Theaterfestival in Berliner Schaubühne: Schaufenster in die Welt
Mit ihrem Festival FIND holt die Schaubühne seit 20 Jahren internationales Theater nach Berlin, nächste Woche startet die diesjährige Runde.
Frankreich hat das Festival d’Avignon, Schottland das Edinburgh Fringe Festival. In Berlin gibt es zwar das Theatertreffen im Mai, das aber „nur“ die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum einlädt, aber ein wirklich internationales Theaterfestival fehlt. Wäre da nicht die Schaubühne, die zu ihrem Festival für Internationale Neue Dramatik – kurz FIND – junge sowie etablierte Theatermacher*innen aus aller Welt eine Bühne in Berlin gibt.
Seit 2000 lädt die Schaubühne zu FIND ein. Zuerst war das Festival mehr eine Bühne für szenische Lesungen von internationalen Autoren und Theatergruppen, später kamen immer mehr Gastspiele von Theatern und freien Gruppen aus aller Welt. Durch umfangreiche Gastspiele, die die Schaubühne selbst mit ihren Inszenierungen von Teheran bis Tokio, von China bis Chile gibt, ist das Theater unter dem Intendanten Thomas Ostermeier besonders gut vernetzt – und das sorgt für ein diverses Festivalprogramm, dieses Jahr mit neun Gastspielen sowie zwei Premieren. Start des knapp zweiwöchigen Festivals ist nächste Woche am 11. März.
Das FIND findet viele Fans – nicht zuletzt Theaterliebhaber, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Die Inszenierungen auf Französisch, Thai, Russisch, Englisch und mehr werden mit englischen und deutschen Übertiteln aufgeführt. Die Zahlen sprechen für sich: Vergangenes Jahr erreichte das Festival mit knapp 10.000 Gästen eine Auslastung von 98 Prozent. „Es bietet ein Schaufenster in die Welt“, sagte Thomas Ostermeier auf der Festival-Pressekonferenz. Das habe man schon für Filme mit der Berlinale. Aber zunehmend kann FIND auch mit dem französischen Festival d’Avignon mithalten.
Zum zwanzigsten Geburtstag (2002 pausierte FIND) hat das Festival schon ein frühes Geschenk von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur bekommen – in Form einer Förderung für die nächsten vier Jahre. Das wird ermöglichen, dass die Schaubühne künftig weitere große internationale Namen nach Berlin einladen kann. Vergangenes Jahr waren die postdramatischen Veteranen aus New York „The Wooster Group“ mit ihrer Performance „Townhall Affair“ ein besonderes Highlight. Ab 2021 will die Schaubühne das Festival jedes Jahr einer Künstlerin oder einem Künstler widmen, die oder der mit mehreren Inszenierungen vertreten sein wird.
Umschau: Für eine wirklich weitreichende theatralische Umschau präsentiert die diesjährige Ausgabe von FIND, das Festival Internationale Neue Dramatik, Arbeiten aus acht Ländern und drei Kontinenten. Das Festival an der Schaubühne am Lehniner Platz startet am 11. März, es dauert bis 22. März. Info: www.schaubuehne.de.
Ausschau: Angesichts der aktuellen Situation, Stichwort Corona, wird im Haus „natürlich wachsam die Entwicklung“ beobachtet, heißt es. Absagen aber gebe es nicht. „FIND findet also wie geplant statt.“
Gegenbild und Gegenmacht
Zwei assoziative Leitmotive des diesjährigen FIND sind die Begriffe Gegenbild und Gegenmacht – Konzepte, die man sofort in Kirill Serebrennikows „Outside“ findet. Der russische Regisseur und Intendant des Moskauer Gogol Center wird seit Jahren in seiner Heimat verfolgt – mal durch Zensur, mal durch Proteste der orthodoxen Kirche. Im August 2017 wurde Serebrennikow wegen vermeintlichen Betrugs Hausarrest verordnet. Eine haltlose Anschuldigung. Trotzdem wurde sein Hausarrest erst im Oktober 2019 aufgehoben, das Land darf er immer noch nicht verlassen.
„Outside“, das vergangenes Jahr beim Festival d’Avignon uraufgeführt wurde, entstand während seines Hausarrestes als Reaktion auf den tragischen Tod des chinesischen Fotografen Ren Hang. Nur zwei Tage vor einem vereinbarten Treffen mit Serebrennikow nahm sich Ren das Leben. Rens Fotografie bietet ein rebellisches Gegenbild zum staatlich verordneten Narrativ der Jugend in China. Es ist unschwer zu erkennen, was Serebrennikow an Rens künstlerischem Widerstand gegen ein autoritäres System begeistert hat – und gleichzeitig traurig, dass diese zwei subversiven Künstler nie zusammenarbeiten konnten.
Weitere Schlüsselfiguren des europäischen Theaters und Schaubühne-Verbündete sind beim Festival gut vertreten wie Milo Rau mit seinem Dokumentarstück „Familie“, Angélica Liddell mit ihrer dystopischen Inszenierung „The Scarlett Letter“ und Édouard Louis mit einer Soloperformance seines 2018 erschienenen Buches „Wer hat meinen Vater umgebracht“.
Besonders spannend dürfte allerdings „Pratthana – A Portrait of Possession“ des thailändischen Romanautors Uthis Haemamool sein. Inszeniert von dem japanischen Regisseur Toshiki Okada, der dieses Jahr mit „The Vacuum Cleaner“ seine erste Einladung zum Berliner Theatertreffen erhalten hat, präsentiert das Stück ein gegenkulturelles und hedonistisches Panorama vom Bangkok der Gegenwart, das die politische Geschichte Thailands und den Zusammenbruch eines korrupten Systems schildert.
Auch im kleineren Studio gibt es einige nicht zu übersehende Highlights. Darunter „Salt“ von der britischen Performerin und Autorin Selina Thompson – eine theatralische Schiffsreise durch die koloniale Vergangenheit Großbritanniens, die nach dem Windrush-Skandal 2018, bei dem der britische Staat Menschen mit karibischem Hintergrund, die seit Jahrzehnten im Land wohnten, fälschlicherweise abschob, eine besondere politische Dringlichkeit hat. „Triple Threat“ der ebenfalls britischen Lucy McCormick sorgt für eine sexuell explizite, aber dennoch bissige Abendunterhaltung durch eine queerfeministische Bearbeitung des Neuen Testaments. Die Inszenierung war ein Liebling des 2016 Edinburgh Fringe Festival.
Das FIND bietet aber mehr als ein Gegenbild zur patriarchalischen Gesellschaft und staatlichen Autorität. Als internationales Theaterfestival füllt es eine Lücke in der Berliner Theaterlandschaft. Und das ist eine Bereicherung.
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