Theaterstück über Hermannplatz: Heike Arndt und die Kartoffeln vom Hermannplatz

Das Theaterstück "Berlin Hermannplatz" ist ein Porträt des Platzes und seiner BewohnerInnen mit LaiendarstellerInnen. Eine von ihnen ist die 43-jährige Pflegerin Heike Arndt. Sie lebt seit Jahrzehnten an dem Platz.

Heike Arndt steht mittendrin und lächelt. Links und rechts von ihr hasten Menschen über die Ampel und quer über den Hermannplatz: Umsteiger, Einkäufer, Schülerinnen, Familien. Arndt steht unbeirrt im Passantenstrom, ihre Hündin Lola im Arm, und blinzelt in die Sonne. "Schön hier", sagt sie. Eine Feststellung, die angesichts der Aussicht überrascht: Auf der einen Seite Handyläden und Imbissketten im Wechsel, auf der anderen das Betonklotz-Warenhaus Karstadt.

Dazwischen eingeklemmt: der Hermannplatz. Zwei U-Bahneingänge, ein Imbiss, weißlackierte Holzbänke mit blättriger Farbe. Schön ist der Neuköllner Platz, an dem sich die U-Bahn-Linien 7 und 8 sowie diverse Busse kreuzen, nicht. Aber mittendrin. So wie Heike Arndt, die seit ihrer Geburt 1967 in der Sonnenallee wohnt, immer in Tuchfühlung zum Hermannplatz. "Ich brauche den Trubel einfach", sagt die Frau mit dem breiten Lächeln.

Zweimal hat sie versucht, woanders zu leben. Mit 19 zog sie aus der elterlichen Wohnung in den Graefekiez in Kreuzberg. Doch als ihr Sohn auf die Welt kam, wurde die Wohnung zu klein, sie kam mit ihrem Mann zurück. Später zogen sie nach Tempelhof, der besseren Schulen wegen. Doch lange hielten sie es nicht aus. "Zu spießig, zu viele alte Leute" - Arndt winkt ab. Jetzt wohnen sie im Hinterhaus. Heike Arndt geht also jeden Tag wieder die Wege ihrer Kindheit: mit dem Hund in die Hasenheide, vorbei an der Jahn-Apotheke und der italienischen Eisdiele. Aber viel von damals ist am Hermannplatz nicht geblieben.

Die Jahn-Apotheke am südlichen Ende mit ihrer fleckigen Brandmauer ist eine der wenigen Konstanten im Straßenbild. Dass sich hinter einem unauffälligen Eisengitter früher eine Automatenstraße auftat, wissen nicht mehr viele. Heike Arndt kaufte auf dem Heimweg von der Schule dort Fanta. "Man warf das Geld ein und nahm dann die Flasche aus der Klappe", erinnert sie sich. "Hinterher wurde von Hand eine neue Flasche eingelegt. Es gab auch belegte Brötchen und Rosen." Das Kino "Maxim", in dem Heike Arndt ihre ersten Godzilla-Filme guckte, gibt es schon lange nicht mehr. Auch von ihrer Lieblingsdisko "Cheetah" an der Hasenheide sind nur noch zwei blaue Röhren an der Hausfassade übrig. "Der Eingang war wie ein Tunnel", erinnert sich Arndt, "drinnen war es riesengroß. Das Cheeta war viel cooler als die Neue Welt gegenüber mit den Tischtelefonen."

Die Disko ist seit Jahren zu. Die gelernte Tierpflegerin, die jetzt in der Altenpflege arbeitet, geht sowieso lieber essen, ins "Wirtshaus Hasenheide" oder einen der neuen Pizza-to-go-Läden. "Die sind mir dann doch lieber als Kartoffelpuffer", sagt sie lachend und deutet hinüber zum "Pufferimbiss am Hermannplatz", der seit den Achtzigern eine Institution ist.

Heike Arndt ist Neuköllnerin aus Überzeugung. Aber sie ist keine Traditionalistin. Sie liebt ihren Bezirk gerade dafür, dass er sich immer wieder verändert. "In meiner Jugend war Neukölln der konservative unter den Arbeiterbezirken", sagt sie. "Weniger rot als der Wedding, weniger wild als Kreuzberg". Aus dem kleinbürgerlichen deutschen Eckkneipen-Milieu wurde ein junges, migrantisches. "In meinem Haus leben Russen, Türken, Schweden und seit einiger Zeit auch Studenten und Künstler", freut sie sich.

Weil Heike Arndt nicht nur den Hermannplatz liebt, sondern auch neue Herausforderungen, meldete sie sich im Oktober auf eine Zeitungsanzeige. Der "Heimathafen Neukölln" suchte darin LaiendarstellerInnen für ein Theaterstück, dessen Hauptdarsteller der Hermannplatz ist. "Berlin Hermannplatz" soll als volksnahe Variation von Alfred Döblins Klassiker "Berlin Alexanderplatz" den Neuköllner Platz und seine BewohnerInnen porträtieren. Jetzt ist Heike Arndt eine von sieben DarstellerInnen, die mehrmals die Woche in einer Fabriketage an der Hasenheide proben.

Hündin Lola ist immer dabei, sie sitzt auf dem Arm der Regisseurin Stefanie Aehnelt, während Arndt probt. Nach einer Szene mit einer Studentin mit Lippenpiercing, die den Markt auf dem Hermannplatz als "Billigschrott" schmäht, hält Arndt ein vehementes Plädoyer für ein Grundeinkommen. "Jawoll!", ruft die zweite Regisseurin Anne Verena Freybott. "Genau so."

Zwischen zwei Szenen setzen sich die beiden Regisseurinnen an einen Tisch und erzählen von ihrer Idee, dem Hermannplatz ein Volkstheaterstück zu widmen. "Der Platz ist mehr als ein Verkehrsknotenpunkt mit Karstadt", sagt Stefanie Aehnelt. "Er ist Einzugsgebiet und Kristallisationspunkt für ganz Neukölln." Das Lebensgefühl des Kiezes, in dem die beiden Frauen seit 2007 mit dem "Heimathafen Neukölln" Theater machen, wollen sie mit ihrem Stück einfangen. Dafür führten sie Interviews mit 35 NeuköllnerInnen, darunter mehrere Marktverkäufer und ein BVV-Mitglied, der noch miterlebt hatte, wie auf den Dächern der Mietshäuser Kartoffeln angebaut wurden. Die Knollen wurden doppelt so dick wie die in Schöneberg: Die Asche der vielen Kohleöfen wirkte als Dünger.

Schnell emanzipierte man sich vom literarischen Vorbild "Berlin Alexanderplatz" und verlegte die Geschichte des haftentlassenen Kriminellen Franz Biberkopf in die Gegenwart. Franz Biberkopf ist jetzt eine Frau, die auf der Straße lebt, wo sie ihren Verlobten sterben sieht. Oder der studierte Mustermigrant, der einfach nur noch wegwill von diesem Platz. Heike Arndt sitzt in der ersten Stuhlreihe und guckt den Proben zu. Sie ist mal wieder mittendrin.

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