Theater in Politik und Wirtschaft: Kasperles Spielpause
Die Kulturkasper braucht keiner mehr, denn Kasper gibt es schon genug. Heute heißt das Kasperletheater Ampelkoalition, findet unser Autor.
T ri tra trullala. Tri tra trullala. Der Kasperle ist wieder da. Und seid ihr auch alle … Ah, naa, heut is ja wieder keine Vorstellung. Die Leut sehen derzeit halt nicht gern einen Kasperl. Es wird so viel herumgekaspert, sagen die, da braucht man nicht noch einen Extrakasperl. Und außerdem sind mir meine Mitspieler*innen abhandengekommen. Der Teufel macht jetzt in Aktien, weil er auf den größten Haufen scheißen mag, die Gretl ist Influencerin geworden, die Großmutter hat eine Pflegestufe, dass der Sau graust, und der Seppl ist in die Tourismusbranche gangen.
Folklore, verstehst. Der Räuber und der Gendarm arbeiten jetzt ’zamm. Wenn Räuber und Gendarm ’zammenarbeiten, nennt man das Marktwirtschaft. Und jetzt macht auch noch das grüne Krokodil mit. Wenn Räuber, Gendarm und Krokodil ’zammarbeiten, heißt man es Ampelkoalition. Und das ist eine Garantie, dass sich nix ändert bei dera Marktwirtschaft. Also, ein paar Sachen ändern sich schon. Eben zum Beispiel, dass es mit dem Kasperltheater nicht mehr recht geht.
Alsdann, mach ich halt genau das, was Sie auch grad machen. Ich setz mich hin und les eine Zeitung. Die hab ich mir grad extra gestohlen, weil so eine Zeitung, die ist fast genauso altmodisch wie ich selber bin. Also, was ham ma da? Prinzessinnen, Mörder, Krieg, Inflantion … Sie, ich sag Ihnen was. Jetzt ist die Kasperlfamilie schon, warten S’, mehr wie zweihundert Jahre alt. Und immer hat es genau dasselbe gegeben. Prinzessinnen, Mörder, Krieg und Inflantion. Eine Inflation, die interessiert mich freilich weniger. Weil, ich hab ja sowieso kein Geld nicht. Wenn ich jetzt nix hab, heißt dann eine Inflantion vielleicht, dass ich noch weniger als nix hab? Schulden hab ich auch nicht, weil, mir leiht ja eh keiner mehr was. Es ist schon ein rechtes Elend mit uns Kasperln.
Ich erinnere nur an den Kriegsertüchtigungskasperl, so im Jahr 1917, oder an einen Antisemitismuskasperl in den 40ern. Gut, da war ich noch gar nicht da. Aber schenieren tut mich das trotzdem noch. Ich bin ja in der Nachkriegszeit vor allem als Verkehrskasper beschäftigt gewesen. Ich sag Ihnen, als staatlich anerkannter Anarchist war das schon eine Viecherei. Aber gut, hab ich gedacht, wenn es das eine oder andere Kind vor den Automobilen retten tät, dann lass ich mich sogar von einem Polizisten führen. Und dann war ich, warten S’, dass ich mich nicht vertu, Raiffeisen-Sparkassen-Kasper, da hab ich den Kindern sagen müssen, dass sie keine Micky-Maus-Hefterln kaufen, sondern das Taschengeld zur Bank bringen sollen. Da scham i mich heut noch dafür. So ein Micky-Maus-Hefterl ist doch heut viel mehr wert als das Geld auf der Bank. Und dann hab ich noch eine Manufactum-Karriere gemacht. Weil, ich bin ja total natürlich und handwerklich. Aber was nutzt ein Kasperl, wenn ihn niemand spielt? Da kann er nur herumsitzen und Zeitung lesen.
Ich mein, es gäb doch genug zu tun für einen Kasperl wie mich. Ich hab mich ja beworben als Impfkasperl. Aber nix war’s. Dafür sind da die Querdenker gekommen. Was ich immer sag: Wenn es keine gescheiten Kasperl nicht mehr gibt, dann glaubt jeder Depp, er kann herumkaspern, wie’s ihm grad taugt. Jetzt wär vielleicht ein Sondervermögenkasperl recht. Mit einem rechten Kasper können Sie alles verkaufen, glauben S’ mir. Ich könnt auch Ministerkasperl. Einen, der von nix was versteht, der sich überall ein Fassel Bier und ein paar Butterbretzen abzweigt und der nix anders kann wie grinsen. Des Grinsen ist das Schlimmste am Kasperledasein. Ich tät meine Zipfelmützen hergeben, dass ich nicht mehr so blöd grinsen müsst. Aber dann wär ich halt auch kein Kasperl mehr. Jedenfalls haben sie mich nicht als einen Ministerkasperl genommen, weil, haben sie gesagt, von solchenen hätten s’ schon selber genug.
Ich hätt mir zum Beispiel das Verkehrskasperl-Ministerium gut vorstellen können, da tät ich eine Ampel machen: Bei Rot dürfen alle Gendarmen gehen, bei Gelb dürfen alle Räuber gehen, und bei Grün dürfen alle Krokodile gehen. Oder fahren. Weil ich ja Verkehrsminister wär. Und wenn gar nichts mehr geht, dürfen alle Kasperl zum Kassieren kommen. Und dann machen wir uns unsere eigene Inflation. Und dann täten wir uns ein Bier kaufen, und noch eins. Und dann hätten mir ein solches Schädelweh, dass uns gar nix anderes übrig bleiben tät, als dass wir den Verkehr überhaupts erst einmal einstellen täten. Und dann wäre eine Ruhe, bloß dass dann keiner mehr einen Verkehrskasperl-Minister brauchen tät. Aber es braucht ihn ja eh keiner.
Also. Ich hab’ kein Geld, und einen Job krieg ich auch nicht. Wo ich doch eindeutig systemrelevant und Kunst und alles bin. Da hab ich der Frau Kulturkrokodil geschrieben, wegen einer Subvention wegen der Inflation und Corona und alles, und weil keiner mehr ins Kasperltheater geht. Glauben Sie vielleicht, die Frau Kulturkrokodil hätt sich auch nur ein Tränderl verdruckt wegen uns arme Kasperln? Nix! Die Frau Kulturkrokodil muss so viel Kultur eröffnen, dass man gar nicht merkt, wie viel Kultur grad zum Teufel geht.
Mei, aber so eine Zeitung ist fei auch nicht mehr das, was sie einmal war. Einen Großvater von mir, den haben Sie noch verbrannt, weil er in einem Zeitungsbild was gesagt hat, was er nicht hätt sagen dürfen. Dafür sind wir ja einmal erfunden worden, dass wir sagen, was man nicht sagen darf. Aber ehrlich: Die Geschichte vom Kasperl, das ist die Geschichte von seinem Missbrauch. Weil, es ist ja so, dass normalerweise hinter jedem Kasperl ein Mensch steckt. Ich weiß schon, was Sie jetzt sagen wollen, das ist ein alter Witz von mir. Dass hinter jedem Menschen auch ein Kasperl steckt. Da kann ich nur ganz hölzern lachen. Hahaha. Aber im Ernst. Ich glaub, dass wir Kasperl nur noch eine Überlebenschance haben, wenn wir aufhören, uns von den Menschen führen zu lassen. Ein freier, selbstbestimmter, so was von diverser Kasperl, das wäre doch was! Wenn ich bloß mit dem saublöden Grinsen aufhören könnt.
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