Themenladen und andere Clubs: „Entschuldigung! Entschuldigung!“
Wenn du dich noch mal da durchquetschst, killen die dich: Ausgehen, das ist die Hölle
Allein in eine volle Bar zu kommen und niemanden zu kennen, ist das Peinlichste, was einem widerfahren kann. Dieser Albtraum ist mir gestern passiert und ich habe gemerkt: „Ausgehen ist nur was für ganz hart Gesottene!“
Nina und ich waren um zehn Uhr vor dem Greenwich verabredet. Aber Nina ist einfach nicht erschienen. „Dann warte ich eben drinnen auf sie!“, habe ich beschlossen und bin reingegangen. Hundertfünfzig Augenpaare haben mich abschätzig gemustert und mir war sofort klar: „Du bist total auf dich gestellt. Hier kennst du niemanden!“ Hundertfünfzig Leute haben sich mir in den Weg gestellt, als ich mich von der Tür bis an das Ende der Bar durchzwängen musste. „Entschuldigung, darf ich mal bitte durch?! Entschuldigung! Entschuldigung! Entschuldigung!“ Doch niemand ist zur Seite getreten. Am liebsten hätte ich aufgegeben. Aber ich habe gewusst: „Wenn du dich noch mal da durchquetschst, killen die dich!“ Also habe ich mich auf einen Barhocker gehievt und gehofft, dass Nina bald auftaucht.
Der Laden wurde immer voller. Die Leute stießen mir ihre Ellenbogen in die Rippen, hielten mir ihre brennenden Zigaretten in die Haare, verschütteten ihre Cocktails über meinem Arm, aber Nina kam nicht. Die Musik dröhnte in meinen Ohren. Der Rauch brannte in meinen Augen. Gesprächsfetzen blieben in meinem Kopf hängen: „Was machst du denn hier?“ „Das wollte ich dich gerade fragen!“ Mir wurde heiß und kalt und am schlimmsten wurde es, als mir auffiel, dass alle, die sich zwischen Tresen und meinem Knie entlangdrückten, viel besser hierher passten, als ich. Die hatten angesagte Frisuren und angesagte Klamotten. Nur ich hatte mit meiner langweiligen grünen Strickjacke das absolute Ausgehtabu gebrochen. „Bevor dich noch jemand drauf anspricht, ziehst du sie besser sofort aus!“, habe ich gedacht und mir das Ding von den Schultern gerissen. Das machte die Sache auch nicht besser. Ich war die Einzige mit Karoblüschen. Die anderen trugen bedruckte T-Shirts mit Fransen am Rand. Hätte ich so eins angehabt, wäre das mit meiner Integration vielleicht besser gelaufen. „Woher hast du denn dein tolles T-Shirt?“ – „Und woher hast du deines?“!“
Ich drehte mich weg und sah den Zierfischen, hinter der dicken Panzerglasscheibe, zu. „Vergiss, wo du bist!“ Doch die Silhouetten der anderen spiegelten sich im Aquariumglas wieder. Sie umarmten und küssten sich und freuten sich scheinbar unglaublich, einander zu treffen. „Jetzt reicht’s! Du gehst!“ Da hatte ich sie wieder vor mir: die undurchdringliche Masse. Kein Weg nach draußen. „Entschuldigung, darf ich mal bitte durch?! Entschuldigung! Entschuldigung! Entschuldigung!“
In der Mitte des Gedränges, quetscht sich meine Freundin Nina in meine Richtung. Ich presse mich zu ihr vor, strecke ihr meine Hand entgegen und Nina ruft: „Was hast du denn da Ekliges in den Haaren kleben?“ Jemand hatte mir von der Galerie ein dickes Kaugummi in die Haare gespuckt. Und ich habe gemerkt: „Ausgehen ist nur was für ganz Hartgesottene!“
Alexa Hennig von Lange
Alexa Hennig von Lange ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Der Tagebuchroman „Mai 3D“, den sie zusammen mit Till Müller-Klug und Daniel Haaksmann geschrieben hat, ist im Ullstein Verlag erschienen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen