: Theoretiker der Alternativökonomie - Ein Gruppenporträt
Seit zehn Jahren begleitet, diskutiert und beeinflußt der Theoriearbeitskreis Alternative Ökonomie die bundesrepublikanische Schattenwirtschaft / ■ Von Burghard Flieger
Der Theoriearbeitskreis Alternative Ökonomie, abgekürzt: TAK AÖ feiert Geburtstag. Seit zehn Jahren wird von diesem Forum aus die Entwicklung von Alternativbetrieben begleitet, diskutiert und beeinflußt. Im Juli wird ein Seminar Bestandsaufnahme und Perspektiventwicklung gewidmet sein.
Ohne Handlungs- und Legitimationszwang - utopische Kreativität ist ausdrücklich erwünscht - und ohne Ausgrenzung können im Theoriearbeitskreis Themen zur Alternativen Ökonomie diskutiert werden. Haben der Naturkostbereich, ÖkobankerInnen, DirektkreditvermittlerInnen, NetzwerkerInnen, BeraterInnen, Food-CooplerInnen, Ökobewegte, Feministinnen, Handwerksbranchen mit einer größeren Anzahl von Selbstverwaltungsbetrieben und andere mittlerweile eigene Treffen und kooperierende Organisationsformen entwickelt, so finden sich einzelne aus diesen Bereichen im TAK AÖ zu den unterschiedlichsten Themen wieder zusammen. Die Folge ist ein Zusammenführen der ansonsten sich immer stärker differnzierenden Diskussionsstränge. Vieles, was theoretisch und politisch im TAK AÖ besprochen wurde, geht ein in die Praxis der bundesdeutschen Selbstverwaltungswirklichkeit. Die Zeitschrift 'Contraste‘, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Netzwerke, Ökobank contra Haftungsassoziation, ein Zentrum für Kooperation und Partizipation sowie der Verein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens sind Beispiele hierfür. Dies geschieht entsprechend dem Selbstverständnis immer nur im Namen der sich engagierenden Einzelpersonen. Im Namen des TAK AÖ kann niemand sprechen.
Der Arbeitskreis entstand aus einem Wochenendseminar 1978 zum Thema Alternative Ökonomie. Versucht wurde dort, was bis heute prägend ist: alternative Ökonomie nicht nur zu diskutieren, sondern auch schon im Seminaralltag zu praktizieren. Die Erfahrung, daß sich dies an einem Wochenende nicht verwirklichen läßt, war Anlaß, ein vierzehntägiges Sommerseminar zu organisieren. Dort wurde mit einer Struktur experimentiert, die bis heute erklärtes Ziel blieb: Hand-, Kopf- und Bauch„arbeit“ miteinander zu verbinden. Auf diese Weise sollte und soll in unserer Gesellschaft Getrenntes wieder zusammengebracht werden.
Charakteristisch für die Anfangszeit war, daß es eine verantwortliche Vorbereitung der Treffen durch einzelne nicht gab. Vom organisatorischen Ablauf über die Themenstellung bis hin zu deren Aufbereitung wurde alles aus der Situation heraus entwickelt. Erst seit dem Sommerseminar 1981 werden Themen vorbereitet und in unterschiedlichen, auch parallel- laufenden Arbeitsgruppen diskutiert. Bis dahin glichen viele Seminare eher einem Projektvorbereitungs - und -gründungstreffen. Vereinzelt fanden tatsächlich auch Gründungen aus solchen Treffen heraus statt.
Professionalisierung und Differenzierung der Interessen haben mittlerweile beim Theoriearbeitskreis Eingang gefunden. Geblieben ist trotzdem die Bereitschaft für Experimente und Improvisationen. Planspiel, Zukunftswerkstatt, Projekt- und Firmenbesuche, ein eigenes Konfliktlösungs- beziehungsweise Supervisionswochenende sind Ausdruck davon. Nicht nur neue Inhalte, sondern auch neue Formen des Lernens, des Austausches und der Diskussion werden auf Initiative einzelner immer wieder versucht. Entstanden ist so eine gewachsene Gruppenstruktur, die trotzdem für Anregungen von außen und innen offen blieb.
Auch wenn persönliche Beziehungen, viel Spaß, wechselseitige Sympathie und Sichmögen als grundlegend für den Zusammenhalt des Theoriearbeitskreises empfunden werden, entscheidend für seine Existenz sind die Inhalte. Ihr gemeinsamer Nenner ist alternative Ökonomie und Selbstverwaltung. Ansonsten fällt infolge der Vielfältigkeit eine Systematisierung der Themen schwer. Allzu schnell kommt es zu einer bloßen Aneinanderreihung.
Einen breiten, differenziert diskutierten Strang stellt die Finanzierungsproblematik dar. Anfangs vor allem unter der Fragestellung der Umverteilung von Einkommen behandelt, fand sie später ihren Ausdruck in der Auseinandersetzung über die Organisation wichtiger Finanzierungsinstitutionen wie der Berliner Haftungsassoziation und der Frankfurter Ökobank. Ebenfalls kann die aktuelle Erörterung der ABM-Problematik hierzu gerechnet werden. Neben unmittelbar für die Projektpraxis relevante Themen wurden auch immer wieder subjektiv orientierte eingebracht. Sexualität, Utopien, Fragen alternativer Lebensbiographien sowie Männerselbstbild und Männerselbsterfahrungsgruppe gehören hierzu. Viele Momente hiervon fließen in ein in letzter Zeit verstärkt behandeltes Diskussionsfeld mit ein: Konflikte in Selbstverwaltungsbetrieben und deren Bewältigungsmöglichkeit.
Kooperation und Vernetzung, ökologisches Marketing, Bildung und Forschung für und über Selbstverwaltung, ökologisches Siedeln und Bauen sowie soziokulturelle Zentren sind weitere kontinuierliche Diskussionsstränge. An Bedeutung gewinnen könnten in Zukunft Auseinandersetzungen über außerbetriebliche Fragen, insbesondere zur Einbindung und Umsetzung der Selbstverwaltung in unterschiedlichen Wirtschaftskonzeptionen. Eine Arbeitsgruppe über Wirtschaftstheorien des Anarchismus, ein Beitrag über reformsozialistische Strategien und das geplante Wochenende über die humane Wirtschaftsdemokratie von Ota Sik sind Ausdruck hiervon.
Trotz Experimentierfreudigkeit und des Fehlens eines politischen oder wissenschaftlichen Erfolgszwanges fühlt sich der Arbeitszusammenhang nicht frei von Zwecken und Zielen. Ansätze zur alternativen Ökonomie und von Selbstverwaltung sollen theoretisch, praktisch und politisch unterstützt und weiterentwickelt werden.
Zunehmend werden Diskussionsstränge und Ergebnisse des Arbeitskreises in Buchform festgehalten. Die Reihe Selbstverwaltung, herausgegeben von der Publikationsstelle der AG SPAK, erhält so einen wachsenden Stellenwert.
Mit Hilfe der Buchreihe und durch die regelmäßig stattfindenden Seminare hoffen wir, das Thema Selbstverwaltung bekannter und praktikabler zu machen, oder, um es mit den Worten des Utopisten Bertrand de Jouvenel zu sagen: „Man kann keine glückliche Gesellschaft haben, wenn man nicht jedem Erwachsenem eine seiner Bedeutung entsprechende Arbeit anbietet, eine Arbeit, an der er Freude hat, und auf die er stolz ist. Dies ist ein ungeheuer schwieriges, aber auch ein sehr wesentliches Problem.“ Um dieses zu bewältigen, gilt es, Selbstverwaltung - Ziel und Mittel zugleich - ständig weiterzuentwickeln. Oder, wie viele wissen, ein langwieriges und mühseliges Unterfangen.
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