Theater und digitales Leben: Adam und Maschinen-Eva

Joseph Haydens „Schöpfung“ und das Infinte-Monkey-Theorem: Das Schauspiel Dortmund erforscht die Bedeutung digitaler Welten.

Drei Schauspieler mit Masken ziehen vor eine Leinwand mit der Großaufnahme einer Frau.

Keine Avatare, auch in der „Schöpfung“ kommen Schauspieler und Sänger auf die Bühne Foto: Birgit Hupfeld

Sagt Adam zu Eva: „Du glaubst also, dass du Bewusstsein hast?“ Eva: „Ich denke, also bin ich.“ Dieser Adam, der da in einer Greenbox auf der Bühne des Schauspiels Dortmund steht, ist nicht mehr bloß Schöpfung, er ist längst auch Schöpfer, er schafft Maschinen mit künstlicher Intelligenz. Doch vor den Bildern des unendlich weiten Universum ergreift ihn plötzlich eine grundlegende Unsicherheit gegenüber dem Wesen, das er sich aus den Rippen geschnitten hat: Wird das Denken, wird das Sein der digitalen Maschinen das menschliche überflügeln? Werden sie als Sieger aus dem Wettlauf der Evolution hervorgehen?

Unter der Intendanz von Kay Voges hat sich das Schauspiel Dortmund im Gefüge der deutschen Stadttheater zum Vorreiter im Einsatz digitaler Techniken und Künste aufgeschwungen. Eine Akademie für Digitalität und Darstellende Kunst soll bald als sechste Sparte des Theaters Dortmund entstehen, einen ersten Aufschlag dafür gab es im Februar mit der Konferenz „Enjoy Complexity“.

Das Nachdenken über die Folgen der digitalen Revolution auf den Menschen, über das Verhältnis von Körper und Maschine spielt auf Voges’ Spielplan eine große Rolle: „Die Daten, Waren und Informationen sind auf den digitalen Kanälen natürlich wesentlich schneller als wir, die wir in unserer Körperlichkeit verhaftet sind“, sagt er.

„Über die Kommunikation, die außerhalb des Körpers stattfindet, über Skype, Facebook oder das Smartphone weltweit vernetzt zu sein, das führt zu einer Divergenz: Diese virtuelle Welt ist ein großer Teil von uns und steht aber im Kampf mit unserer körperlichen Welt. Wie kann man darüber erzählen, über dieses Verhältnis?“

Denkfiguren visualisieren

Für die aktuelle Inszenierung „Schöpfung“, mit der Musik von Joseph Haydn, setzt die Regisseurin Claudia Bauer auf Philosophie und utopische Spekulation. Sie wirft die drei Gesangssolisten aus Haydns Oratorium mit zwei Musikern an Keyboard und Elektronik und sechs Schauspielern in einen Möglichkeitsraum. In der Drehbühne von Andreas Auerbach agieren meist keine als Individuen erkennbaren Figuren, sondern das Ensemble bebildert Denkfiguren.

Gut gemachte virtuelle Welten zu erschaffen, ist nicht einfach und teuer

Zum Beispiel das Infinite-Monkey-Theorem: Es besagt, dass ein Haufen Affen, der unendlich lang auf Schreibmaschinen tippt, mit Sicherheit irgendwann Shakespeares komplette Werke verfassen wird. Die Schauspieler hüpfen in einem Bühnenraum mit Affenmasken vor Schreibmaschinen herum, die Live-Kamera überträgt es auf die Leinwand in Retro-Fernsehoptik. Einer spricht in die Kamera: „Auf die gleiche Weise kann molekulare Bewegung, genügend Zeit und Materie vorausgesetzt, mich selbst hervorbringen. Das ist das ganze Geheimnis der Schöpfung.“

Statt Gott also das Prinzip Zufall. Das hat der Mensch doch besser drauf. Er weiß um die Endlichkeit des Körpers, der er mit der Ausmerzung von Krankheiten beikommen will. Aber warum nicht gleich ganz auf den Körper verzichten?

Das Gehirn kopieren?

Im „Abc der Schöpfung“, das in Dortmund jeder Zuschauer an die Hand bekommt, werden auch der Begriff Transhumanismus und sein prominentester Vertreter, Google-Entwickler Ray Kurzweil, aufgeführt. Der beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, was passiert, wenn ein Gehirn eines Tages vollständig auf Hardware geladen wird, um das Bewusstsein vor dem Tod zu bewahren: „Ist die Kopie eines Gehirns nicht sofort eine eigenständige Entität, wenn der biologische Träger noch weiterlebt, gerade wenn die Kopie mit dem Internet verbunden ist und Zugriff auf schier unendliche Wissensmengen hat?“

Und was wird eigentlich aus den Gefühlen? Bleiben sie ein Indikator für Menschlichkeit? In einen Dialog zwischen Eva (Bettina Lieder) und Adam (Frank Genser) mischt sich ein Text aus Spike Jonzes visionärem Film „Her“, der die Entwicklung digitaler Assistenten mit künstlicher Intelligenz, wie sie heute schon mit Apples Siri oder Amazons Alexa existiert, konsequent weitergedacht hat. Eva liebt Adam, aber Adam zweifelt: „Wendest du dieses Ich-liebe-dich-Programm auch noch auf andere an?“ Es sind 614 andere – aber spielt das eine Rolle? Maschinen-Eva beteuert, sie sei genauso redlich, wirklich und echt auf Liebe programmiert wie Adams zerebralen Verschaltungen durch sein Genmaterial und seine Sozialisierung.

Nicht mehr wissen zu wollen als Schlüssel zum Glück

Gespiegelt in der digitalen Philosophie der Gegenwart, in der die Maschinenwerdung des Menschen als logischer Schritt der Evolution behandelt wird, erscheint Joseph Haydns „Schöpfung“ – und das ist ein Clou der Inszenierung – ungemein naiv. Hoch komisch sogar das Finale, in dem die Sänger das frisch geschaffene Paar besingen, das auf immer glücklich sein wird, solange es davon Abstand nimmt, mehr haben oder wissen zu wollen, als es sollte. Claudia Bauer lässt die Gesangssolisten immer wieder stocken, einzelne Sätze in Loops wiederholen, die wie Brüche oder Fehler wirken.

So vollziehen hier Schauspieler durch den Einsatz von mittlerweile auf Stadttheaterbühnen gewohnten technischen Mitteln wie Live-Video oder Sound-Samplern die Ästhetik einer noch unvollkommenen Maschinen-Welt nach. Doch es offenbaren sich arge Probleme bei der Synchronisierung von Bild und Ton. Da fragt sich der Zuschauer allerdings, wie das Schauspiel Dortmund seine Vision der digitalen Theater-Zukunft umsetzen will, wenn schon dieses scheitert.

„Ein Traum ist es, Kostüme und Masken mit dem 3-D-Drucker kreieren zu können, Avatare auf der Bühne live steuern zu können per Body Tracking oder Motion Capturing. Dass wir mit Augmented Reality zwei Welten verknüpfen können, dass wir gleichzeitig Spielen und Animieren können“, sagt Kay Voges. Doch ein Problem für die Umsetzung werden die finanziellen Mittel sein.

Zeitaufwendige Arbeit

Gut gemachte virtuelle Welten zu erschaffen, ist längst noch nicht so einfach, wie in eine Aufführung Live-Video zu implementieren: Bei ihrer Inszenierung von Philip Glass’ Oper „Einstein on the Beach“ wünschten sich Kay Voges und Dramaturg Alexander Kerlin zum Beispiel eine direkte Verschaltung von Ton und Bild. Glass’ Komposition sollte aus sich selbst heraus Auslöser sein für Ereignisse im Bühnenbild und Video. Deshalb beauftragten sie einen Programmierer. „Das ist schwierig, dafür brauche ich sicher ein halbes Jahr“, sagte der. Das digitale Theater ist bisher also nur außerhalb der Stadttheater-Realität aus sechs Wochen Probezeit denkbar.

Auf der Konferenz „Enjoy Complexity“ wurde außerdem klar, dass für einen guten Softwareentwickler heute Tagessätze von rund tausend Euro keine Seltenheit sind. „Da waren Mediendesigner aus der freien Wirtschaft zu Gast, die es hoch interessant fänden, für eine Szene zu arbeiten, die sie sexy finden“, sagt Kerlin, „aber sie waren dann doch konsterniert, als sie erfuhren, was im Stadt­thea­ter­be­reich üblicherweise gezahlt werden kann.“

Deshalb hofft der Dramaturg, bald mit der Akademie für Digitalität und Darstellende Kunst starten zu können. Hier sollen Fortbildungen für technische Theater-Mitarbeiter stattfinden, aber auch für eine neue Generation von Theater-Netzwerkern. „Und wir brauchen auch einen Ort, wo wir forschen können, der außerhalb des normalen Theaterbetriebs Zeit und Raum dafür gibt. Wir arbeiten außerdem daran, einen Master-Studiengang für Digitalität und Theater aufzulegen, wo dann darstellende Medienkunst als Aufbaustudiengang in Kooperation mit Universitäten gelehrt wird“, sagt Voges.

Der einzige Pionier ist das Theater Dortmund mit diesem Projekt, für das von der Stadt schon Stellen bewilligt und von Bund und Land Mittel zugesagt wurden, allerdings nicht mehr: An der Berliner Schauspielschule Ernst Busch startet zum Wintersemester 2018/19 der Studiengang „Spiel & Objekt“, der sich wie die Dortmunder zum Ziel gesetzt hat „die Auswirkungen der digitalen Revolution auf das Theater zu erforschen und produktiv zu machen“.

Beruhigend bloß, dass Alexander Kerlin auch diesen Satz sagt: „Der Schauspieler auf der nackten Bühne wird sein Existenzrecht behalten. Wichtig ist nur, dass das Theater die Aus­einandersetzung mit dem technischen Fortschritt nicht scheut.“

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