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"Tatort"Libidinöser Ersatz à la Hitchcock

Kommentar von Christian Buss

Sexabsicht der Ermittler ahnden die Drehbuchautoren mit sofortiger Todesgefahr. Das gilt besonders für den Münchner "Tatort" - auch am Sonntag um 20.15 Uhr.

Kuschel-Verhör: Miroslav Nemec und Franziska Schlattner Bild: BR/Moovie/Trümper

M it dem Sex im "Tatort" verhält es sich meist wie in einem Teenhorrorschocker: Die Libido der Ermittler muss mit allen Mitteln unter Kontrolle gehalten werden, jede Beischlafabsicht ahnden die Drehbuchautoren mit sofortiger Todesgefahr. Das gilt besonders für den Münchner "Tatort", in dem sich die Kommissare häufig mit barocken Lebensgenüssen konfrontiert sehen, aber jede ihrer hormonellen Wallungen mit französischer Küche oder mikrowellenerhitzten Wurstsemmeln zu kompensieren haben.

Hier aber kann Batic (Miroslav Nemec) einfach nicht widerstehen. Die Ermittlungen führen ihn und seine Kollegen zu den Oktoberfest-Vorbereitungen, wo einige mächtige Honoratioren die Vergabe der begehrten Schanklizenzen regeln. Bald treibt ein Stadtrat mit dem Kopf nach unten in seinem Gartenteich. Bei den Untersuchungen verfällt Batic dem tief ausgeschnittenen Dirndl einer Hauptverdächtigen (Franziska Schlattner). Er lädt sie ein zu einem Schäferstündchen in einem schnuckeligen Hotel, in dem schon - das könnte die romantik-affine Bedienung interessieren - Rilke abgestiegen sein soll. Auf dem Zimmer hat der Bulle noch nicht das Hemd vom Körper gerissen, da wird er auch schon von einem Schuss durch den Spalt in der Zimmertür niedergestreckt.

Einen wunderbar doppelbödigen Krimi legen Autor Friedrich Ani und Regisseur Martin Enlen mit "A gmahde Wiesn" vor: Zuschauer, die bei der Organisation des Volksfests monströse mafiöse Umtriebe wittern, laufen ebenso ins Leere wie jene, die auf volkstümliche Verderbtheit hoffen. Enlen verstand es schon in einigen "Tatort"-Produktionen zuvor, etwa in "Tod auf der Walz", München und Umland von seiner rustikalsten Seite zu zeigen, ohne in Folklore oder parodistische Überhöhung zu verfallen.

In dieser Episode nun nutzt der Regisseur - über kleine Ungereimtheiten sehen wir gern hinweg - das Traditionsfest, um von familiären und amourösen Verstrickungen dieses umsatzträchtigen Geschäftsfelds zu erzählen. Bei aller bajuwarischen Hemdsärmeligkeit gönnt er sich dabei einige subtile Momente. Wie er etwa den am Single-Dasein leidenden Batic zeichnet, das verweist auf ein Studium von Alfred Hitchcocks Art, libidinöse Ersatzhandlungen zu inszenieren: Der sexuell unterversorgte Batic beißt einmal nervös in seine Wurstsemmel - und der Senf spritzt lustvoll nach allen Seiten.

Der heimatkundliche Kosmos wird mit so subversivem und lustvollen Witz ausgeleuchtet, dass man fast vergessen könnte, dass die Verantwortlichen des BR-"Tatort" inzwischen eine wichtige öffentlich-rechtlich Aufgabe schultern: Nach dem Abgang Bienzles ist das Münchner Revier das letzte, wo noch der regionale Dialekt gepflegt wird.

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