Theater über Hetze: Hass mit Hängeschultern
Arthur Millers „Hexenjagd“ hätte sich für aktuelle Bezüge angeboten. Am Thalia-Theater inszeniert Stefan Pucher das Stück über Denunziation irritierend historistisch.
Doch plötzlich, völlig unvermittelt, taucht Jörg Pohl als John Proctor wie ein Deus ex Machina wieder auf, aus dem tiefen Schwarz. Der Spot geht an, direkt auf ihn, er tänzelt, selbstbewusst und singend, die Holzstufen hinunter. Eine Showtreppe ist das Holzkonstrukt von Bühnenbildnerin Barbara Ehnes jetzt, Pohl mimt darauf den Rockstar. „There is no God“, singt er lässig in Mick-Jagger-Manier. Diese Szene versprüht Charisma, Witz und Ironie. Sie ist verdammt kurz, aber bemerkenswert und grandios – gerade weil sie so unpassend wirkt in dieser „Hexenjagd“-Inszenierung.
Denn sonst ist der dreistündige Rest des Abends erschreckend nah am Naturalismus gebaut. Stefan Pucher inszeniert Arthur Millers Stück so werk- und texttreu, dass es irritiert. Die Schauspielerinnen sind dafür in sittsame dunkelblaue Kleider gepackt, mit Langarmblusen und weißen Hauben. Die Kostüme der männlichen Mitspieler erzählen ebenfalls von einer Zeit, in der ein fanatischer Pfarrer den Kirchgängern noch gottesfürchtigen Respekt einflößen konnte und in der ein Richter im langen Frack das Recht nach Belieben in seine Richtung bog. Kostümbildnerin Annabelle Witt fügt ihre Figurenzeichnung perfekt ein in das Konzept, das sich Pucher für diesen Abend offensichtlich erdacht hat: Millers Stück so historistisch wie möglich auf die Bühne zu bringen.
Hexen-Hysterie
Ein kurze Weile trägt diese Idee auch und man folgt gespannt der starken Geschichte, die Miller – basierend auf wahren Tatsachen – aus der dunklen Vergangenheit der US-amerikanischen Stadt Salem erzählt. In dieser puritanischen Gemeinde, in der Spaß ein Fremdwort ist, kommt es 1692 zu einer hysterischen Jagd auf vermeintliche Hexen. 200 Menschen müssen wegen angeblicher Zauberei vor Gericht, 24 davon werden zum Tode verurteilt. Dabei hatten doch eigentlich nur ein paar Mädchen im Wald getanzt.
Am nächsten Morgen aber liegen einige von ihnen mit seltsamen Symptomen im Bett. Gut, es war ein Frosch in der Suppe an jenem Abend im Wald, es wurde Blut getrunken und vielleicht gab es auch eine Geisterbeschwörung. Die Stadt jedenfalls ist in Aufruhr. Der ortsansässige Priester stellt die verängstigten Mädchen zur Rede. Doch sie – allen voran Abigail Williams – beschuldigen andere, schwächere, mit dem Teufel im Bunde zu stehen.
Nah an den historischen Fakten erzählt Miller den Stoff im Jahre 1953 nach und zeigt mitten in der McCarthy-Ära, mitten in der Kommunistenhetze, dass die historischen Ereignisse noch immer aktuell sind, wenn Verdacht, Verschwörung und Verfolgung auf Fake News basieren. Der Bogen zur heutigen Gegenwart ließe sich leicht schlagen – doch Pucher lässt ihn aus. Stattdessen inszeniert er den Stoff als konventionelle, fast museale Nacherzählung, in der das erstklassige Ensemble in großen Teilen des Abends zum stereotypen Chargenkabinett verkümmert.
Erklärtexte vom Erzähler
Schrill überzeichnet sind die Figuren, der wuchtige und erregbare Dorfpriester Reverend Hale wird laut, sobald er den Gottesglauben in Gefahr sieht. John Proctor mimt – wenn er nicht gerade eine lässige Gesangseinlage gibt – den verwegenen, schuldbeladenen Bauern mit ausweichendem Blick und Hängeschultern. Abigail, die leidenschaftliche Anstifterin, gibt die Entschlossene und Siegessichere, während Proctors Frau Elizabeth sich still und abgründig in die Opferhaltung fügt.
Bald hasst sich die ganze Dorfgemeinschaft, intrigiert, denunziert und agiert dabei meist recht manieriert, oftmals schreiend und keifend. Gegen die aufgeheizte Stimmung kommt auch der hinzugebetene und ruhig inspizierende Pfarrer und Hexenexperte aus Beverly, Reverend John, nicht an.
Di, 9. 10., 19.30 Uhr, Hamburg, Thalia-Theater
Weitere Aufführungen: 12. 10., 23. 11., 6. 12.
Schließlich windet sich zwischen den Hand- und Wortgemengen schlängelnd ein mysteriöses, magentafarbenes Plüschtier: Tituba – die/das Fremde –, gespielt und getanzt von Sylvana Seddig. Später übernimmt Seddig – aus nicht nachvollziehbaren Gründen und ganz ohne Dringlichkeit – eine Erzählerrolle. Ganz vorn am Bühnenrand steht sie dann und verankert das Geschehen mit didaktischen Erklärtexten doppelt in der Historie. Die Rolle der Tituba stand ihr deutlich besser.
Dann und wann wird die sich zuspitzende Handlung mit Musik, klirrenden Psalmengesängen und Videos von Waldereignissen so kunstvoll wie künstlich gesteigert. Doch Aktualitätsbezüge tauchen deshalb noch lange nicht auf.
Es ist irritierend, wie pflichtbewusst ausgerechnet Stefan Pucher Millers Drama erzählt, wie nonchalant er Meta-Ebenen auslässt, wie schulterzuckend er auf Gegenwärtiges verzichtet. Nein, es ist nicht nur irritierend. Es ist ermüdend, belanglos und ärgerlich.
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