Tavernier im Wettbewerb: Hokuspokus in der Mangrove
Ein Film noir mit Draht ins Jenseits: Bertrand Taverniers erste Hollywoodproduktion "In the Electric Mist" (Wettbewerb) schließt den Zyklus des US-französischen Bildertransfers ab.
Dave Robicheaux lebt wie der Ort, in dem er für Recht und Ordnung sorgt, in Vergangenheit und Gegenwart zugleich. Der Sheriff des Städtchens New Iberia, Louisiana, wird vom Geist eines alten Konförderierten-Generals heimgesucht. Dazu muss er in zwei Mordfällen ermitteln: Die verstümmelte Leiche eines Mädchens ist gefunden worden, kurz darauf stößt ein Filmteam bei Dreharbeiten in den Atchafalaya-Sümpfen auf die vierzig Jahre alten Überreste eines Schwarzen. Die beiden Morde scheinen in keinem Zusammenhang zu stehen, doch die Sümpfe, das Land der Cajuns, sind ein geheimnisumwitterter Ort, und die Nebelschwaden, die in der Dämmerung auf das Festland zukriechen, bringen Erinnerungen an längst vergangene Zeiten zurück. Dave Robicheaux ist eigentlich nicht der Typ, der auf solchen Hokuspokus etwas gibt.
Tommy Lee Jones spielt ihn mit dem Gleichmut eines müden Kriegers, der sich, anders als seine Figur in "No Country for Old Men", noch einen Rest Illusion bewahrt hat. Doch mit den Dreharbeiten des Filmteams bricht eine Realität zweiter Ordnung in die geschlossene Welt von New Iberia ein. Auch der Hollywood-Star Elrod Sykes (Peter Sarsgaard) hat einen Draht ins Jenseits und verfügt über eine seherische Gabe, die ihn immer wieder hinaus in die Sümpfe zieht. Zusammen bilden er und Robicheaux eines der wohl ungewöhnlichsten Duos im jüngeren amerikanischen Krimi.
Die Figur Dave Robicheaux des Krimiautors James Lee Burke ist eine so uramerikanische literarische Erfindung, dass sich die Verfilmung durch einen französischen Regisseur geradezu aufdrängte. "In the Electric Mist" ist der erste Hollywoodfilm Bertrand Taverniers, und man merkt ihm eine europäische Sensibilität deutlich an: in der Aufmerksamkeit für Bildkomposition und szenische Details sowie diesem untrüglichen Blick für amerikanische Kinomythen. Wie schon seine Landsleute Jacques Demy und Jacques Deray sieht Tavernier in seinem US-Debüt Amerika mit völlig anderen Augen, als man es gemeinhin aus dem Kino gewohnt ist. Hierin wird auch ein generationenübergreifender Bildertransfer kenntlich. "In the Electric Mist" nimmt in mehr als nur ein paar Motiven Bezug auf Arthur Penns "Night Moves", einem der frankophilsten Filme der New-Hollywood-Ära - und damit selbst einer Hommage an die Nouvelle-Vague-Regisseure mit ihrer Verehrung für das amerikanische Genrekino. "In the Electric Mist" schließt diesen Zyklus nun auf sehr schöne Weise ab.
Unkonventionell wie die Figur Robicheaux angelegt ist, kann sich auch Tavernier ein paar Freiheiten beim Erzählen seiner Geschichte - und der Geschichte des Film noir - herausnehmen. Er hat "In the Electric Mist" in das Louisiana nach Hurrikan "Katrina" verlegt, und diese Allgegenwart von Zerfall und Desolation verleiht dem Film eine morbide Atmosphäre, die von den titelgebenden Nebeln noch verstärkt wird. Es ist ein Halbwelt-Film im besten Wortsinn. Die Toten sind überaus lebendig (und mit ihnen der ganze historische Ballast), einige der Lebenden stehen bereits mit einem Bein im Grab. Und über sie alle regiert ein monströser John Goodman als lokaler Mobsterboss. Er setzt in "In the Electric Mist" das Realitätsprinzip fast eigenständig außer Kraft.
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