Terrorexperte über 9/11-Folgen: "Krieg war das Mittel erster Wahl"
Eric Schmitt, Terrorexperte der "New York Times", über konservative Hardliner, eingeschränkte Bürgerrechte in den USA und die Nervosität der Geheimdienste.
taz: Wie haben Sie am 11. September 2001 von den Anschlägen erfahren?
Eric Schmitt: Ich brachte meine kleinere Tochter zur Vorschule in der Nähe meines Hauses in Fairfax, Virginia. Die ersten Berichte über ein Flugzeug, das ins World Trade Center gestürzt war, liefen da schon im Radio. Als ich nach Hause kam, war das zweite Flugzeug in den anderen Turm geflogen.
Und erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Gedanken? Konnten Sie sich vorstellen, was dieses Ereignis alles lostreten würde?
Ich war 1991 mit den US-Truppen im Golfkrieg gewesen, war mit den US-Militärs bei den Interventionen in Haiti und Somalia, und ich hatte vom Nato-Hauptquartier in Europa aus über die Jugoslawienkriege berichtet. Trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, wie dramatisch der 11. September unser aller Leben verändern würde.
Alle schrieben damals: Nach diesem Tag wird nichts mehr so sein wie zuvor. Stimmt das aus der Rückschau?
In gewisser Weise schon. Die Vorsichtsmaßnahmen beim Flugverkehr, zum Beispiel, gehören nun permanent dazu. Die US-Regierung gibt heute hunderte Milliarden Dollar jährlich aus, um das Land vor einem weiteren Angriff mit tausenden Toten zu schützen und jene Militanten aggressiv zu verfolgen, die solche Anschläge ausführen könnten.
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Aber nachdem ich längere Zeit im Westen, Süden und Mittleren Westen der USA verbracht habe, habe ich schon den Eindruck, dass sich die Menschen dort von den Anschlägen persönlich viel weniger betroffen fühlen als die in New York und Washington. Das ist verständlich.
Wer hat Ihrer Ansicht nach von den Anschlägen profitiert? Anders gesagt: Wohin hat sich Macht verschoben, und wer hat durch 9/11 an Einfluss gewonnen?
ERIC SCHMITT, 51, ist der Terrorexperte der "New York Times". Er berichtete für die amerikanische Zeitung aus Afghanistan, Pakistan, Nordafrika und Südostasien. Er erhielt zweimal den Pulitzer-Preis als Teil eines Reporterteams, 1999 für eine Geschichte über die Weitergabe geheimer Militärtechnologie an China und 2006 für die Berichterstattung über Pakistan und Afghanistan.
Schmitt arbeitet seit 1983 für die "Times" mit verschiedenen Schwerpunkten. Unter anderem berichtete er für das Blatt über den ersten Golfkrieg, den Krieg in Somalia und die Unruhen in Haiti 1994. Darüber hinaus war er lange Jahre der Pentagon-Reporter des Blattes.
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Eric Schmitt hat gemeinsam mit Thom Shanker das Buch "Counterstrike - The Untold Story of America's Secret Campaign Against Al Qaeda" (Times Books 2011, 324 Seiten) herausgebracht, das sich vor allen Dingen mit der Rolle der amerikanischen Regierung und ihren richtigen wie falschen Entscheidungen nach den Terroranschlägen des 11. September 2011 befasst.
Am Anfang haben ganz sicher die konservativen Hardliner in den USA Aufschwung bekommen. Sie konnten erfolgreich neue Gesetze und Verordnungen durchsetzen, mit denen Bürgerrechte eingeschränkt und Menschenrechte verletzt wurden. Ich erwähne da etwa die Geheimgefängnisse der CIA. Aber viele dieser härteren Maßnahmen sind während der zweiten Amtszeit Präsident Bushs oder von Präsident Obama zurückgefahren worden.
Rechtfertigen die Ergebnisse im Rückblick die Kosten? Mit Kosten meine ich die zwei Kriege, den Tod von Soldaten und Zivilisten, den Raubbau an den US-Ressourcen und den Ansehensverlust nach den Folterskandalen. Wie werden Historiker die US-Reaktion auf die Anschläge bewerten?
Ich denke, es ist einfach eine Tatsache, dass einige der Entscheidungen, die im Namen des Kampfes gegen den weltweiten Terrorismus getroffen wurden, nicht mit den höchsten Werten unserer Nation zu vereinbaren sind. Der Beweis dafür ist auch, dass viele dieser Entscheidungen wieder zurückgenommen wurden.
Wie hat sich der Blick der USA auf die Welt verändert?
Unmittelbar nach den Anschlägen genossen die USA eine breite weltweite Unterstützung, um gegen Al-Qaida und ihre Gastgeber von den Taliban in Afghanistan zurückzuschlagen. Der Großteil dieser Unterstützung ging verloren, als die USA in den Irak einmarschierten. Unter Präsident Obama hat die Regierung versucht, einiges dieser Glaubwürdigkeit wieder herzustellen. Aber das ist sehr schwierig.
Hat sich die US-amerikanische Psyche von den Anschlägen erholt?
Nach 9/11 war Krieg das Mittel der ersten Wahl. Es war eine verständliche, wenngleich auch nicht immer elegante Antwort auf die Schrecken der Anschläge. Aber, wie ich mit Thom Shanker in dem Buch "Counterstrike" dargelegt habe: Die Regierung verfolgt inzwischen eine breiter angelegte Strategie, um gegen gewalttätigen Extremismus vorzugehen. Dazu gehören Entwicklung, Bildung, und so weiter. Aber das braucht Zeit, der Erfolg ist sehr schwer messbar und man braucht Geduld - und genau das hat diese Nation nicht.
Wie würden Sie die Rolle der Medien bei der 9/11-Berichterstattung beschreiben? Die USA hatten noch nie einen Angriff auf heimischem Boden erlebt. War das einer der Gründe, warum Journalisten etwa in der Frage der irakischen Massenvernichtungswaffen nicht härter auf Beweisen bestanden?
Ja, darüber haben wir auch lange diskutiert. Die US-Medien wurden zu Recht dafür kritisiert, die Behauptungen der US-Regierung nicht misstrauischer begleitet zu haben. Diese bittere Lektion hat auch Einfluss darauf, wie wir heute über ähnliche Vorwürfe der Regierung berichten, etwa gegenüber Iran.
Obama hatte versprochen, mit der Schließung Guantánamos und dem Ende der Folter die Post-post-9/11-Ära einzuleiten. Wie weit ist er gekommen?
Ganz offensichtlich hat Obama festgestellt, was auch George Bush spät in seiner zweiten Amtszeit begreifen musste. Es ist viel leichter, zu erklären, dass Guantánamo geschlossen werden müsse, als es wirklich zu schließen. Es gibt einen großen Widerstand in den USA dagegen, Guantánamo-Gefangene in die USA zu bringen.
Welche Rolle werden der Terror und 9/11 in den nächsten Wahlen spielen?
Wenn es bis dahin keinen erfolgreichen großen Anschlag in den USA gibt - wenig bis gar keine. Die Präsidentschaftswahlen werden sich ausschließlich um die Wirtschaft drehen.
Umfragen zeigen, dass die Republikanische Partei sich weiter nach rechts bewegt. Können Sie sich vorstellen, was ein republikanischer Präsident für die nationale Sicherheit und die Außenpolitik bedeuten würde? Wäre er aggressiver?
Wenn ein Republikaner vom konservativen Flügel gewählt würde, würde die Wahrscheinlichkeit eines isolationistischen Kurses der USA deutlich steigen. Die Entwicklungshilfe würde noch weiter gekürzt werden als ohnehin schon. Die USA würden keine neue internationalen Verträge unterschreiben.
Wie würden Sie die derzeitige neue Generation von Terroristen charakterisieren. Ist Al-Qaida durch den Tod Osama bin Ladens geschwächt? Und wichtiger noch: Ist die westliche Welt darauf vorbereitet, mit dieser neuen Generation umzugehen?
Ja, der Kern von Al-Quaida ist nach dem Tod von Osama bin Laden und dem gerade erst bestellten zweiten Anführer Atiyah abd al-Rahman stark geschwächt. Die Drohnenangriffe der CIA haben die in Pakistan agierenden Al-Qaida-Führer mächtig unter Druck gesetzt. Aber die neue Generation von Terroristen wächst im Jemen heran, in Somalia, im Maghreb und sogar hier in den USA: Es sind "einsame Wölfe", die über englischsprachige Internetseiten radikalisiert werden, etwa die von Anwar al-Awlaki. Das ist kurzfristig die größere Bedrohung.
Und was heißt das alles für Afghanistan und Pakistan? Gibt es Chancen, mit den jüngeren Taliban zu verhandeln, die von der Existenz Guantánamos so stark geprägt wurden?
Die neue Taliban-Generation hört sehr viel weniger auf die Wünsche und Befehle der afganischen Talibanführung im pakistanischen Quetta. Sie sind gewalttätiger, stark ideologisch motiviert und drängen mehr auf sofortige Angriffe als auch Langzeitplanungen gegen die USA und Europa.
Wie werden die Veränderungen in den arabischen Welt die Anti-Terror-Politik der USA beeinflussen?
Das ist wirklich schwer vorherzusagen. Es wird von Land zu Land unterschiedlich sein. Wird der ägyptische Geheimdienst ein treuer Verbündeter bleiben? Was ist mit den Sicherheitsdiensten von Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh? Die US-Sicherheitsbehörden und Geheimdienste sind wegen dieser Fragen ziemlich nervös.
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