„The Sanctuary“ auf Koh Phangan: Einlauf unter Palmen
Kultmythen ranken sich um die Wellness-Oase „The Sanctuary“ in Thailand, das auf der Insel Koh Phangan Hippies wie Hedonisten anzieht. Ein Besuch.
Hinter uns liegt das Dorf Haad Rin, bekannt für Ecstasy-selige Vollmondpartys am Strand. Dort haben legale Cannabis-Shops die Thai-Massagen verdrängt. Statt Drogen und Feiern zieht mich jedoch der Wunsch nach Ruhe und Reinheit auf die Tropeninsel. Und die Frage, was aus der Enklave geworden ist, die unter Weltenbummlern mit Hang zu Yoga und Biokost stets als ultimativer Geheimtipp galt: „The Sanctuary“, angeblich das reale Vorbild für die fiktive utopische Strandkommune in „The Beach“.
Das Refugium – so lautet die Übersetzung von „Sanctuary“ – liegt 15 Minuten Bootsfahrt entfernt, gefühlt jedoch in einer anderen Welt. 1990 errichteten dort zwei Briten, die im Ashram des kontroversen Gurus Osho im indischen Pune gelebt hatten, eine kleine Kommune als holistische Alternative zum Hedonismus der Raver. Anfangs gab es nur einen Schlafsaal, ein Café und eine Meditationshalle – gut versteckt und schwer zu erreichen. Das machte den Platz umso attraktiver für eingeweihte Reisende. Irgendwann, so lautet die Legende, lag dort auch Schriftsteller Garland in der Hängematte und ließ sich zu seinem Bestseller inspirieren.
Ich klettere aus dem Boot und wate durchs seichte Wasser. Der einzige Transportweg in die Bucht von Haad Tien führt nach wie vor übers Meer; einen Jeep durch den Dschungel gibt es nur in Notfällen. Bambushütten zwischen Palmen und Felsen am Steilhang, Liegestühle am Strand. Nichts hat sich optisch verändert. Die Idylle existiert noch. Aber wie funktioniert sie jetzt?
Vor zwanzig Jahren verbrachte ich hier eine Fastenwoche, während meine Familie im angeschlossenen Open-Air-Restaurant asiatische Köstlichkeiten verputzte. Es war für alle wunderbar – bis auf die Nacht, in der wir wegen wummernder Technomusik nicht schlafen konnten. Die Bar neben der Sanctuary existiert zum Glück nicht mehr.
Vieles hat sich bei mir verändert. Ich habe über Missbrauch in Sekten recherchiert, unter anderem bei Agama. Das Yogazentrum befindet sich auf der anderen Inselseite in Srithanu. Nicht erst seit meinem Besuch im ehemaligen Osho-Ashram in Indien meide ich Orte, an denen kriminelle Gurus verherrlicht werden.
Ein US-Autor in Srithanu, der die Impfgegner und Agama-Anhänger in der Ex-Pat-Szene bekämpft, hält neuerdings seine Schreibkurse in der Sanctuary ab. „Mein Lieblingsort, wenn ich Ruhe und Inspiration brauche – und gutes Essen“, schrieb er mir. Das beruhigt mich, auch wenn ich aufs Essen verzichten muss.
Der Empfangsraum ist neu und gekühlt. Zu sanfter Musik bekomme ich einen Limettensaft serviert. Ansonsten unprätentiöser Hippie-Charme und alles wie damals. Ein freundlicher Angestellter, der aus Burma stammt, führt mich die Stufen hoch zu meiner Hütte mit Meeresblick. Diesmal bin ich allein angereist, aber wieder zum „detoxen“ da.
Nan Tawunrat, herzlich und einfühlsam, ist die Leiterin des Wellnessbereichs und in traditioneller chinesischer Medizin ausgebildet. Im Gegensatz zu anderen Einrichtungen ähnlicher Art läuft niemand im weißen Kittel rum und spielt Kurklinik. Die Thailänderin stellt mir lachend den Kater, der sich im Korbsessel räkelt, als „unseren Boss“ vor und macht den Gesundheitscheck: auf die Waage, Blutdruck messen, einen Stundenplan erstellen.
Fünf Tage lang werde ich nichts anderes als Wasser, Tee, Kräuterkapseln und probiotische Shakes zu mir nehmen. Heute gibt es noch einen Rohkostsalat, ab abends dann nur noch Brühe. Und jeden Morgen als heiliges Ritual eine Darmspülung. Tawunrat demonstriert sie mir als Trockenübung in meiner privaten „Colonics“-Kabine und ermuntert mich, nach der Prozedur ein Handyfoto von den Kotresten zu machen: „Daraus kann ich viel ablesen.“
Ich erinnere mich noch gut an ein legendäres Taschenbuch in der Sanctuary-Bibliothek. Die Schwarzweißfotos zeigten dunkle Placken, die sich als toxische Schlacken von der Darmwand gelöst hatten. Diese Ausscheidungen galten auch für Mr. Moon, den damaligen Fastenleiter, als Trophäe fürs erfolgreiche Entgiften. „Schwachsinn, das gibt’s nicht“, war dagegen das Urteil meines Mannes, der als Chirurg Gedärme von innen kennt.
Das Kacke-Buch ist nicht mehr da. Niemand erwähnt Schlacken oder Gurus. Die ersten Gäste, die ich treffe, sind eine ausgebrannte Geschäftsfrau aus Istanbul und ein digitaler Nomade aus Melbourne. Der Australier hat spontan verlängert und bleibt zwei Monate, typisch für viele. Seine Wochenenden verbringt er feiernd in der Nachbarbucht, getreu dem Motto: Erst Detox, dann Retox.
Im lieblichen „Tea Temple“ suche ich mir Heilungsangebote aus: Meditation, Massage, Yoga. Es gibt eine Kakao-Zeremonie mit ekstatischem Tanz. Immerhin ist der Schamane, der sie anbietet, indigener Abstammung: ein Maori.
Meine erste Yogastunde findet im Kerzenlicht zum Konzert der Zikaden statt. Das Studio hat offene Wände und heißt „Buddha Hall“. Die jetzigen Betreiber haben mit Osho nichts am Hut, aber bauliche Relikte aus der Sannyasin-Gründerzeit wie der „Zorba dormitory“ sind geblieben. Darin kann man für knapp 20 Euro schlafen. Die Nacht in einer runden Villa aus Teakholz kostet das Zehnfache.
Am nächsten Tag liege ich auf einem Holzbrett über der Kloschüssel und lasse literweise verdünnten Kaffee aus einem über mir hängenden Eimer in mich rieseln, bis ich zu platzen drohe. Es dauert eine Stunde und strengt an. Bald werden die Einläufe zur Erleichterung, dann Routine. Sie helfen auch gegen Hunger. Der hält sich in Schach, wenn nicht gerade Knoblauchduft vom Restaurant hinüberweht. Nichts zu essen ist viel leichter, als mein Handy auszulassen.
Manager Nolan Dalby treffe ich am dritten Tag. Er hatte eine Kneipe in England, als ihn Freunde vor elf Jahren nach Thailand lockten, um das Sanctuary-Restaurant zu übernehmen. Der Ire hörte damals auf zu trinken und ist daher gespalten, ob man an der Theke Cannabis-Kekse und Jellies verkaufen solle. „Wer sich hier einen Joint anzündet, wird weg zum Strand geschickt“, sagt er. „Wir sind keine Entzugsklinik, aber wir wollen Leuten gesündere Wege zeigen.“
Eine geführte Meditation mit THC-Tropfen sei für 2024 geplant („perfekte Entspannung!“), psychedelische Retreats jedoch nicht. Auch Neo-Tantra wurde eingestellt. „All die Nackten und das Geschrei, das stieß den Anwohnern auf.“ Dalby hat auf der Insel zu viele westliche Männer erlebt, die junge Backpackerinnen bedrängten. Die meisten Gäste waren stets weiblich, zwischen 25 und 55. Unter den Seminarleitern gab es auch übergriffige, sagt er. Seitdem sei die Auslese rigider. Wer einen neuen Workshop anbieten will, muss erst einen Monat zur Probe kommen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Mit Corona blieben die Touristen aus. Nur ein Kern an Mitarbeitern konnte den Laden am Leben erhalten. Dalby kreierte ein Kochbuch und einen Livestream fürs Yogatraining. Noch immer kämpft sein Team gegen den Wildwuchs des Dschungels, der in der Pandemie Bungalows ramponierte. Ab Dezember, hofft der Macher, wird alles wieder auf Hochtouren laufen. „Es ist nicht leicht, die alte Magie zurückzubringen.“
Ich fühle sie bereits. Die Tage vergehen mit Schwimmen im Meer und Schwitzen im Dampfbad – „das beste in Asien“, schwört der Schamane aus Neuseeland, der jedes Jahr zurückkehrt. Wer hier arbeitet, gehört zur internationalen Community. Nan Tawunrat und Nolan Dalby haben sich während des Lockdowns verliebt und wollen heiraten.
Am letzten Morgen warte ich auf den Motorkahn, voller Energie und um zwei Kilo leichter. Die Yogalehrerin sitzt meditierend im Sand. Draußen auf dem Wasser zieht der Schamane im Kajak vorbei. Die Utopie hat überlebt, aber die Legende stirbt: Nicht „The Sanctuary“ stand nach letztem Stand Pate für „The Beach“. Sondern ein Naturreservat auf der Nachbarinsel Koh Samui.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich