Terror Spätestens seit den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ gelten Gefängnisse auch in Europa als Brutstätten für islamistische Attentäter. Drei deutsche Muslime tun alles, um das zu verhindern: Drei gegen den Dschihad
Aus Frankfurt am Main, Wien und Berlin Sabine am Orde
Mustafa Cimşit ist spät dran. Schnell stapelt er die hellen Holzstühle aufeinander, dann bringt er sie mit der Sackkarre ins Nebenzimmer, das große Kreuz und das Marienbild trägt er gleich hinterher. Er schiebt den Gebetsschrein und die Treppe an die helle Betonwand und rollt drei lange, dunkelrote Teppiche aus. In wenigen Minuten hat er den lichten, hohen Raum von einem christlichen in einen muslimischen Gebetsraum verwandelt.
Die Tür geht auf, 15 Männer kommen herein, zwei Beamte begleiten sie. Die Männer, meist in Sporthosen, ziehen die Schuhe aus und lassen sich in zwei Reihen auf den Teppichen nieder.
Hinter ihnen fällt der Blick durch ein langes, schmales Fenster. Nicht weit entfernt steht eine 15 Meter hohe Mauer, oben ist sie mit Stacheldrahtrollen gesichert. Es ist Freitagsgebet in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt I.
Mustafa Cimşit ist hier Imam. Und keiner, der nur am Freitag kommt. Cimşit gehört dazu. Er hat einen eigenen Raum, an seinem Schlüsselbund baumelt ein Transponder, mit dem er die Gefängnistüren öffnen kann. Damit ist er eine Rarität. Bundesweit gibt es nur zwei muslimische Geistliche, die fest im Gefängnis arbeiten. Cimşit in Frankfurt und ein Kollege in Wiesbaden. Christliche Seelsorger gibt es in jeder JVA.
Manche der Männer, die sich hier freitags gen Mekka niederwerfen, gelten in der deutschen Sicherheitsszene als Risikogefangene. Von einem „hohen einstelligen Bereich solcher Delikte“ spricht der Anstaltsleiter. Sie sind Rückkehrer aus dem Dschihad oder sitzen wegen des Verdachts, einen islamistischen Anschlag geplant zu haben, in Untersuchungshaft. Und manche warten auch nur auf einen Prozess wegen Delikten wie Raub, Drogendelikten oder Körperverletzung. Aber aus ihnen könnten Risikogefangene werden – Männer wie Arid Uka, Emrah E. oder Kreshnik B.
Auch deshalb kommt Cimşit nicht mehr nur am Freitag, sondern vier Tage in der Woche in die JVA.
Arid Uka, 25, hat den bislang einzigen erfolgreichen islamistischen Anschlag in Deutschland verübt. 2011 erschoss er am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzte zwei weitere schwer. Er bekam eine lebenslängliche Haftstrafe.
„Das wir auch Muslime sind, ist der Türöffner“
Kreshnik B., 20, reiste im Juli 2013 von Frankfurt über Istanbul nach Syrien und kämpfte dort für den „Islamischen Staat“. Er sitzt für drei Jahre und neun Monate im Gefängnis.
Emrah E., 26, zog von Wuppertal aus erst im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet für al- Qaida, dann in Somalia für die Al-Shabab-Miliz in den Dschihad. Im November 2010 warnte er das Bundeskriminalamt vor einem Anschlag auf den Bundestag. Die Beamten und auch der Innenminister glaubten ihm. Das Reichstagsgebäude wurde mit Gittern abgesperrt, die Polizei schickte schwer bewaffnete Patrouillen in Flughäfen und Bahnhöfe. Die Warnung war frei erfunden. Emrah E. wurde später zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Arid Uka, Kreshnik B., Emrah E.: Alle drei saßen in den vergangenen Jahren jeweils für einige Zeit in der JVA Frankfurt I in Untersuchungshaft. Alle drei haben freitags mit Cimşit in dem lichten, hellen Raum gebetet. Und bei allen dreien stellte sich die Frage: Wie kann man verhindern, dass sie irgendwann als lebende Zeitbomben das Gefängnis verlassen? Dass sie Mitgefangene für ihren Kampf werben? Wie kann man sie vom religiösen Fanatismus abbringen?
Mustafa Cimşit hat den weißen Gebetsmantel angezogen, der Koran liegt aufgeschlagen vor ihm in der Gebetsecke. An diesem Freitag Anfang Juni spricht er über den Ramadan, der kurz bevorsteht. „Noch mal zur Erinnerung: Was ist ein guter Muslim?“, fragt er. Cimşit versucht, die Gefangenen vom guten Islam zu überzeugen. Sie von der radikalen Ideologie abzubringen. Er sagt: „Man muss die Vorstellung entkräften, dass sie für die Muslime etwas Gutes tun.“
Daran arbeitet auch Gülden Sahin vom bayerischen Verfassungsschutz. Es ist ein Montag im Mai, am Vorabend ist die 34-Jährige mit dem Zug von München nach Wien gefahren. Jetzt sitzt sie in einem fensterlosen Konferenzsaal in einem Gebäude der UN und diskutiert mit anderen Experten über „Radikalisierung von Jugendlichen“. Sahin, lange braune Haare, große Brille, enge sonnengelbe Hose, ist in Sachen Islamismus die Kontaktfrau des Verfassungsschutzes für die bayerischen Gefängnisse. Es ist der einzige Posten dieser Art in Deutschland. Sie ist auch so eine Rarität. Wie Cimşit .
„Unser JVA-Projekt ist 2005 entstanden, nach den Anschlägen von Madrid“, sagt Sahin und klickt sich langsam durch ihre Power-Point-Präsentation. Bei den Anschlägen auf vier voll besetzte Vorortzüge kamen im Jahr zuvor fast 200 Menschen in der spanischen Hauptstadt ums Leben. Einer der Attentäter hatte sich im Gefängnis radikalisiert.
Seitdem ist in dem Amt im Münchener Norden eine Mitarbeiterin für den Kontakt in die Gefängnisse zuständig. Seit zwei Jahren ist das Gülden Sahin. Sie schult Vollzugsbeamte in Sachen Islamismus, gut zwei Stunden dauert das. Sie erklärt, worauf die Beamten achten, was sie stutzig machen sollte. Sahin teilt Listen mit grünen Vögeln, arabischen Schriftzügen und anderen, häufig verwendeten islamistischen Symbolen aus. Und gibt Aufstellungen von bedenklichen Veröffentlichungen weiter. Alle sind als vertraulich eingestuft, anschauen kann man sie nicht.
Bei ihren Besuchen untersucht sie Gefängnisbibliotheken nach extremistischer Literatur. Sie hat Bücher von bekannten islamistischen Autoren wie Abdul-Rahman al-Sheha gefunden, der das Schlagen von Frauen rechtfertigt. Und ein Werk von Muhammad al-Maqdisi, einem Ideologen des Dschihad. Jemand hat sie in der Bibliothek zurückgelassen. Mithilfe solcher Schriften soll missioniert und radikalisiert werden.
In jeder bayerischen JVA ist Sahins Durchwahl bekannt. „Wenn es dort Fragen oder Anliegen gibt, können sie sich direkt an mich wenden“, sagt die Verfassungsschützerin, sie selbst hat pro Haftanstalt zwei oder drei Ansprechpartner. „Der persönliche Kontakt ist sehr wichtig.“
Sahin ist in Bayern geboren und aufgewachsen, die Eltern schickten ihre einzige Tochter auf ein Gymnasium, danach studierte sie Politikwissenschaften. Sie machte ein Praktikum im Bundestag, engagierte sich im deutsch-türkischen Forum der CDU, ihre Abschlussarbeit schrieb sie über die Integrationspolitik der Christdemokraten. Dann heuerte sie beim Verfassungsschutz an.
Sahin zeigt ein Bild: Es ist der Schattenriss eines Mannes, der sich an Gitterstäben klammert, schwarz auf gelbem Grund. Ein Beamter hat es in einer Zelle fotografiert und ihr geschickt. Es sieht harmlos aus, ist es aber nicht. „Es ist das Logo von Ansarul Aseer.“ Das salafistische Netzwerk, das inzwischen verboten ist, unterstützte Muslime in Haft und warb neue Anhänger. Sahin empfiehlt den Beamten, herauszufinden, warum der Gefangene das Logo aufgehängt hat. „Das kann viele Gründe haben: Provokation, ein schlechter Scherz, Unwissenheit oder echte Sympathie.“ Es muss nicht zwangsläufig auf eine Radikalisierung hindeuten. Kann es aber.
Das Frankfurter Büro von Violence Prevention Networks (VPN) ist im ersten Stock eines Neubaus im Stadtteil Bockenheim. Hasan Hüseyin ist gerade von einer Konferenz aus Paris zurückgekommen. Das Thema auch dort: Radikalisierung und der Kampf dagegen. Hüseyin, 27, ein kräftiger Mann mit kurz gestutztem dunklem Bart und ebensolchem Haar, hat den Pony hochgegelt. Den Namen hat er sich ausgedacht, seinen richtigen will er nicht in der Zeitung lesen. Er ist Islamwissenschaftler und Pädagoge, er hat sich als Imam engagiert, jetzt arbeitet er als Antigewalt- und Kompetenztrainer mit Islamisten in hessischen Gefängnissen, wie es im Fachjargon heißt. Er ist ein ernster, ruhiger Mann. „Unser Ziel ist, diese Gefangenen zu verunsichern, sie zu eigenem Denken anzuregen, und dazu, dass sie Verantwortung übernehmen.“
Das salafistische Weltbild der Inhaftierten, das auf alle Fragen einfache Antworten hat, soll aufbrechen. Es teilt die Welt in Gut und Böse, Gläubige und Ungläubige, Wir und Sie. Wir, das sind die Guten, die ein gottgefälliges Leben führen und damit automatisch auf der richtigen Seite stehen. Die als Muslime diskriminiert werden und in der westlichen Welt keine Chance haben – und die den unterdrückten Brüdern und Schwestern in Syrien, im Irak und anderen Teilen der Welt zu Hilfe eilen müssen. Wenn nötig, auch mit Gewalt. Denn das, so die Ideologie, sei die Pflicht eines guten Muslims. Wer das anders sieht, gilt als Ungläubiger.
Mustafa Cimşit, Gülden Sahin und Hasan Hüseyin sind auch Muslime. Sie sind drei Deutsche, deren Eltern als Gastarbeiter aus der Türkei ins Land kamen. Drei, die darum kämpfen, dass es hierzulande nicht mehr, sondern weniger gefährliche Islamisten gibt.
Noch sind sie Ausnahmen. Vielerorts wird geredet und geplant – gearbeitet aber am Fanatismus inhaftierter Islamisten wird bislang kaum. Dabei kann er sich in Haft so wunderbar verbreiten. Viele Inhaftierte sind gescheitert, labil – und leicht verführbar.
Omar El-Hussein, der in Kopenhagen im Februar zwei Menschen tötete, war erst wenige Tage frei, als er dem Chef des „Islamischen Staates“ die Treue schwor und zur Waffe griff. Chérif Kouachi und Amedy Coulibaly, die im Januar mit Chérifs Bruder Saïd in Paris Anschläge auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einen koscheren Supermarkt verübten, lernten sich im Gefängnis kennen und gerieten dort unter den Einfluss eines radikalen Islamisten. Oder Mehdi Nemmouche, der im Mai 2014 im Jüdischen Museum in Brüssel vier Menschen erschoss. Erst im Gefängnis wurden sie auch zu militanten Islamisten.
Das wissen auch die Justizminister. Auf ihrer Konferenz im Juni haben sie darüber beraten. Konkrete Beschlüsse gab es nicht.
Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann, CDU, sagt: „Wenn wir nicht wollen, dass wir in wenigen Jahren über tickende Zeitbomben durch aus der Haft entlassene radikalisierte Straftäter diskutieren, dann müssen wir jetzt die entsprechenden Maßnahmen ergreifen.“ Allein in Hessen, neben Nordrhein-Westfalen eine der Hochburgen der Salafisten, laufen derzeit Ermittlungsverfahren gegen über 140 mutmaßliche islamistische Straftäter. Die Bundesanwaltschaft, die einen Teil der Verfahren an sich zieht, ermittelt gegen 106 Beschuldigte. Hinzu kommen die Fälle aus den anderen 15 Bundesländern, eine Gesamtzahl wird zentral nicht erfasst.
700 Menschen sind in den vergangen Jahren aus Deutschland in den Dschihad gezogen, ein Drittel davon ist zurückgekehrt, 50 von ihnen haben Kampferfahrung.
„Es ist also absehbar, dass in den nächsten Jahren eine noch nicht da gewesene Anzahl radikalisierter Straftäter in den Justizvollzugsanstalten inhaftiert sein werden“, sagt die hessische Justizministerin. „Um diese Gruppe muss sich intensiv gekümmert werden.“
Die schwarz-grüne Regierung in Hessen reagierte als erste. Sie hat ein Netzwerk gegen Salafismus auf den Weg gebracht und den Aufbau Violence Prevention Network übertragen. Es gibt Maßnahmen zu Prävention und Deradikalisierung, mit dabei ist auch ein Aussteigerprogramm für inhaftierte Islamisten. VPN hat Erfahrung. Seit 2001 arbeitet der Verein mit Radikalen im Knast, erst mit Neonazis, seit 2007 auch mit Islamisten.
Wie aber erreicht man Salafisten, die es in den Dschihad zog? „Der Gefangene wird in den Gesprächsraum gebracht. Steht da, aggressiv, mit gekreuzten Armen. ‚Was wollt ihr von mir? Mit den Bullen will ich nichts zu tun haben. Mit dem Verfassungsschutz auch nicht.‘“ Das sei eine mögliche Ausgangssituation, erzählt Hüseyin, der die Gespräche stets gemeinsam mit einem Kollegen führt. „Salam aleikum, Bruder“, sage er dann und noch ein paar Worte auf Arabisch. Dass er nicht vom Verfassungsschutz komme und auch nicht vom LKA, sondern von einer Nichtregierungsorganisation. Dass er muslimischer Pädagoge sei und Hilfe anbieten wolle. Dass er als Imam arbeite, in der muslimischen Community aktiv sei und aus Duisburg-Marxloh stamme – und nicht aus einem Reichenviertel. „Dass wir auch Muslime sind, ist der Türöffner.“
Über Einzelfälle will Hüseyin nicht reden. Nur so viel: Er und seine Kollegen haben auch mit Männern vom Kaliber eines Emrah E. oder eines Kreshnik B. zu tun. Aber das ist eher die Ausnahme als die Regel.
Hüseyin und seine drei Kollegen in Frankfurt wurden ein Jahr lang geschult, sie arbeiten nach einem strengen Konzept. Einmal in der Woche gibt es Einzel- und Gruppengespräche mit den Gefangenen, vier bis sechs Monate lang. Danach werden sie weiterbetreut – auch nach der Haftentlassung. „Sonst werden sie an den Gefängnistoren von der alten Szene abgefangen“, sagt Hüseyin. Sein Handy ist 24 Stunden am Tag an, Entlassene trifft er zu Beginn manchmal zweimal pro Woche.
Am Anfang gehe es meist um Religion, sagt Hüseyin. Die Gefangenen wollten theologische Fragen erörtern, ihr Wissen aber sei extrem dünn: „Religiöse Analphabeten“. Einer habe sich monatelang damit geplagt, dass er einen Treueeid auf IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi, den selbst ernannten Kalifen, geleistet, jetzt aber eingesehen habe, dass das falsch gewesen sei. „Der hat wirklich gedacht, er komme wegen dem Treueeid in die Hölle.“ Hüseyin erklärte dem Gefangenen, dass Baghdadi gar keine Legitimation habe, sich Kalif zu nennen.
Wieder die Frage: Was ist ein guter Muslim?
Die „theologische Schicht“ aber sei sehr dünn. „Dahinter gibt es einen Mount Everest von sozialen Problemen.“
Hüseyin sucht nach den Brüchen in der Biografie, nach den Ursachen, die zur Gewalt führten. Denn die, so seine Erfahrung, war meist vor dem religiösen Fanatismus da und wurde nie aufgearbeitet. „Die Gewalt wird in die neue, religiöse Identität mit hineingetragen“, sagt er. „Die Gewalt ist jetzt heilig geworden.“
Die Gewalttat, die die Gefangenen in Haft gebracht hat, wird dann in der Gruppe besprochen, Detail für Detail. „In Slow Motion“, nennt Hüseyin das. „Wie ist es dazu gekommen? Was ist vorher passiert? Wie hätte die Gewalttat verhindert werden können?“ Bei Syrien-Rückkehrern kann das auch die Frage der Mitgliedschaft zum Beispiel beim „Islamischen Staat“ sein. „Warum ist er ausgereist? Warum hat er den Treueeid geschworen? Warum hat er gesagt, man muss die Ungläubigen töten?“ In der U-Haft kann das folgenschwer sein. Hüseyin hat kein Zeugnisverweigerungsrecht. Erfährt er von einer Straftat, darf er sie gegenüber den Sicherheitsbehörden nicht verschweigen.
Hüseyin wägt genau ab: Kann man mit diesem Gefangenen in der Gruppe arbeiten? Ist die Sorge zu groß, dass er die Gruppe nutzt, um andere für seine Ideologie zu gewinnen, bleibt es bei Einzelgesprächen.
Die Methode hat Erfolg: Nur ein Viertel der Gewalttäter, mit denen VPN im Gefängnis gearbeitet hat, wird rückfällig. Ohne ein solches Programm sind es 80 Prozent.
Zahlen:Der jüngste Verfassungsschutzbericht nennt den Salafismus die derzeit dynamischste islamistische Bewegung in Deutschland. Nach 3.800 Personen im Jahr 2011 geht die Behörde heute von etwa 7.500 Anhängern aus.
Definition: Der Salafismus ist eine rückwärtsgewandte, extrem konservative islamistische Strömung. Seine Anhänger sehen sich als Verfechter eines ursprünglichen Islams. Sie lehnen jede Art von Modernisierung ab.
Gewalt:Der Bericht macht 300 „Gefährder“ aus, die sich auf den Islam berufen. 300 weitere würden beobachtet. Eine Gesamtzahl islamistischer Gewalttaten nennt der Bericht nicht.
Was ist ein guter Muslim? In der JVA Frankfurt steht die Frage von Mustafa Cimşit, dem Imam, im Raum.
„Einer, der die Pflichten erfüllt“, sagt einer der Gefangenen.
„Ein guter Muslim“, sagt Cimşit, „ist einer, von dessen Zunge, Hand und Unterleib keine Gefahr ausgeht. Also keine verbale, tätliche oder sexuelle Gewalt.“
„Und was ist mit dem heiligen Krieg?“, fragt ein anderer.
„Was heißt heiliger Krieg?“
„Dschihad.“
„Das ist nicht heiliger Krieg, so einen Krieg gibt es nicht“, antwortet Cimşit. „Was ist Dschihad?“
Die Gefangenen schweigen.
„Dschihad“, fährt Cimşit fort, „ist erst mal Einsatz für den Glauben, dafür, ein guter Muslim zu sein. Wenn mir etwas nicht gefällt: Gehe ich hin und mache Stress, oder wie geh ich damit um? Dschihad heißt Frieden stiften, ich soll mich also beherrschen und keine Gefahr für die anderen sein.“
Später, in einem Kebab-Imbiss in der Nähe der JVA, Cimşit trägt jetzt wieder Pulli und Jeans, sagt er, das sei die Schlüsselfrage: Wie man mit Unrecht umgehe, das man erfahre. „Meine Methode ist: Erst mal eingestehen, dass wir als Muslime Unrecht erleiden. Und dass es in Ordnung ist, sich dagegen zu wehren.“ Aber nicht mit der Kalaschnikow.
Auch Gülden Sahin, die Verfassungsschützerin, und Hasan Hüseyin, der Pädagoge, sagen: „Diskriminierungsgeschichten kann jeder erzählen.“ Für Salafisten ist das oft ein Anknüpfungspunkt.
Cimşit kocht Tee, manchmal bringt er Döner zu den Gesprächen mit oder Käsekuchen von seiner Frau. Das schafft Zugang, Vertrauen. Er sagt zu den Gefangenen: „Ich bin Muslim, du bist Muslim. Du sitzt in der Zelle, ich hab hier ein Büro, um dir zu helfen. So etwas könntest du auch. Denk mal darüber nach.“
Viele der Gefangenen machen das.
Emrah E. wurde inzwischen in die JVA Werl in Nordrhein-Westfalen verlegt. Dort gibt es weder einen Imam noch ein Deradikalisierungsprogramm.
Kreshnik B. hat sich 2014 vom „Islamischen Staat“ distanziert. „Er war nicht für seine Einstellung und Verführbarkeit, sondern für seine Taten zu verurteilen“, sagte der Richter, als er die Strafe verkündete.
Ob Emrah E., ob Kreshnik B. noch Gefahren für die Gesellschaft darstellen? Sicher wissen das nur sie selbst.
Sabine am Orde,49, ist innenpolitische Korrespondentin der taz
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