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Techno gegen Entkernung

Künstler wollen das denkmalgeschützte Haus an der Essener Straße in Langenhorn zum Kultur- und Jugendzentrum machen  ■ Von Judith Weber

Mehr Jugendarbeit, weniger Gewerbe: Die Forderungen der „Gesellschaft für operative Kunst“ in Langenhorn sind einfach. Das denkmalgeschützte Haus an der Essener Straße 2 soll nicht entkernt und als Gewerbefläche vermietet werden, sondern als Kultur- und Stadtteilzentrum dienen. Die Miete würde die Gesellschaft bezahlen.

Mit „kulturellen Aktionstagen zwischen den Jahren“ will sie jetzt „zeigen, wie es sein könnte, wenn ...“ – wenn die Eigentümerin, die Firma IVG Immobilien GmbH, das Haus an sie vermieten würde, und wenn Jugendliche in Langenhorn dort ihre Freizeit verbrächten. Dann würden öfter Techno-Bässe durch die Räume wummern, und mehrere hundert BesucherInnen wären, wie am Sonnabend, keine Seltenheit. Die Zimmer in der ehemaligen Kantine einer Rüstungsfabrik wären von Künstlern bewohnt, und von deren Mieten könnte die Renovierung und Erhaltung des Hauses bezahlt werden.

So weit, so geträumt. Kaum hatten sich die Besucher der ersten Techno-Party am Sonnabend warmgetanzt, stand die Polizei vor der Tür: Ruhestörung, Beschwerde von Nachbarn. Jörg Stange von der „Gesellschaft für operative Kunst“ hält das für einen Vorwand. Es gehe nur darum, die Party-BesucherInnen zu vertreiben und die Organisatoren zu entmutigen. Schließlich wolle die IVG das Haus an Unternehmen verpachten. Welche These stimmt, bleibt offen – immerhin liegt das Gebäude in einem kaum bewohnten Gewerbegebiet.

Im Februar haben die Kammerspiele aufgehört, in der Essener Straße zu proben. In einigen Zimmern wohnen Künstler, teils zur Untermiete, teils einfach geduldet. Sie haben der IVG angeboten, das Haus für den Preis zu mieten, den die Kammerspiele gezahlt haben, berichtet Jörg Stange. Die IVG habe abgelehnt. 1995 wollte die Firma das Haus abreißen; auf seine Initiative hin sei es unter Denkmalschutz gestellt worden.

Die Backsteinwände an der Essener Straße sind geschichtsträchtig: Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude als Kantine einer Rüstungsfabrik gebaut. Dr. Detlef Garbe, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, vermutet, daß dort Frauen aus den Konzentrationslagern Bergen-Belsen und Ravensbrück zur Arbeit gezwungen wurden. 1990 wohnten AsylbewerberInnen in dem Haus. Wie aktuell die jetzigen Umbaupläne der IVG sind, ließ sich gestern nicht in Erfahrung bringen. Einen Termin für die Entkernung gebe es noch nicht, räumt Stange ein. Gegenüber einem Hausbewohner soll die Eigentümerin die Pläne gar völlig widerrufen haben. Sollte es zur Entkernung kommen, will der Künstler die IVG gemeinsam mit Helmuth Stein von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) verklagen. Schließlich gelte der Denkmalschutz nicht nur für die Fassade, sondern auch für den Innenraum. Hier will Stange Sylvester nochmal eine Technoparty feiern – Polizei hin, Polizei her.

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