Thierse wegen Äußerungen angezeigt: „Das ist sächsische Demokratie“
Ein Polizist hat Wolfgang Thierse wegen Äußerungen und wegen seiner Beteiligung an Anti-Nazi-Protesten in Dresden angezeigt. Staatsanwaltschaft Dresden prüft Aufhebung der Immunität.
DRESDEN dapd/taz | Wegen umstrittener Äußerungen zum Demonstrationsrecht in Sachsen und wegen seiner Beteiligung an Protesten gegen den Neonazi-Aufmarsch in Dresden droht Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse Ärger mit der Justiz.
Wie die Polizei in Dresden am Dienstag mitteilte, erstattete ein ranghoher sächsischer Polizeibeamter Strafanzeige gegen den SPD-Politiker. Eine entsprechende Anzeige wegen Beleidigung liege vor, sagte eine Sprecherin. Es werde nun geprüft, wie diese rechtlich einzuordnen sei und ob ein Anfangsverdacht vorliege.
Thierse hatte sich am Wochenende in Dresden an Protesten gegen Neonazi-Aufmärsche beteiligt. Vor Journalisten beklagte er, dass drei Neonazi-Veranstaltungen zugelassen, die Rechte der demokratischen Demonstranten dagegen eingeschränkt worden seien. Zugleich äußerte er sich im MDR-Fernsehen zur Arbeit der Polizei. „Die Polizei ist vollauf beschäftigt, die Neonazis zu schützen. Das ist so. Das ist sächsische Demokratie“, sagte er dem Sender zufolge. Weiter sagte er: „Wir erleben hier den Versuch der Rechten, von der Stadt Besitz zu ergreifen. Dagegen müssen sich die Demokraten in Deutschland wehren.“
Kritik von CDU und FDP
CDU-Innenminister Markus Ulbig hat die Äußerungen scharf kritisiert. Die Regierungsparteien CDU und FDP gingen ebenfalls auf Distanz und sprachen von nicht hinnehmbaren und diskreditierenden Formulierungen. Der Polizeibeamte, der Anzeige erstattete, sieht darin sogar eine Beleidigung der Polizei und der sächsischen Beamten. „Eine solche Äußerung von einem der höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik ist schockierend und macht mich sprachlos“, ließ sich der Polizeibeamte von der Bild zitieren.
Vergleich mit Weimarer Zeit vom GdP-Vorsitzenden Witthaut
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zog gar Vergleiche mit den Zuständen zu Zeiten der Weimarer Republik: „Blutige Straßenschlachten zwischen linken und rechten Extremisten haben Deutschland schon einmal heimgesucht. Das Ergebnis hat die Welt in ein Chaos gestürzt“, so der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut in einem Kommentar auf der Webseite der Gewerkschaft.
Thierse muss auch wegen möglicher Verstöße gegen das Versammlungsgesetz mit juristischen Konsequenzen rechnen. Die Staatsanwaltschaft Dresden erklärte, es werde sicherlich auch im Fall der bereits namentlich bekannten Politiker Vorprüfungen geben, ob gegebenenfalls die Aufhebung der Immunität beantragt und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werde.
In Dresden hatten am Wochenende Tausende Menschen einen geplanten Neonazi-Aufmarsch blockiert. An den Aktionen hatte sich auch Thierse beteiligt. Auch mehrere sächsische Landtagsabgeordnete sind demnach bereits wegen ihrer Beteiligung an Blockaden ins Visier der Ermittler geraten. Überschattet wurde der friedliche Protest von schweren Krawallen. Linksautonome und Neonazis lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“