„Tatort“ von der re:publica: Der Tod kam aus der Mate-Flasche
Bloggerinnen drehen auf der re:publica einen „Tatort“ ohne die altbekannten Klischees. Dafür spielen sie mit neuen und inszenieren sich selbst.
Der Tod kommt aus der Mate-Flasche. Woher auch sonst? Es ist re:publica in Berlin und Club Mate ist auf dem traditionellen Blogger und Netzaktivistentreffen das Getränk. Mark Heywinkel hat eine vergiftete Mate nun umgehauen. „Wir suchen noch eine Leiche“ hatten Johanna Emge (@bommeljogi), Ninia Binias (@Ninia LaGrande) und Kathrin Kaufmann (@kommanderkat) tags zuvor getweetet.
Heywinkel, Emge, Binias und Kaufmann bloggen regelmäßig auf leflaneurs.de über Kunst, Kultur und Clubs – und Emge und Binias montags über den ARD-Tatort. Auf der re:publica wollen die beiden Frauen nun innerhalb eines Tages ihren eigenen „Tatort“ drehen.
Ein „Spaßprojekt“ soll das sein, die Qualität zählt nicht allzu viel. Gedreht wird mit einer kleinen Handkamera „von einem Freund“, die Dialoge sind meist noch viel schlechter als beim öffentlich-rechtlichen Original.
Dafür gibt es Nerdklischees: Club Mate, Katzen, Glitzer und viele Bärte. In zwei bis drei Wochen soll das Video auf YouTube zu sehen sein.
„Tatort Affenfelsen“ lautet der Titel. Er ist nach den kubischen Aufbauten aus Holz benannt, auf denen die Besucher der re:publica zwischen den Vorträgen sitzen und in ihre Rechner starren.
Kommunikation über Twitter
Gerade wischt sich Heywinkel, freier Journalist, 27 Jahre, schwarze Röhrenjeans und Karohemd, das Kunstblut aus dem Mundwinkel. Seine Szene als Leiche ist abgedreht. Für Emge und Binias geht die Arbeit jetzt erst richtig los. „Wir wollen einen ’Tatort‘ drehen, wie wir ihn selbst gern sehen wollen“, sagt Emge. „Mit einer anständigen Frauenquote, People of Colour und Menschen mit Behinderung“, ergänzt Binias, 31 Jahre, orange-rosa Brille, Ananas-Ohrstecker.
Regelmäßig bemängeln die beiden Bloggerinnen, wie klischeebeladen die Produktionen der ARD-Anstalten sind. Dazu zählt auch ein Check mithilfe des Bechdel-Tests, der bestimmt, ob ein Film „frauenfreundlich“ ist. In ihrem Amateur-„Tatort“ sind all diese Kriterien erfüllt.
Bis auf Leiche und Spurensicherung sind alle Rollen mit Frauen besetzt. Die 25-jährige Amina Yousuf aus Göttingen, gekleidet in einen türkisfarbenen Sari und ein pinkfarbenes Jackett, spielt eine der Kommissarinnen. Laura Gehlhaar, 32 Jahre, rollstuhlfahrende Bloggerin aus Berlin, tritt als gute Freundin des Ermordeten auf.
Auch das Netz soll, anders als in den „Tatorten“ der ARD, keine „antiquierte Rolle“ spielen. Deshalb findet die Kommunikation zwischen den Filmemacherinnen und den DarstellerInnen ausschließlich via Twitter statt. Das ist nur folgerichtig. Für alle Beteiligten sind „Tatort“ und Twitter längst untrennbar. Binias beispielsweise ist erst über Twitter zum „Tatort“ gekommen. Daran, dass das Gemeinschaftserlebnis Fernsehen eines Tages ausstirbt, glaubt sie nicht. Schuld daran sei der Kurznachrichtendienst. „Damit alle darüber twittern können, müssen auch alle gleichzeitig schauen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“