piwik no script img

Techno-Produzent Carl CraigDer Drama-King

Kommentar von Tobias Rapp

Carl Craig ist einer der großen Techno-Produzenten unserer Zeit. Die "Carl Craig Sessions" sind eine Werkschau seiner Remixe der vergangenen Jahre.

"Wer überleben will, darf nie stehen bleiben", weiß Carl Craig. Bild: K!7-records

E s wäre ein schönes Ausrufezeichen gewesen. Wenige Tage nach dem Interview kam die Nachricht, Carl Craig sei für einen Grammy nominiert. In der Kategorie "Bester Remix", für seine Bearbeitung von "Like a Child" der kanadischen Band Junior Boys. Craig war immer noch in Berlin, sagte alle Termine ab und fuhr zur Zeremonie nach Los Angeles. Es hätte gut gepasst - nicht nur weil "Like a Child" als zweites Stück den Auftakt der "Carl Craig Sessions" bildet, einer Werkschau mit 21 Stücken auf zwei CDs. Auch weil die Auszeichnung den Abschluss eines äußerst bemerkenswerten Laufs hätte bilden können, mit dem Carl Craig in den vergangenen vier Jahren die Tanzflächen in Atem hielt. Allein es sollte nicht sein. Die Trophäe ging an eine Neubearbeitung des alten Public-Enemy-Gassenhauers "Bring the Noise".

All das steht noch in den Sternen, als Carl Craig zum Interview lädt, ein höflicher und geistreicher Mann Ende dreißig im edlen schwarzen Anzug, der einem trotz der zahllosen Gespräche, die er vorher hatte und nachher noch hat, glaubwürdig das Gefühl gibt, über die Fragen wirklich nachzudenken. Und eigentlich möchte man ihm am liebsten die ganze Zeit die immer wieder gleiche Frage stellen: Wie haben Sies gemacht, Herr Craig?

Darauf hat er viele Antworten, und die einfachste ist so einfach, dass man auch selbst hätte drauf kommen können. "Ich mag Drama", sagt er und lacht, als die Rede auf seine wohl beste Arbeit der vergangenen Jahre kommt, ein Remix des Stücks "Revelee" der New Yorker Künstler Delia Gonzales & Gavin Russom. Im Original eine endlos-repetitive Analog-Synthie-Jam, in Craigs Version ein dunkel schillerndes Tanzflächenmonster, das seinen Höhepunkt ausgerechnet in einem gigantischen Break mit Free-Jazz-Piano-Riff findet. "Das hätte noch endlos weiter dididididi machen können", sagt Craig und imitiert den Synthesizerloop, "ein paar Streicher drauf, und gut is. Aber genau in dem Augenblick, wo man denkt, dass man verstanden hat, worauf das Stück hinausläuft - da macht es booom! Explosion! Und jeder denkt: Wow. Ich glaube nicht an Musik als Film oder als etwas, das eine Geschichte hat. Ich mag einfach Drama. Das kann durch das Arrangement kommen, durch Frequenzänderungen. Es muss aufregend sein." Zu Platten wie "Revelee" hat man früher "Brett" gesagt. Nur dass sie damals keine Free-Jazz-Pianos hatten.

Von Carl Craig konnten sie allerdings durchaus sein. Seit den späten Achtzigern ist er dabei, ist der wahrscheinlich wichtigste der zweiten Generation Detroiter Technoproduzenten, die ausformulierten und erweiterten, was im Entwurf der drei Gründerväter Juan Atkins, Kevin Saunderson und Derrick May angelegt war (eine Weile lang war er Mays Assistent). Carl Craig teilte viel von deren musikalischer Sozialisation, insbesondere diese eigentümliche Faszination für weiße europäische Synthie-Pop-Klänge, bei denen die schwarzen Bürgerkinder sich ihren Distinktionsgewinn abholten und der provinziellen Enge der Stadt entkommen zu können glaubten - mit einem Dreh, denn Craig hatte es insbesondere Industrial Music angetan. Etwa Throbbing Gristle, die er sampelt, remixt und zitiert - wenn die Geschichte, er habe seine erste TG-Platte bekommen, als er das erste Mal in London war und im Keller von Mute Records herumwühlen durfte, erfunden ist, dann ist sie gut erfunden. Die erste Platte seines Labels Planet E nannte er auf jeden Fall "4 Jazz Funk Classics", eine Variation eines TG-Albumtitels. Das war 1991. Mit der Platte "Bug In The Bassbin" bereitete er ein Jahr später die Drum-n-Bass-Revolution vor, mit dem Innerzone Orchestra Ende der Neunziger und dem Detroit Experiment gelangen ihm Erweiterungen seines Klangspektrums in den Jazz. Viele sind ihm gefolgt, besser wurde es nie.

Planet E gibt es immer noch. Zuletzt kamen hier (neben allen möglichen anderen Platten, oft von Craig selbst) Stücke des deutschen Technoproduzenten Martin Buttrich und eine Aufnahme der Detroiter Siebzigerjahre-Spacejazz-Veteranen Tribe heraus. Tatsächlich ist das Erstaunliche an Craigs Schaffen und seiner Karriere, wie selbstverständlich die unterschiedlichsten Dinge bei ihm zusammenlaufen. Der kalte Electrofunk mit den melancholischen Streicher-Arrangements, die Anleihen beim dunkelsten europäischen Industrial mit einer gepflegten Jazz-Sensibility, der Futurismus mit dem Wissen um die Vergangenheit. Man konnte Techno nie ohne weiteres der "weißen" oder der "schwarzen" Musik zuschlagen - bei Carl Craig wird daraus große Kunst. Industrial, die weißestmögliche alle Musiken, verschmilzt mit Jazz und Funk, den schwärzestmöglichen.

Was einer der Gründe sein dürfte, warum es Techno im Allgemeinen und vor allem Craig im Speziellen in den USA nie zu größerer Popularität gebracht haben. Techno und House mögen in Detroit und Chicago entstanden sein - trotzdem ist Dance ein Synonym für Urban, Urban ist Synonym für Hiphop und RnB und Hiphop und RnB sind Synonyme für Schwarz.

Um zu erläutern, was er mit Drama meint, zückt Craig sein iPhone und skippt durch die Cover der Alben, die er zuletzt gehört hat. Es ist eine eklektische Mischung aus Miles Davis, Prince, die Düsseldorfer Minimalkrautrocker Neu!, Robert Wyatt, ein Album des Grateful-Dead-Drummers Mickey Hart, Public Enemy und Steve Reich. All diese Einflüsse kann man auch in Craigs Musik finden, verschmolzen zu elegant schimmernden Legierungen. Immer wieder neu, je nachdem wofür man sie braucht: zum Bau neuer Waffen, zum Errichten von Brücken oder für Mondmissionen.

Diese Vielfältigkeit ist es dann auch, die Craigs Musik so universell verwendbar macht. Man erkennt zwar sofort seine Handschrift, doch sie haben in den unterschiedlichsten musikalischen Zusammenhängen Platz. Vom harten Techno-Set bis zur entspannten Café-Beschallung. Deshalb dürfte auch die Idee der Plattenfirma funktionieren, die Zusammenstellung als "Sessions" zu verkaufen. Das hat Studio !K7 zuletzt vor fast zehn Jahren mit den Downbeat-DJs Kruder & Dorfmeister gemacht, mit riesigem Erfolg. Stilistisch hat Craig mit deren Entwurf zwar nichts zu tun - in seiner Kunst, für andere Musiken Durchlässigkeit herzustellen, ist er ihnen aber verwandt.

Darin kann man auch eine Schwäche sehen. Und aus dem Umstand, dass Craig seit Jahren kein eigenes Album mehr herausgebracht, stattdessen außer einigen Maxis nur Remixe veröffentlicht hat, kann man mit etwas bösem Willen auch Stagnation auf hohem Niveau herauslesen, wie es der Kritiker Carlos de Brito in der Groove gemacht hat. Es ist aber wirklich sehr hohes Niveau. Für Craig gibt es zwischen Produktionen und Remixen aber ohnehin keinen Unterschied. "Vor einer langen Zeit habe ich verstanden, dass ein Stück, das ich remixe, immer auch mein Stück ist. Nimm diesen Remix von Tori Amos ,God'. Die Leute sind nicht zu Tori Amos spaziert und haben gesagt: ,Hey, ich find den Carl-Craig-Mix super.' Die sind zu mir gekommen und haben gesagt: ,Ich mag den Tori-Amos-Remix.' Ich bin in einer einzigartigen und glücklichen Situation. Wenn die Dinge als Produzent nicht so kreativ sind, wie ich es gerne hätte, dann gehe ich Platten auflegen und versuche neue Eindrücke zu sammeln und sie mit ins Studio zu nehmen. Wenn das nicht klappt, dann bin ich immer noch Daddy für meine Kids und Chef von Planet E."

"Eines meiner großen Vorbilder ist Quincy Jones", sagt Craig zum Schluss des Gesprächs, "vergangenes Jahr hatte ich das Glück, ihn zu treffen. Ein cooler Typ. Das Ding bei Quincy Jones ist: Was auch immer er gemacht hat, es war immer anders. Soundtracks, Bigband-Arrangements, Frank Sinatra, Bossa Nova, die Michael-Jackson-Alben. Als ich ihn traf, sagte er: Mann, ich mache jetzt eine Platte mit Snoop Dogg. Darum geht es: Wer überleben will, darf nie stehen bleiben. Das ist die Energie, die mich am Laufen hält."

Wie gesagt, dass es mit seinem Grammy nichts werden sollte, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Trotzdem liegt im Vergleich mit Quincy Jones (der bisher 77-mal für einen Grammy nominiert war und 26-mal ausgezeichnet wurde) die Frage nach den Charts nahe. Schließlich hat Jones mit "Thriller" das erfolgreichste Popalbum aller Zeiten produziert. Hat, wer so ein Vorbild hat, nicht den Wunsch, auch mal einen Hit zu landen?

"Ich habe vor langer Zeit eingesehen, dass ich das nicht kann. Würde ich es probieren, es würde elend danebengehen", antwortet Craig, um nach einigem Nachdenken hinzuzufügen: "Die Idee von Popmusik, von Kommerz dieses Ausmaßes, steht gegen das, was ich tue. Meine Welt ist die Welt der Clubs. Die mag ich auch deshalb so gerne, weil man sofort weiß, woran man ist. Jede Tanzfläche antwortet einem. Wenn ich an einem Track arbeite und ich probiere ihn nachts aus, sehe ich sofort eine Reaktion. Dann weiß ich, okay, hier muss ich noch mal was ändern, da muss ich schneller zum Punkt kommen, hier kann ich mir Zeit lassen. Müsste ich 3-Minuten-Hits machen, könnte ich niemals so denken."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!