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Telefonseelsorge"Eine Kirche wie sonst nirgendwo"

Wer sich am Heiligen Abend einsam und bedrückt fühlt, kann beim "Weihnachtstelefon" des Norddeutschen Rundfunks anrufen. Zum inzwischen 20. Mal kümmern sich hier in der Nacht der Nächte Seelsorger um die Nöte der Menschen

Das Thema Zuhören wie es der Künstler Karl-Henning Seemann in einer Bronzefigur aufgriff Bild: dpa

taz: Herr Brauns, seit 20 Jahren bietet der NDR am Heiligabend ein "Weihnachtstelefon" für einsame oder bedrückte Menschen an. Wie sind Sie 1989 auf die Idee gekommen?

Andreas Brauns: Wir wollten damals nicht nur Gottesdienste für viele feiern, sondern auch etwas für Einzelne tun. Bei der kirchlichen Telefonseelsorge ist vor und nach den Feiertagen die Hölle los, aber am 24. selbst ist es ruhig. Wir dachten uns, wir probieren es trotzdem. Und: Allein im vergangenen Jahr haben wir zwischen 18 und 24 Uhr bestimmt 150 längere Seelsorgergespräche geführt. Für mich ist das eine schöne Umsetzung der Weihnachtsbotschaft.

Wie kommt das?

Wahrscheinlich gibt es eine Hemmschwelle für einige Menschen, die nichts mit der Kirche zu tun haben wollen. Sie trauen sich aber, ihr Herz zu öffnen und anzurufen, wenn der NDR dazu einlädt. Viele schreckt allein das Wort "Seelsorge" ab. Dabei haben wir in diesem Jahr 39 Kirchenleute, also aktive und ehemalige Priester, Pfarrer, Ordensfrauen, Caritas- oder Diakonieberater zwischen Flensburg und Göttingen, Rügen und Borkum für die Aktion gewinnen können - ehrenamtlich. Das ist gar nicht so einfach: Viele Seelsorger müssen predigen, viele wollen sich um die Familie kümmern. Wer hängt schon Heiligabend gerne stundenlang am Telefon?

Was bewegt die Menschen, die bei Ihnen anrufen?

Sorgen, Konflikte, Krankheiten, auch Depressionen. Die Leute reden sich den Blues von der Seele. Sie fragen sich: Warum bin gerade ich am Heiligen Abend so einsam? Was habe ich in diesem Jahr falsch gemacht? Für manche ist das Erzählen ihrer Sorgen schon eine kleine Therapie. Kaum jemand erwartet, dass am Telefon sofort alle Not gelindert werden kann. Aber viele freuen sich, wenn einfach jemand zuhört, ihnen Zeit schenkt - gerade am Heiligen Abend.

Was haben Sie schon erlebt?

Da ist der Mann, der nach jahrzehntelanger Ehe vor ein paar Tagen seine Frau verloren hat. Ältere rufen an und sagen, ich habe niemanden mehr, um mit ihm Weihnachten zu feiern. Früher war das anders. Andere sehen nur noch Bruchstücke in ihrer Familie, trauen sich aber nicht, das dort anzusprechen.

Können Sie auch konkret helfen?

Ja. Eltern, die in tiefer Sorge waren, weil sich ihr Kind nicht mehr meldet: Ihnen haben wir noch am 24. ein erstes Gespräch vermittelt. Da waren die völlig baff. Es gibt auch Anrufe von Leuten, die sich vor die Gleise werfen wollten. Dann schalten wir die Bahnhofspolizei ein.

Was ist nach Ihrer Erfahrung die beste Methode, zu helfen?

Zuhören. Und dann ist der Kniff, möglichst einfühlsam Fragen zu stellen. Ich will ja niemanden irgendwo hineindrängen, indem ich ungebetene Ratschläge gebe. Die Meisten haben die Antworten für ihre Fragen selbst parat.

Rufen auch Jüngere beim Weihnachtstelefon an?

Ja. Offenbar rührt die Musikfarbe, die bei NDR 1 am 24. abends läuft, alle Altersklassen an. Das klassische deutsche Weihnachtslied bewegt die Leute an diesem Abend der Abende, an dem eigentlich alle Menschen geborgen sein wollen, an dem es keinen Familienstreit und keinen Ehekrach geben darf. Das ist ja das Belastende an Weihnachten.

Ist alles nach dem Telefonat vorbei oder hatten Sie schon länger mit Anrufern zu tun?

Ich hatte einen Akademiker, einen Atheisten, der litt unter Glaubenszweifeln. Ihn habe ich an einen Theologen weitervermittelt. Es gab aber auch Anrufer, die sich nach einem Jahr wieder meldeten, um einfach nur Danke zu sagen. Das muss man sich mal vorstellen! Es ist oft verflixt schwer, Seelsorger zu bekommen. Aber bei solchen Rückmeldungen: Das Weihnachtstelefon ist eine Art von Kirche, die viele sonst nirgendwo erfahren.

Sehen das auch die diensthabenden Seelsorger so?

Das Weihnachtstelefon kann für beide Seiten eine bereichernde Angelegenheit sein: Es gab katholische Priester, die sagten, nach dem, was ich gestern am Telefon gehört habe, kann ich meine Weihnachtspredigt wegschmeißen - mit den Menschen persönlich reden ist viel besser.

Was tun Sie, wenn das Weihnachtstelefon vorbei ist?

Ich bin immer völlig geschafft, wenn ich drei Stunden zugehört habe. Dann setze ich mich erst mal hin und trinke ein Glas Wein.

Und welches Weihnachtslied hören Sie dabei am liebsten?

"Es kommt ein Schiff geladen": Da kommt Gott selbst in die Welt, jenseits aller Idylle.

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