Theaterstück über Felix Hartlaub: Im Epizentrum der Nazis
Das Nationaltheater und die Kunsthalle Mannheim bringen das kurze Leben des Kriegstagebuchschreibers Felix Hartlaub auf die Bühne.
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Dass der Name Felix Hartlaub bis vor wenigen Jahren kaum jemandem ein Begriff war, gehört wohl zu den Kuriositäten der Geschichte, zumal er über tiefe Einblicke in den engsten Kreis um Adolf Hitler verfügte. Als Kriegstagebuchschreiber hat er einst seine Beobachtungen in dem 2022 neu editierten Romanentwurf „Aufzeichnungen aus dem Führerhauptquartier“ niedergeschrieben. Wir werden darin einer misogynen und gewaltbereiten Männerelite gewahr – eine Atmosphäre, die, so der Autor in seinen Briefen, zu „progressiver Herzverkümmerung“ beitrüge. Schreibt so ein Regimeanhänger? Wohl kaum. Gerade weil der Obergefreite (zur Überraschung der Nachwelt!) Antifaschist war und sogar eine Beziehung zu einer Jüdin hatte, bietet sein spannungsreicher Werdegang den besten Stoff für Hollywood.
Oder eben für die Bühne, weswegen sich das Nationaltheater in Mannheim dieser ohnehin eng mit der Stadt verbundenen Biografie angenommen hat. Denn genau hier hatte Hartlaubs Vater 1925 die wegweisende Werkschau „Die Neue Sachlichkeit“ eröffnet, bevor sie für entartet befunden wurde. Mit diesem Festakt setzt nun auch Christian Frankes Inszenierung ein. Und zwar wiederum in der Kunsthalle, und wiederum inmitten der damaligen Bilder, die sie für die aktuelle Jubiläumsausstellung erneut zeigt.
Zwischen Gemälden eines George Grosz oder Otto Dix, die Leid und Elend der damaligen Epoche widerspiegeln, führt uns der Museumsdirektor Gustav Friedrich Hartlaub (Boris Koneczny) mit Verve durch die Räume, bis Störgeräusche im Foyer den Vortrag unterbrechen. Dort wieder angekommen, erblicken wir über einer Galerie ein sich drehendes Hakenkreuz, bestehend aus mehreren Miniaturen des Wasserturms, Jugendstil-Wahrzeichen der Neckarmetropole. Aus dem Off vernehmen wir überdies Anrufe von Nazi-Größen. Ihr Ziel: den rührigen Kunsthistoriker rasch seines Amtes zu entheben.
Erst jetzt tritt Hartlaubs Sohn (Rocco Brück) in Erscheinung. Im Laufe mehrerer Stationen in der Kunsthalle erzählt uns Felix seine Geschichte. Während er in Berlin auf eine Schriftstellerkarriere hofft, sitzen ihm Wut und Enttäuschung seines Vaters stets im Nacken. Hier ringen also zwei Männer mit sich und der Welt. Ihre Distanz wird schon daran deutlich, dass sie zeitweise auf unterschiedlichen Ebenen miteinander sprechen: in der Haupthalle, zwischen Galerie und Erdgeschoss. Ernüchtert vom Leben, verschlägt es den Glückssucher sodann in Hitlers Wolfsschanze. Hinter seinem Schreibtisch verzweifelt er an der Bürokratie und den Nachrichten von der Front und wird letztlich unter Papierbergen begraben.
Obwohl dieses zweifelsohne spannendste Kapitel von Hartlaubs Vita, sein Wirken im Epizentrum der Macht, in Mannheim kaum zur Geltung kommt, lohnt der Besuch von „Fragment Felix“. Vor allem aufgrund der treffenden Bilder, die die Regie für Hartlaubs bewegtes Leben und die Gesellschaft am Vorabend des Zweiten Weltkriegs findet. Am deutlichsten sticht das von einem Menschen gespielte, Malern häufig als Vorbild dienende Holzmannequin hervor. Mal stellt es den Sohn dar, den der Vater umherschubst, mal repräsentiert es die Anonymität der Masse. Seine automatisiert anmutenden Bewegungen stehen für die Logik eines totalitären Systems, das den Einzelnen zum bloßen Objekt degradiert.
An alledem vor der rekonstruierten, historischen Kulisse teilhaben zu dürfen, führt einem die erschreckende Präsenz lange überwunden geglaubter politischer Kräfte vor Augen, die die Gesellschaft und nicht zuletzt den Kulturbetrieb erneut zu unterwandern suchen. Bei diesem fesselnden Stück handelt es sich keineswegs nur um ein Zeitdokument, sondern auch um eine dringliche Analyse übelster Vorzeichen.
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