Teilwiederholung der Bundestagswahl: Kein Wahlabend wie sonst
An diesem Sonntag war schon wieder Bundestagswahl in Berlin, zumindest in Teilen der Stadt. Die Ergebnisse stehen erst in der Nacht fest.
Nichts davon aber passiert an diesem Abend der Teil-Wiederholung der Bundestagswahl von 2021 in Berlin. Nicht im „Kochwerk“, einer Eventlocation im nordöstlichen Bezirk Pankow, wo sich die führenden Gesichter der Landes-CDU um ihren Chef Kai Wegner treffen, der zugleich der Regierungschef des Stadtstaats ist. Und auch nicht bei der SPD im Theater „Varia Vineta“ nur ein paar Kilometer entfernt. Hier wie dort wird man erst um 1.30 Uhr Bescheid wissen, ob man den 2021 von den Grünen gewonnenen Wahlkreis erobert hat, wenn alles ausgezählt sein soll.
Balken und Analysen, sie würden auf Befragungen von Leuten nach Verlassen ihrer Wahllokale beruhen, den sogenannten exit polls. Die aber gibt es an diesem Sonntag nicht. Es geht einfach, in Mehrheiten und Wahlkreisen gerechnet, um zu wenig, als dass sich der Aufwand lohnen und bundesweit interessieren würde. Selbst wenn nicht nur teilweise, sondern berlinweit neu gewählt würde, wäre die Mehrheit der Ampel-Koalition nicht gefährdet.
Kaum mehr als jeder und jede Fünfte
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kurz vor Weihnachten beschränkte die Wiederholung aber auf bloße 455 von über 2200 Wahlbezirken Berlins. Nur knapp 22 Prozent der knapp 2,4 Millionen Berliner Wahlberechtigten dürfen abstimmen, kaum mehr als jeder und jede Fünfte also. Hintergrund des Urteils waren die zahlreichen Pannen bei der Wahl am 26. September 2021, als in Berlin parallel zum Bundestag auch das Landes- und die zwölf Bezirksparlamente gewählt wurden.
Dass es an diesem Abend überhaupt so etwas wie Spannung gibt, liegt an der ungleichen Verteilung dieser 455 Wahlbezirke über die Stadt. In Pankow dürfen nämlich über 80 Prozent wählen. Im südöstlichen Wahlkreis Treptow-Köpenick etwa, dem Wahlkreis von Linken-Ikone Gregor Gysi, sind es hingegen weniger als 4 Prozent.
Spannend wird es an diesem Sonntag grundsätzlich nur dort, wo deutlich stärker nochmal gewählt wird und wo 2021 nicht sowieso schon die gerade bundesweit boomende CDU gewann, sondern nicht uneinholbar weit hinter den Wahlkreissiegern zurücklag. Das betrifft realistisch betrachtet außer Pankow nur den Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf, den Bezirk rund um Ku'damm und Bahnhof Zoo im Westen der Stadt.
CDU hofft auf Pankow
Es ist der Promi-Wahlkreis der Stadt: Dort lag 2021 der vormalige Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) vor der später zur Bundesfamilienministerin aufgestiegenen Lisa Paus (Grüne). Der Sieg aber könnte an diesem Abend an den damals Dritten gehen, den CDU-Kandidaten, der hier schon bei der Wahl 2017 erfolgreich war.
In Pankow lag die CDU-Bewerberin 2021 deutlich weiter zurück hinter dem grünen Wahlkreissieger. Aber dort wird ja auch fast bezirksweit noch einmal gewählt, und die CDU war schon im Februar 2023 bei der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus an die Grünen herangerückt. Seither haben die Christdemokraten in Umfragen weiter zugelegt.
Es ist also kein Zufall, dass die Berliner CDU-Führung gerade in Pankow zusammenkommt. Ein CDU-Sieg wäre ein absolutes Novum: Nach der Wende gewannen in diesem Wahlkreis ausschließlich Kandidaten von SPD – wie Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse – und Linkspartei oder vormals PDS.
Alles hängt an der Wahlbeteiligung
Ein Wahlkreisgewinn, ob dort oder in Charlottenburg-Wilmersdorf, hätte allerdings einen unangenehmen Nebeneffekt für die Landes-CDU: Ihre Generalsekretärin Ottilie Klein, erst 2023 von Parteichef Wegner ins Amt geholt und als 39-Jährige eine große Zukunftshoffnung der Partei, verlöre ihren Sitz im Bundestag.
Denn die Gesamtzahl der Berliner CDU-Abgeordneten bliebe gleich, weil sie sich aus der Zweitstimmenzahl ergibt. Zusätzlich zu den Wahlkreisgewinnern zögen dann weniger Kandidaten von der Landesliste ein. Das ist jene Liste, über die Partei Parlamentssitze besetzen, wenn ihr mehr davon zustehen, als sie Wahlkreise gewinnt – und Klein war die Letzte, die für die CDU auf diese Weise in den Bundestag rückte.
Fast alles hängt an diesem Sonntag an der Wahlbeteiligung: die Wahlkreissiege genauso wie das weithin gewünschte Signal gegen Rechtsextremismus in Form vieler Stimmen für die Parteien diesseits der AfD. Nur bei hoher Beteiligung lassen sich Rückstände aus jenen Wahlbezirken ausgleichen, deren Ergebnisse von 2021 unberührt stehen bleiben, als die Wahlbeteiligung berlinweit bei 75 Prozent lag.
Geringere Wahlbeteiligung
Danach hat es mittags allerdings nicht ausgesehen: Bis 12 Uhr hatten in den betroffenen 455 Wahlbezirken nur 18,3 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben – 2021 lag dieser Wert fast um die Hälfte höher, nämlich bei 26,8 Prozent. Dieser Trend setzt sich fort: Um 16 Uhr sind es nur knapp 40 Prozent gegenüber 57 im Jahr 2021.
Die Wahlleitung will am Abend fortlaufend Zwischenstände der Auszählung durchgeben. Die aber sind in keiner Weise gewichtet oder hochgerechnet, berücksichtigt also etwa im Wahlkreis von Ex-Regierungschef Müller nicht, wenn die ersten 20 Prozent ausgezählter Stimmen ausschließlich aus tendenziell CDU-nahen noblen Wohngebieten am Grunewald kämen. Man wird also tatsächlich warten müssen. Das passiert dann allerdings tendenziell zu Hause – im „Kochwerk“ etwa bei der CDU soll schon um 21 Uhr Schluss sein.
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