Terrorgruppe Islamische Jihad Union: "100 bis 200 Kämpfer"
Seit der Festnahme von drei jungen Islamisten im Sauerland wird gerätselt: Existiert die Terrororganisation IJU tatsächlich? Die Stiftung Wissenschaft und Politik sagt: Ja!
Die Islamische Jihad Union (IJU) scheint aus deutscher Sicht derzeit die gefährlichste islamistische Terrorgruppe zu sein, gleich neben al-Qaida. Und doch weiß man nur sehr wenig über sie, manche zweifeln sogar, ob sie als Gruppe überhaupt existiert. Ein der taz vorliegendes noch unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag der Bundesanwaltschaft erklärt jetzt: Die IJU existiert, sie ist "eine eigenständige terroristische Vereinigung". Autor ist Guido Steinberg von der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik. Die IJU sei eine Gruppe von rund 100 bis 200 global ausgerichteten Kämpfern, die vor allem aus Usbekistan stammen und ihren Sitz im pakistanischen Bergland, an der Grenze zu Afghanistan haben. Die IJU habe enge Kontakte zu al-Qaida.
Zum ersten Mal hörte man in Deutschland von der IJU, als im vergangenen September drei junge Islamisten im Sauerland festgenommen wurden. Die deutschen Kovertiten Fritz Gelowicz, Daniel Schneider und der Türke Adem Yilmaz hatten in einem Ferienhaus versucht, Sprengstoff herzustellen. Generalbundesanwältin Monika Harms bezeichnete die drei anschließend als "Mitglieder" und als "deutsche Zelle" der Islamischen Jihad Union.
Die Mitglieder der Sauerland-Gruppe sollen in Terrorlagern der IJU in Pakistan ausgebildet worden sein, sie sollen auch nach der Rückkehr in Deutschland weiter Kontakt zu ihren Hintermännern gehabt haben. Diese hätten sie zum baldigen Losschlagen gedrängt. Zwölf große Fässer Wasserstoffperoxid hatten sie sich als Grundstoff bereits besorgt, daraus sollte Stoff für mehrere gewaltige Autobomben werden. Ausgerechnet eine bisher völlig unbekannte usbekische Terrorgruppe sollte die wohl schwersten Terroranschläge in Deutschland in Auftrag gegeben haben? Das wirkte mehr als seltsam.
Ohnehin haben deutsche Sicherheitsbehörden die drei Islamisten monatelang rund um die Uhr überwacht, den gefährlichen Inhalt der Fässer ausgetauscht und die jungen Männer weit im Vorfeld konkreter Attentate verhaftet. Die Islamisten um Fritz Gelowicz. wussten sogar von der Überwachung und trieben gelegentlich Späße mit den Verfolgern. Es schien, als wollten die Sicherheitsbehörden die Gruppe gefährlicher erscheinen lassen, indem ihnen die Einbindung in eine internationale Struktur unterstellt wurde.
Eine Woche nach der Verhaftung kam zwar ein Bekennerschreiben der Islamischen Jihad Union, das die Verantwortung für die Anschlagsplanung übernahm, doch der baden-württembergische Verfassungsschutz zweifelte an dessen Authentizität - ja sogar an der Existenz der IJU überhaupt. Gegenüber dem ARD-Magazin "Monitor" und der taz machte der Dienst die Zweifel sogar öffentlich. Ein wohl beispielloser Vorgang.
Die Verfassungsschützer im Rest der Republik ätzten, ihre Stuttgarter Kollegen seien wohl nicht "im Vollbesitz der Informationen". Sie und die Bundesanwaltschaft gingen weiter von der Existenz der IJU und der Authentizität des Bekennerschreibens aus.
Inzwischen hat die Zahl von Lebenszeichen der Jihad Uniondeutlich zugenommen. Auf der türkischen Internetseite www.sehadatvakti.com (Zeit für den Märtyrertod) werden regelmäßig neue Erklärungen und Videos der IJU veröffentlicht.
So übernahm die IJU auch die Verantwortung für den Selbstmordanschlag von Cüneyt Ciftci. Der Türke sprengte sich Anfang März in Afghanistan in die Luft und tötete zwei US-Soldaten und zwei afghanische Zivilisten. Wieder gab es eine Verbindung mit Deutschland. Ciftci ist in Bayern geboren und hatte bis vor einem Jahr in Ansbach gelebt. Er war sozusagen der erste islamistische Selbstmordattentäter aus Deutschland.
Die nächsten deutschen "Märtyrer" könnten der saarländische Konvertit Eric Breininger und der Ägypter Houssain al-Malla sein, die sich derzeit in Afghanistan oder Pakistan aufhalten sollen und auch der IJU zugerechnet werden. In Afghanistan werden deutsche Truppen per Steckbrief vor Breininger gewarnt. Es wird befürchtet, dass er als Deutscher leicht Kontakt zu deutschen Soldaten findet und sich dann gemeinsam mit ihnen in die Luft sprengt.
Inzwischen hat nun auch der Bundesgerichtshof (BGH) die Existenz der IJU angenommen. Als er Mitte April die Untersuchungshaft der Sauerland-Islamisten verlängerte, ging er von der Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorgruppe aus, gestützt auch auf das Steinberg-Gutachten.
Die Anwälte der Sauerland-Gruppe sind aber noch nicht überzeugt. "Die Sicherheitsbehörden haben mit der IJU eine interessante Marke geschaffen, die nun offensichtlich auch von den Islamisten gerne benutzt wird", kritisiert Anwalt Dirk Uden, der Verteidiger von Fritz Gelowicz. "Das beweist aber überhaupt nicht, dass es 2007 eine IJU gab und mein Mandant ihr angehört hat."
Fritz Gelowicz und die anderen haben bisher keine Aussagen gemacht.
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