: Teuerster Billig-Film aller Zeiten
■ Die Bremer Hip-Hopperinnen „Mutlu“ erobern jetzt auch das Kino und wollen das Monopol der Münchener Komödien brechen
Wer eine Weile in Bremen verbringt, wird irgendwann auf jene Insel namens Bremen-Nord stoßen, die von den Städtern mißtrauisch beäugt wird, weil man dort „ich fahr nach Bremen“ sagt, wenn man die Citybahn nimmt. Auch die Nord-Bremer Konkurrenz zum „Mix“ mit Namen „Nordanschlag“ zeugt davon, daß Bremen-Nord noch mehr Extrawürste braucht als der Rest von Bremen sowieso schon. Niemand sieht einen Widerspruch darin, daß im „Nordanschlag“ das House-Programm der Edeldisco „X-Ite“ zwischen Pennälerwitzen, „News vom Mugge Markt“, Saufgeschichten aus dem „Pinökel“ und den Fabeln um Kapitän Vegebüdel und „Eselchen“ zu finden ist. In „Nord“ rauft man sich zusammen wie in den Kneipen irischer Komödien, und die rappenden Schwestern Sema und Derya Mutlu, beheimatet zwischen Lobbendorf, Blumenthal und Aumund, sind „typische Bremen-Norderinnen“. Großmäulig und besessen, „es zu schaffen“, brachten sie bei Auftritten in der Bahnhofskneipe „Muddys“, Hip-Hopser wie Thekenopis zum springen, und wenn sie erst mal anfangen zu reden, sind sie schwer zu stoppen.
Ein erstes Album „Mutlu kommt“ und zwei Touren mit Udo Lindenberg und dem Babelsberger Filmorchester lagen hinter ihnen, als in diesem Sommer sowohl Label als auch der Vertrieb „Semaphore“ pleite gingen. Die neue Single „Du verlierst dein Gesicht“ liegt erstmal auf Eis. Derya (20) schiebt die großformatige Sonnenbrille in die Stirn und schimpft auf Label, Produzenten und das Business sowieso. „Wir haben viel dazugelernt im letzten Jahr. Wir hatten so einen Besserwisser im Studio, der von Hip Hop keine Ahnung hatte und behauptete, wir hätten ein türkisches Gehör. Wir mußten dem erstmal zehn CDs kaufen, „Dr.Dre“, „LL Cool J“ und sowas, damit die wußten, wovon wir überhaupt reden. Später wollten sie uns vorschreiben, wie wir unsere Chöre setzen sollten und kamen uns mit völlig einfallslosen Arrangements. Wir meinten: ,Hey, das klingt wie jede deutsche Hip-Hop-Band.' Gnädigerweise haben sie uns fünf Minuten gegeben, um alles umzuschreiben, was wir natürlich auch geschafft haben, aber es war eine einzige Schlacht im Studio.“
Produzent „Grooveminister“, abonniert auf seichten Teeniesound, hätte am liebsten seinen eigenen Namen auf der Platte gesehen, und auch sonst werden „Mutlu“ von allen vereinnahmt, denen sie in die Hände fallen. Ausländerbeauftragte und bewegte Sozialpädagogen sanieren ihr schlechtes Gewissen über die Band, gruseln sich aber vor dem Publikum, was das Duo anzieht.
Ein Teil des türkischstämmigen Publikums versucht, den Schwestern wiederum ihre deutschen Texte vorzuwerfen, aber das Gros ihrer Fans scheint zu verstehen. „Wir werden immer auf Hip Hop festgelegt, und das sind wir nicht, aber ich würde mich auch nicht als Ausländerin definieren“, merkt Sema (28) an.
Neben Tourneen, Konzerten oder Einladungen zu Podiumsdiskussionen haben Mutlu jetzt auch einen Film gedreht. Sie spielen sich selbst an der Seite von Dietmar Schönherr und Tito Tarantula, bekannt als rockender Vampir aus „From Dusk till Dawn“, dem teuersten Billigfilm aller Zeiten. „Der Schrei des Schmetterlings“ kommt 1999 in die Kinos und ist einer dieser neuen Filme im europäischen Format, die das Monopol der Münchener Komödie brechen wollen.
„Tito & The Tarantulas spielen eine Band namens ,Joey & The Roadrunners', und wir sind die Vorgruppe“ berichtet Sema. „Tito ist der Vater eines Jungen, der eine Beziehung zu einem krebskranken Mädchen hat, welches am Anfang mit uns zusammen auftritt, aber dafür später zu schwach ist. Wir haben auch zwei Songs für den Soundtrack geschrieben. Diese Art von Promotion ist unbezahlbar.“ Für die nahe Zukunft arbeiten „Mutlu“ an der Zusammenstellung einer Band und liebäugeln mit Musikern von „Captain Candy“ und „Verstärker“. „Danach machen wir viele Solo-Projekte“, verrät Derya noch. „Ich mache sowas wie ,Prodigy' mit ganz vielen Streichern!“
Tommy Blank, Soundagent
Die Mutlu-Schwestern treten heute, Donnerstag, um 20 Uhr bei der letzten Stagebox im Modernes auf.
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