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Teuere Hinterlassenschaft der Atomindustrie100 Jahre Atomruine

Das AKW Hamm wurde einst als Zukunft der Atomtechnik gepriesen. Jetzt steigen die Kosten für den Rückbau. Bis 2080 wird der Reaktor die Staatskasse belasten.

Im Kraftwerk Westfalen wird heute Kohle verfeuert. Auf dem gleichen Gelände befindet sich der alte Hochtemperaturreaktor Bild: imago/Arco Images

BOCHUM taz | Entsorgung und Abriss des Thorium-Hochtemperaturreaktors (THTR) im westfälischen Hamm werden teurer als bisher verkündet. Die Bundesregierung räumt ein, dass der für die Jahre 2033 bis 2044 geplante Rückbau des einstigen Vorzeige-AKWs mindestens 404 Millionen Euro kostet.

Bisher waren es offiziell 350 Millionen Euro. Hinzu kommen „Endlagervorausleistungen in Höhe von 210 Millionen Euro“, schreibt das Bundesforschungsministerium in einer der taz vorliegenden Antwort auf eine Anfrage der grünen Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl und Oliver Krischer.

Fällig werden die „bis 2080“. Damit werden die SteuerzahlerInnen auch 91 Jahre nach der Stilllegung des Kugelhaufenreaktors zahlen müssen: Der THTR war schon 1989 nach einer ganzen Pannenserie, bei der auch Radioaktivität austrat, abgeschaltet worden.

Dabei war der Reaktor einst Lieblingsprojekt der nordrhein-westfälischen SPD: Die hohen Temperaturen des kommerziell betriebenen AKWs mit 300 Megawatt Leistung sollten auch eine wirtschaftliche Umwandlung von Steinkohle in Gas sicherstellen. In den 70ern wollte die SPD Deutschland so unabhängiger von Gasimporten machen und den Bergbau retten. Doch der THTR war eine Fehlkonstruktion: Seine kugelförmigen Brennelemente zerbröselten.

Der Betreibergesellschaft, die Hochtemperaturreaktor-Kernkraftwerk GmbH (HKG), hinter der Atomstromkonzerne wie RWE stehen, drohte deshalb schon damals die Pleite. Heute tragen der Bund und das Land NRW ein Drittel der Endlagervorausleistungen.

400 Millionen reichen kaum

„Ein Jahrhundert nach seiner Abschaltung wird der Reaktor die Gesellschaft noch mit Kosten belasten“, klagt Kotting-Uhl. Für sie ist der THTR, der auch nach seiner Stilllegung so viel Strom wie ein ganzes Dorf verbraucht, ein „Symbol für den Irrsinn der Atomkraft“.

Dabei dürften die offiziellen Kosten massiv geschönt sein. „Traumtänzerei“ seien die genannten Rückbaukosten von 400 Millionen Euro, sagt der Chemiker Rainer Moormann, der sich am Kernforschungszentrum Jülich 26 Jahre mit der Sicherheit von Kugelhaufenreaktoren beschäftigt hat. Schon 1989 wurden die Rückbaukosten von unabhängigen Experten auf bis zu 2 Milliarden Mark beziffert.

Moormann hält deshalb eine Größenordnung von mindestens einer Milliarde Euro für „nicht unrealistisch“. Geld, das der Betreiber HKG nicht hat. Er verweist dazu auf Erfahrungen mit dem Jülicher Forschungsreaktor AVR als Vorläufer des THTR: „1990 wurden die AVR-Rückbaukosten auf 39 Millionen Mark beziffert. Heute liegen wir bei 700 Millionen Euro – und das wird nicht reichen“, sagt er.

Radioaktive Staubschicht

In Hamm sind von den rund 600.000 eingebrachten Brennelementkugeln rund 25.000 beschädigt worden. „Teilweise wurden die von den zur Steuerung des AKWs eingefahrenen Absorberstäben richtig zerdrückt“, sagt Moormann. Das Innere des Hammer Reaktors sei deshalb mit einer radioaktiven Staubschicht bedeckt. Obwohl die intakten Brennelemente ab 1992 in das Zwischenlager Ahaus gebracht wurden, werden im THTR noch bis zu 1,6 Kilogramm Atombrennstoff vermutet.

Wie das radioaktive Material entsorgt werden soll, ist bis heute unklar. Das Bundesforschungsministerium, das den zur Atomlobby gehörenden Castor-Hersteller Siempelkamp mit der Kostenschätzung beauftragt hat, spricht von einer „frühen Projektphase“. Rückbaukosten von 400 Millionen Euro seien „grobe Abschätzungen“.

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6 Kommentare

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  • A
    Abakus

    Eine "reife" Technologie wird die Kernkraft nie werden. Der Mensch sollte aufhören, zu glauben, dass er alles beherrschen kann. Manchmal ist die Natur (zu der die Kernkraft letztendlich zählt) eben doch stärker.

     

    Wäre die Rede davon, in ein neues Wasserkraftwerk im Laufe seiner Lebensdauer 400 Millionen Euro zu stecken, ginge ein empörter Aufschrei durch die Bevölkerung (zu Recht!). Doch bei Atomkraftwerken scheint eine dermaßen hohe Summe akzeptabel zu sein. Man muss sich schon wundern....

  • M
    MartinP

    Na sicher dauert das alles eine gewisse Zait lang! Gleiches auch bei der so g. "Energiewende". Glubt irgendjemand, dass uns das kürzer beschäftigen wird, dass man AKW innerhalb von ein paar Monaten einfach so von Landkarten streichen könnte?

     

    Dennoch mag ich diesen Artikel nicht! Ob seiner Einseitigkeit. Neue Technologien wie Buchdruck, Autos, Fernsehen etc. sind nicht bei Version 1 fertig. Sie werden stets in Wellen (fort-)entwickelt. Man hätte dem Reaktor in Hamm-Uentrop auch noch etwas Zeit geben können. Dann hätte man heute eine reife Technologie! Eine Kernschmelze ist bei diesem Typ Reaktor mit seinem in großen Mengen vorhandenen Brennstoff gar nicht möglich, ohne externe Neutronenquelle arbeitet der gar nicht erst.

     

    Vor allem fehlt in dem Artikel, dass das (kommunistische) China vor ca. 2 Jahren einen ersten Thorium-Reaktor in Betrieb genommen hat.

     

    Blöd sind sie nicht, die Chinesen! (Bei BewohnerInnen von 'schland wäre ich mir da nicht so sicher...)

    • @MartinP:

      Martinp: In deinem Kommentar steckt zuviel Naivität und Polemik! Einseitiger Artikel? Mir liegt die "Antwort der Bundesregierung, Drucksache 17/14588" vor und muss leider bestätigen, dass die Zahlen stimmen.

  • VM
    v. muthers

    Knallharte Lügen die Prgonose des Rückbau's von Siempelkamp sie auftischt machen das auch die BfS Leute z.B. vor dem berliner Hauptbahnhof am Sonntag "die Endlagerung würde Komplett von den AKW Betreibern getragen", "in Fukushima sei nur ganz wenig Land verseucht-knapp 30 km" musste ich mir anhören von einem, offensichtlich gut geschulten MItarbeiter in deren "Info-Castor-Container am Washington Platz. "gemeinsame verantwortung" hatte ich auch bezweifelt und musste mich immer eines besseren belehren lassen.

    Wahnsinn ist das ganze Atomzeugs NUR WAHNSINN DER IN MASSENVERNICHTUNG ENDEN MUSS! (ICH WÜRDE GERNE MUSS UNTERSTREICHEN UND DASS NACHDRÜCKLICH)

     

    mfg v. muthers

    berlin

  • P
    Physikstudent

    Zwar offenbart dieser Artikel nichts Neues, dennoch möchte ich mich bedanken, dass Sie ihn hier publiziert haben. Es schadet nicht, immer wieder vor Augen geführt zu bekommen, wie irrsinnig diese Technologie ist und welch großen Fehler die Menschheit begangen hat, auch nur daran zu denken, dass man Kernenergie für zivile Zwecke bändigen könnte. Ich verurteile nicht die Menschen, die damals diese Schritte unternommen haben. Die meisten wussten es wohl nicht besser. Jedoch verurteile ich jeden, der sich trotz all dem Wissen, über welches wir inzwischen verfügen, weiterhin für die Nutzung der Kernenergie einsetzt, ja auch nur positiv darüber spricht. Wir müssen so schnell wie es nur irgendwie geht mit diesem Irrsinn aufhören! Jeder weitere Tag erzeugt weiteren Müll, birgt die Gefahr eines Unfalls.

    • N
      Nachdenker
      @Physikstudent:

      Also, wenn ich so was lese, kommen

      mir die Nackenhaare hoch!

       

      Das wird wieder mal alles "ultra" übertrieben sein.

       

      Oder wussten sie auch nur eine von den 100 fragen anders zu beantworten??

      Also doch ahnungslos und immer schön Mainstream sein! Denn das ist heute "in"! Nie Nachdenken oder selber mal informieren.

       

      Aber bei der nächsten EEG Umlage sich wieder beschweren...und die wird kommen!

       

      http://100-gute-antworten.de/lesen/