piwik no script img

Theater über jüdische Gemeinde in KretaSie kamen mit Fallschirmen, dann töteten sie

Die Wehrmacht massakrierte und deportierte Menschen von der Insel. Ein Teil leistete Widerstand. Daran erinnert nun ein deutsch-griechisches Theaterprojekt.

Das Theaterstück „Die Schatten neben dem Sonnenschirm“ im Leipziger Ariowitsch-Haus Foto: Andreas Markakis

Die griechische Insel Kreta ist eines der beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen. Auf kretischen Stränden voller Sonnenschirme drängen sich Touristen.

1941 waren auf Kretas Stränden ganz andere Schirme zu sehen. Fallschirmjäger der deutschen Wehrmacht landeten auf der Insel und nahmen sie ein. Sie terrorisierten die teils widerständige Bevölkerung und verübten Massaker. Chania, die damalige Hauptstadt der Insel, war das Zentrum der jüdischen Gemeinde Kretas. Hier wohnten, vor allem im jüdischen Viertel, fast alle ihrer 300 Mitglieder.

Am 21. Mai 1944 wurde die jüdische Bevölkerung Chanias von deutschen Soldaten aus ihren Häusern getrieben und zunächst in ein Gefängnis gebracht. Knapp drei Wochen später wurden sie gemeinsam mit kretischen Partisanen und italienischen Kriegsgefangenen in die engen Lagerräume des Dampfschiffs „Tanaïs“ getrieben. Sie sollten zum Hafen von Piräus gebracht und von dort weiter mit dem Zug nach Auschwitz deportiert werden.

Die „Tanaïs“ fuhr unter deutscher Flagge und war nicht als Kriegsgefangenentransport gekennzeichnet. Kurz nach ihrem Auslaufen am 9. Juni 1944 wurde sie von einem britischen U-Boot torpediert und sank innerhalb weniger Minuten. Alle Gefangenen ertranken.

deutsch-griechisches Projekt

2024 jährte sich der Untergang der „Tanaïs“ zum 80. Mal. Nachdem der Gefange­nen­trans­port lange in Vergessenheit geraten war, bemüht sich nun ein deutsch-griechisches Projekt, dem Ende der jüdischen Gemeinde Kretas und ihrer 2.300 Jahre andauernden Geschichte ein lebendiges Denkmal zu setzten.

Die Kooperation zwischen dem Leipziger Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus und der kleinen Etz-Hayyim-Gemeinde, die heute die Synagoge in Chania nach langem Leerstand wieder nutzt, kombiniert Recherche, Theater und Pädagogik an kretischen Schulen, um die unwiederbringliche Zerstörung, die die deutsche Besatzung für das jüdische Leben auf Kreta bedeutete, sichtbar zu machen.

Aus dem Projekt entstand die Theaterperformance „Die Schatten neben dem Sonnenschirm“. In der Synagoge in Chania spielen sieben Schau­spie­le­r:in­nen aus Deutschland und Griechenland Szenen aus dem Leben der Gemeindemitglieder, kurz vor ihrer Deportation. Aggressive Wehrmachtssoldaten sprengen gemeinschaftliche Momente und verbreiten Verzweiflung und Entsetzen.

Die fiktiven Szenen entstanden auf der Basis von Anhaltspunkten, die sich bei der Recherche ergaben, wie Fotografien oder konkrete Orte in Chania. Trotz der Suche nach Informationen ist von vielen kretischen Juden allerdings einzig ihr Name auf der Deportationsliste bekannt.

Ignoranz deutscher Ur­lau­be­r:in­nen heute

Diese Leerstelle bleibt in der Performance spürbar. Durchdrungen von Sprechchören, Kommentarebenen und Sprüngen in die Gegenwart fügen sich die Szenen zu einer immer wieder brechenden Collage zusammen. Das Publikum folgt den Schau­spie­le­r:in­nen und dem Chor aus sieben kretischen Schü­le­r:in­nen im Verlauf der Aufführung durch die Räume der Synagoge und hinaus in den Innenhof.

Bei einer Vorstellung des Projekts im Ariowitsch-Haus in Leipzig am Montag betonte Jürgen Zielinski, künstlerischer Leiter der Performance, es sei auch darum gegangen, einen Blick auf die Dissonanz zwischen dem Geschehenen und der Ignoranz deutscher Ur­lau­be­r:in­nen heute zu lenken.

So werden in einer Szene deutsche Touristen parodiert, die von alledem, was schon so lange her ist, einfach mal nichts mehr wissen wollen. Getreu dem Motto: „Genug ist genug!“

Das historische jüdische Viertel Chanias ist heute ein beliebtes Touristenviertel. Auf dem ehemaligen Gelände des jüdischen Friedhofs, auf dem die Gefangenen der „Tanaïs“ nie begraben wurden, steht jetzt ein Hotel.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Der Vorwurf der Ignoranz bringt niemanden weiter…

    Seit ich reise besuche ich Orte der Nazi-Verbrechen in ganz Europa, auch hier in Griechenland. Schon als Normal-Tourist nimmt man Denkmäler, Orte der Erinnerung und Mahnung wahr, wo die Nazis hausten, will sagen: ich habe verstanden, ich kenne das, bin damit seit den 50ern aufgewachsen, und möchte mir keine Ignoranz vorwerfen lassen.



    Kaum ein Deutscher kann sich dieser Mahnungen entziehen, und pure Ignoranz bis hin zu Feierlaune gibt es bei uns schlimmer noch in anderen Kulturkreisen, dort wartet viel Arbeit, hier im Land des „nie wieder“…



    Wenn ich es noch schaffe, werde ich auch in Chania zu Vorstellung gehen, und u.a. über den gefeierten Boxer Max Schmeling nachdenken, der auf Kreta als Fallschirmjäger dabei war.



    Pauschale Vorwürfe jedenfalls rufen bestenfalls Trotz hervor.