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Teer mit einer Note Pizzaduft

Duft Der österreichische Künstler Wolfgang Georgsdorf komponiert mit Gerüchen. Nicht nur einmalig, sondern reproduzierbar dank einer speziellen Orgel, derzeit aufgestellt in der St. Johannes-Evangelist-Kirche

Blick in die Eingeweide der Geruchsorgel Foto: Wolfgang Georgsdorf

von Tilman Baumgärtel

Es funktioniert. Seit Mitte Juli ist in einer Berliner Kirche eine Geruchsorgel zu erleben, die der österreichische Künstler Wolfgang Georgsdorf gebaut hat. Aus 64 Rohren werden „Scentscape“ in den Zuschauersaal gepustet. Aufmerksame Leser dieser Zeitung werden sich erinnern, dass diese Präsentation mit dem Titel „Osmodrama“ in der taz mit der Einschränkung angekündigt worden war, dass man sich vor Redaktionsschluss nicht vom olfaktorischen Funktionieren der Geruchsorgel überzeugen konnte. Das wurde nun nachgeholt, und man kann beruhigt feststellen, dass man nichts annonciert hat, was es nicht gibt – der „Smeller“ funktioniert wie dargestellt.

Im Inneren von St. Johannes-Evangelist ist ein großes, weißes Zelt aufgebaut, das sicherstellen soll, dass die ins Publikum geblasenen Gerüche sich nicht ins hohe Kirchenschiff verflüchtigen. Am Kopfende des so entstandenen lichten Raums ragen die geometrisch angeordneten Rohre, die die Gerüche ausstoßen, aus einer Art Paillettengardine. Dahinter steuert ein Laptop die Einspeisung der verschiedenen Düfte in den Raum. Um einen zügigen Wechsel der verschiedenen Aromen sicherzustellen und so ganze „Geruchssymphonien“ zu entwerfen, geht ein leichter Luftzug durch den Raum.

Ein knappes Dutzend Zuschauer (oder Zuriecher?) sitzt auf Stühlen, die in die Richtung der Geruchsquelle ausgerichtet sind, manche mit geschlossenen Augen. Wie im Kino blickt man auf das Kopfende des Raums, obwohl es dort außer den Rohren nichts zu sehen gibt. Bloß zwischen den einzelnen Geruchskompositionen geht hinter der Gardine kurz und effektvoll das Licht an, und man sieht die aus zahllosen gewundenen Silberrohren bestehende Geruchsorgel, die ein bisschen wie ein Alien aussieht.

Aufgeführt wird etwas, was in der Musik wohl „Etüde“, also Studie, genannt werden würden: kurze Skizzen, die den Klang mit dem Geruch bestimmter Orte verbinden. Leicht verhallt sind zum Beispiel die Geräusche eines Freibads zu hören, und in der Tat – plötzlich riecht es nach Sonnencreme. Es folgen Geräusche wie von einem italienischen Markttag, und auf einmal ist man von Parmesangeruch umweht, als stände man neben dem Käsestand, bis der Duft von frisch gebrühtem Espresso übernimmt.

Künstler Georgsdorf hat sich für solche kurzen Sequenzen das schöne Wort „Smellodie“ einfallen lassen. An den Öffnungstagen werden regelmäßig verschiedene derartige Geruchskompositionen von Orgelbauer Georgsdorf mit Titeln wie „Fünf stumme Stücke“, „Stille Allee“ oder „Eine Kindheit“ gegeben. Außerdem gibt es Lesungen und Konzerte, die von Geruchskompositionen begleitet werden.

Georgsdorf fand für die kurzen Sequenzen das schöne Wort „Smellodie“

Nicht alle Gerüche sind so leicht zu identifizieren wie die Lebensmittel auf dem italienischen Markt, manche scheinen eher wie ein Art Kontrapunkt eingesetzt zu werden. Welches Meer – das in der nächsten Szene zu hören ist – riecht zum Beispiel nach Parfüm? Und auch so richtig natürlich wirken nicht alle Gerüche, sondern haben teilweise eine irgendwie chemische Note. Trotzdem ist das Ganze durchaus beeindruckend, und man könnte sich diese Erfindung auch als die nächste Eskalationsstufe im Kino nach 360-Grad-Raumklang und stereoskopischem Film vorstellen. In der Tat wird während der Ausstellung noch zweimal Edgar Reitz´ vierstündiger Film „Die andere Heimat“ mit Begleitung aus dem „Duftprojektor“ gezeigt. Dabei könnten dann – wie bei der Filmmusik – besonders die Pausen zwischen den „Geruchsakkorden“ das Geheimnis sein, denn gelegentlich wird der Wechsel der Gerüche im Minutentakt zu überwältigend. Eine Eigenschaft von Gerüchen ist es ja gerade, dass man sie irgendwann nicht mehr bewusst wahrnimmt. Das macht sie so wirkungsvoll bei der Beeinflussung der intuitiven Wahrnehmung, und dieser Effekt nimmt ab, wenn man dauernd von neuen Gerüchen angepustet wird.

Nach einer Stunde mit dem „Smeller“ beginnt man auch zu begreifen, dass unser Geruchssinn wirklich ein vernachlässigtes Sinnesorgan ist. Wenn es um Geschmack geht, kann heutzutage jeder Fiffi über die „fruchtige Ananasnote“ im Grauburgunder schwadronieren. Aber sobald die Gerüche nicht klar als Pfefferminz oder Benzin zu erkennen sind, gerät man in ein begriffliches Niemandsland, aus dem wohl nur Parfümeure den Ausweg wissen.

Auf dem Heimweg nimmt man dann selbst den typischen Geruch, der einem aus einem Berliner U-Bahn-Eingang entgegenschlägt, neu wahr. Underfreut sich an aparten Geruchsmischungen wie Teer mit einer Note Pizzaduft, die die Großstadt ungefragt für den Radfahrer in Mitte zusammenstellt. Wenn die Geruchsorgel dazu beigetragen hat, die Fä­higkeit zu riechen neu zuschätzen, hat sich der Besuch von „Osmodrama“ schon gelohnt.

Osmodrama, bis zum 18. September 2016 in der St. Johannes-Evangelist-Kirche, Auguststraße 90, Veranstaltungstermine unter osmodrama.com

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