, ist Pädagoge und Politologe. Er ist Mitgründer und Geschäftsführer des Violence Prevention Network (VPN), das Projekte der Deradikalisierung und Extremismusprävention betreibt. Über 150 Mitarbeiter*innen sind derzeit in acht Bundesländern sowie im europäischen Ausland und in den USA für das VPN tätig.
Sollte es wirklich so weit kommen, dass antidemokratische Parteien wie die AfD in Ländern mitregieren, werden wir keine Projekte mehr durchführen, die von Geldern oder Vereinbarungen mit einer solchen Regierung abhängig wären. Alles andere wäre ein kompletter Widerspruch zu unserer Arbeit. Diese besteht ja genau darin, die Demokratie zu stabilisieren. Und als zivilgesellschaftliche, demokratische Initiative brauchen wir ein demokratisches Gegenüber. Da können wir nicht mit Rechtsextremen kooperieren.
Und Sie sehen die AfD als antidemokratisch?
Wenn man sich so lange mit Rechtsextremismus beschäftigt, gibt es da leider keine Zweifel mehr. Und da die AfD inzwischen so breit verankert ist, verschärft das die Lage enorm. Rechtsextreme Narrative vergiften die gesellschaftliche Stimmung in unserem Land. Wir merken das auch in unserer Arbeit. Radikalisierte Jugendliche erklären uns: Wir vertreten doch die Position der Mehrheit – was wollt ihr? Das macht es sehr gefährlich, weil solche Stimmungen auch zu Gewalt gegen Andersdenkende führen können. Und wir merken auch, dass unsere Mitarbeitenden gerade sehr verunsichert sind und auch andere Träger deutliche Ängste artikulieren.
Wie zeigt sich das?
Es gab in der Vergangenheit immer mal wieder Bedrohungslagen, aber dass unsere Arbeit momentan so grundsätzlich infrage steht, das ist eine neue Qualität. Dass wir uns jetzt so positionieren, tun wir, weil wir ein sehr ernsthaftes gesellschaftliches Problem sehen.
Wenn sich Ihre Organisation tatsächlich aus Thüringen, Sachsen oder Brandenburg zurückziehen würde, würde das die Situation nicht noch verschärfen? Ließen Sie dann nicht Betroffene im Stich?
Ganz zurückziehen können wir uns natürlich nicht. Denn es ist absolut wichtig, dass zivilgesellschaftliche Aktivitäten gerade in diesen Ländern aufrechterhalten werden. Wir müssten dann im Einzelfall schauen, was möglich ist. Denkbar wäre, dass wir etwa auf lokaler Ebene, in Städten oder Landkreisen, Partner suchen, die demokratisch sind, um in Kooperation mit ihnen unsere Arbeit fortsetzen zu können.
Ihr VPN fordert auch die sofortige Einleitung eines Prüfverfahrens für ein AfD-Verbot. Warum?
In dem Moment, in dem die AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, muss aus unserer Sicht auch ein Verbotsantrag folgen. Ich selbst war früher gegen ein NPD-Verbot, weil die Partei keine politische Größe darstellte. Bei der AfD ist das nun anders. Wenn eine antidemokratische Partei eine derartige Macht bekommt und rechtsstaatliche Prinzipien ernsthaft in Gefahr bringt, muss sich die Demokratie als wehrhaft erweisen und dann auch repressiv auftreten, im letzten Schritt auch mit einem Verbot.
Aber ein Verbot würde gerade Ihre Arbeit nicht obsolet machen. Die rechtsextremen Akteure und ihr Gedankengut wären ja weiter da.
Ja, damit wäre das Demokratieproblem noch nicht gelöst. Aber es würde erst mal die Möglichkeiten der Rechtsextremen einschränken. Wir müssten aber natürlich weiterhin Angebote für Extremisten machen, gerade jüngere, und ihnen eine Brücke zurück zur Demokratie bauen. Unsere Projekte blieben weiter wichtig. Und deshalb kann ich auch nicht nachvollziehen, warum wir zum Beispiel immer noch kein Demokratiefördergesetz haben.
Die Ampelregierung hat das Gesetz längst beschlossen, aber die FDP blockiert es im Bundestag. Die Liberalen halten es für zu weitgehend: Es würden auch Projekte gefördert, die gegen legitime politische Kritik vorgingen, die Meinungsfreiheit eingeschränkt.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Wir und viele andere machen unsere Arbeit seit Jahren und haben dabei sehr viele Menschen von extremistischen, antisemitischen oder verschwörungsideologischen Einstellungen abbringen können. Und das wird jetzt alles infrage gestellt? Gerade in der aktuellen Situation, in der Extremisten immer mehr Einfluss gewinnen, dieses Gesetz nicht zu verabschieden ist widersinnig. Gerade jetzt bräuchte es dieses Signal. Wir diskutieren über dieses Gesetz schon seit Jahren, und alle, die in dem Bereich tätig sind, sagen, wir brauchen eine verlässliche Absicherung. Auch wir als Violence Prevention Network haben seit 24 Jahren keine langfristige Finanzierung. Das geht so nicht.
Glauben Sie, dass wir in Deutschland irgendwann an einen Punkt kommen, an dem Sie Ihre Arbeit gar nicht mehr machen können?
Ich sehe, dass die Demokratie in Gefahr ist, aber ich bin zuversichtlich, dass wir sie retten können. Aber dazu muss man jetzt seine Stimme erheben und auf die sehr gefährliche Entwicklung hinweisen. Und das tun wir.
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