Technologie der Zukunft: Ersatzteil aus dem Kopierer
Eine Hamburger Firma praktiziert, was es bisher nur in Science Fiction-Romanen gibt: Sie erzeugt dreidimensionale Modelle gescannter Gegenstände
HAMBURG taz | Science Fiction sollte man lesen – aber rechtzeitig. In Neal Stephensons 1995 erschienenem Roman „Diamond Age“ ist es völlig normal, dass die Protagonisten die Dinge, die sie brauchen, ausdrucken. „Matter Compiler“ (Materie-Aggregatoren) heißen die Maschinen, die an ein großes Rohstoff-Pipelinenetz angeschlossen sind und alles erzeugen, was man will – vorausgesetzt, man hat das Programm dafür.
Ganz ähnlich funktioniert ein 3 D-Drucker, wie ihn Ralf Siebert, Geschäftsführer der Hamburger Firma Copynet, im Laden stehen hat. Siebert klappt den Plexiglasdeckel eines anthrazitfarbenen Schneewittchensargs hoch und hält eine Staubsaugerdüse vorsichtig in einen Block aus weißem Pulver. Es könnte Mehl sein, ist aber viel feiner. Die Oberfläche ist ganz glatt. Siebert legt ein Objekt frei: Ein buntes Kugellager, fertig mit Innen und Außenring und Kugeln.
Siebert pinselt den restlichen Staub aus den Lücken. Dann steckt er die Düse auf den Finger, rollt sie ein paarmal hin und her und lässt sie sausen. Er versucht es zumindest, denn der Ring verliert sofort an Schwung – zu rau ist die Oberfläche des Materials. Und doch hält er ein komplettes, funktionierendes Kugellager in der Hand, das noch vor einer Stunde bloß eine „Computer Aided Design“ (CAD)-Datei gewesen ist.
Was Siebert von den Möglichkeiten dieser Technologie überzeugt hat, steht in seinem Büro: ein Modell unseres Erbgutes, der DNA, eine bunte Doppelhelix mit Schrauben und Muttern, die eine ziemlich mechanistische Vorstellung von biologischer Reproduktion vermittelt, aber beeindruckend komplex ist. 2012 bot sich ihm die Gelegenheit, G+G Copynet zu übernehmen, eine Firma, die sehr leistungsfähige Kopierer zusammen mit einem für die Kunden passenden Kontrollsystem verkaufte: Die Kopierer sollten am Monitor erzeugte Bilder ohne Verschiebungen oder Einbußen bei der Farbe drucken können. „Wir können sogar Zeitungspapier simulieren“, sagt Siebert.
Was bisher in 2 D funktionierte, will Siebert jetzt auf 3 D erweitern. „Mir war klar, ich mache das nur, wenn ich es schaffe, ein Innovationscenter ins Unternehmen zu integrieren“, sagt er. Siebert reiste in die USA, schaute sich zwei Hersteller an und bestellte einen ersten 3 D-Drucker zum Üben. Inzwischen sind weitere bestellt. Die Hersteller täten sich schwer mit dem Liefern, weil die Nachfrage so groß sei, sagt Siebert.
Statt nur die Drucker zu verkaufen, bietet er eine Komplettlösung an: Firmen können die Drucker leasen und bekommen dazu eine spezielle Software und eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Und weil er im Herzen Verkäufer ist, hat sich Siebert auch schon einen Kampagnen-Spruch überlegt: „3 D-Drucksysteme – die Revolution – eine Technologie verändert die Welt.“
Beispiele für das, was sich damit herstellen lässt, stehen in einer Vitrine neben dem Drucker: Oben liegt ein knallrotes Gebiss, etwas grob, mit der einfachsten Technik mit einem Schmelzfaden aus Plastik aufgebaut. Weiter unten stehen Turnschuhe in unterschiedlichen Stadien der Nachbearbeitung. Die Firma Clarks habe solche Modelle in Originalgröße drucken lassen, um ihre Wirkung im Schaufenster auf Kunden testen zu können, erzählt Siebert.
Der Drucker könnte viele Branchen verändern: Er ermöglicht bisher unmögliche Gegenstände wie drei ineinander liegende Kugeln – ohne Naht. Jeder, der etwas am Computer konstruiert, wird sich in Zukunft zu geringen Kosten einen Prototypen ausdrucken können. Ein Makler kann seiner Kundschaft zum Überlegen ein Modell der künftigen Wohnung mitgeben. Dinge, die kaputt gehen, können gescannt und neu gedruckt werden. Ersatzteile für Maschinen kommen nicht mehr per Luftfracht, sondern per Glasfaserkabel. Modellbauer und Lieferdienste erwartet scharfe Konkurrenz.
„Zeit ist für die Kunden ein entscheidender Faktor“, sagt Siebert. In seiner Vitrine steht das maßstäbliche Modell eines Hochhauses, das aus den Daten einer 3 D-Visualisierung im Fernseher gedruckt wurde. So ein Modell von Hand zu bauen dauere zwei Wochen und koste 4.500 Euro, schätzt Siebert. „Wir brauchen zehn Stunden und verlangen 280 Euro.“
Die Maschinen, die Copynet vertreibt, verwenden nicht die einfache Technik, bei der ein Plastikfaden oder Draht abgeschmolzen und mit einem Plotter geführt wird. Vielmehr wird auf eine Arbeitsplatte eine hauchdünne Schicht Pulver aufgetragen und darin mit einem Fixierer ein Querschnitt gezeichnet. Darauf kommt wieder eine Lage Pulver, in der wieder ein Querschnitt fixiert wird, so dass sich Lage für Lage ein Gegenstand aufbaut, der bloß noch frei gesaugt werden muss.
Das Pulver kann ein Gemisch aus Mineralien sein, Kunststoff oder auch Metall. Fixiert wird mit einer Art Kleber, der „Tinte“, oder auch einem Laser. Das überschüssige Material wird komplett abgesaugt und recycelt. „Das Gerät braucht als Funktionsumgebung nur 220 Volt Strom und ist bürotauglich“, versichert Sieberts Mitarbeiter Olaf Schröter. Im Prinzip sei es nichts anderes als ein Tintenstrahldrucker mit Staubsauger.
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