: Tatkräftige Ignoranz
Die meisten „Aussteigerprojekte“ verfehlen ihr Ziel. Weil sie die Neonazis zu Opfern machen, ihnen ein Forum für ihre Hetze bieten oder sie mit Geld ködern wollen
Was soll man mit jugendlichen Neonazis und rassistischen Gewalttätern machen? Über diese Fragen zerbrechen sich viele tatsächliche und selbst ernannte Experten den Kopf – und dies nicht erst seit einem Jahr, seitdem Neofaschismus und rechte Gewalt urplötzlich in den Mittelpunkt der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit rückten. Inzwischen sind diverse Projekte an den Start gegangen; es ist Zeit für eine Bilanz.
Sie fällt eher negativ aus: Nicht wenige „Projekte“ diskreditieren die seriösen Angebote, die tatsächlich den Absprung aus der neonazistischen Szene ermöglichen wollen.
Natürlich sind Aussteigerprojekte notwendig. Denn ohne Hilfe kann der Absprung kaum gelingen aus einer Szene, die mit ihren sektenartigen Strukturen, ihren sozialen Kontrollen sowie psychischen und physischen Druck den Mythos einer angeblichen „Kameradschaft“ aufrechterhalten will. Diese Hilfe darf aber nicht nur aktionistischer Selbstzweck sein, die eine verstörte Öffentlichkeit beruhigen soll. Auch dürfen Aussteigerprojekte nicht missbraucht werden, um aus rassistischen Tätern auf einmal Opfer zu machen, denen man mit möglichst viel Verständnis, Nachsicht und Toleranz begegnen muss.
Dazu neigt etwa die dubiose „Initiative Dialog“, die in besonders marktschreierischer Weise eigentlich nur virtuell über ihr Internetangebot „nazis.de“ existent ist. Dahinter verbirgt sich Markus Rabanus von der Berliner „Rabanus Grundstückverwaltungen“. In ihrem im Internet veröffentlichten Selbstverständnis heißt es unter anderem: „Die antifaschistische Arbeit muss Anliegen der politischen Mitte unseres Landes sein. Antifaschismus darf nicht den Linksextremisten überlassen werden, deren Engagement sich bei vermeintlich gutem Willen oft als kontraproduktiv darstellt, denn auch dort ist Hass ein vielfach anzutreffendes Motiv und äußert sich in naiven, gleichwohl kriminell-gefährlichen Versuchen, den Konflikt mit linksextremistischer Gegengewalt anstatt mit bürgerlichem Gesetz und Polizei zu lösen.“ Woanders findet sich dann: „ ,Nazis raus!‘ Nein! . . . Redet mit Nazis, wann immer ihr könnt! . . . Wir halten nichts von Ausgrenzung!“ Zu den Skurrilitäten dieser Homepage gehört auch die Parole „ANTIFASCHISMUS ist auch der Kampf gegen die Droge ALKOHOL“. An anderer Stelle werden Neonazis gar als „verlorene Seelen“ bezeichnet.
Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass hier das unselige Konzept der „Akzeptierenden Sozialarbeit“ mit rechtsextremistischen Jugendlichen seine virtuelle Fortsetzung findet – mit offenbar den gleichen verheerenden Folgen. Führte das Original der akzeptierenden Jugendarbeit dazu, dass sich die Rechtsextremisten quasi belohnt fühlten, weil man ihnen faktisch ganze Jugendzentren überließ, so tummeln sich im Live-Chat von „nazis.de“ nicht selten überzeugte Neonazis – die dies schon durch ihre gewählten Pseudos wie „WESERMACHT“, „GegenLinks“ oder „WeisseWut“ zum Ausdruck bringen. Hier können sie dann fast ungestört rechtsextreme Propaganda verkünden, Kontakte zu offensichtlich Gleichgesinnten herstellen und ganz ungeniert hetzen – gegen ihre Lieblingsfeinde wie Einwanderer, Andersdenkende, Menschen jüdischen Glaubens oder Schwule. Was daran „antifaschistisch“ oder „Hilfe zum Ausstieg“ sein soll, wird wohl das ewige Geheimnis der Verantwortlichen bleiben.
Problematisch ist aber auch das Projekt der Bundesregierung. Nach jahrzehntelanger Blindheit und Taubheit gegenüber Neonazismus und rechter Gewalt wollte auch Bundesinnenminister Schily auf den Zug aufspringen. Doch sein medienwirksam präsentiertes „Aussteigerprogramm“ hat in der braunen Szene eher Häme und Gelächter als ernsthafte Verunsicherung ausgelöst. Unabhängig davon, dass nicht nachvollziehbar ist, warum Menschen belohnt werden sollen, wenn sie aufhören, andere Menschen zu jagen – schon der Anspruch, mit dem das Programm vorgestellt wurde, offenbarte eine erschreckende Unkenntnis der neonazistische Szene. Mit Gesprächsangeboten und Hilfen bei einer eventuellen Wohnungs- und Jobsuche sollten vornehmlich die Kader der Szene zum Absprung bewegt werden. Eine sinnlose Offerte: Denn gerade die Kader der rechtsextremen Szene sind in der Regel eben nicht die armen und bemitleidenswerten Sozialfälle, für die manche sie gerne halten. Zudem wurde dieser Ansatz von der Zielgruppe eher als Versuch gewertet, „Gesinnung abzukaufen“ – und das kann bei fanatisierten Angehörigen einer Szene mit einem zwar abstrusen, aber durchaus geschlossenen Weltbild kaum gelingen.
Entsprechend mager sieht dann auch die Zwischenbilanz aus – ganze zweihundert Anrufe gingen bei der extra geschalteten Hotline des Bundesamts für Verfassungsschutz ein. Doch nur etwa siebzig Anrufer dürften der vermeintlichen Zielgruppe tatsächlich angehören. Aber selbst unter diesen siebzig sind natürlich eine ganze Reihe von Journalisten, Neonazis und auch Antifaschisten, die sozusagen „aus erster Hand“ erfahren wollten, was es mit dieser „Hotline“ und dem „Aussteigerprogramm“ auf sich hat.
Sinnvoll hingegen ist die Arbeit der Privatinitiative „Exit“, die sich an einem schwedischen Vorbild orientiert. Sie setzt nicht auf soziale Belohnung, sondern auf Hilfe zur Selbsthilfe. Sie verlangt eine tatsächliche inhaltliche Auseinandersetzung des Betreffenden und seine Umorientierung hin zu demokratischen Werten. Diese Arbeit wird aber durch die problematischen Projekte nicht gerade einfacher.
Einfacher wird sie allerdings auch nicht, wenn potenzielle Aussteiger durch die Legende abgeschreckt werden, man würde nach einem Ausstieg aus der rechten Szene seines Lebens nicht mehr froh. Das effekthaschende Gerede, man müsse sich anschließend aus Angst vor Racheakten im Ausland aufhalten, ist maßlos übertrieben. Zwar gibt es ein Gefährdungspotenzial durch die ehemaligen „Kameraden“, dieses jedoch stets zu überhöhen, gesteht den Neonazis eine Macht zu, die zwar ihrem Ego entspricht und ihren Lieblingsmythos bestätigt, aber mit der Wahrheit herzlich wenig zu tun hat. Solches Gerede bestärkt die Neonazis nur in ihrer eigenen Wichtigkeit und schreckt potenzielle „Abtrünnige“ eher ab, als sie zu ermuntern. Natürlich wurde die Gefahr des Neonazismus gerade von amtlicher Seite viel zu lange verharmlost – aber dies jetzt mit Gruselgeschichten zu kompensieren, schadet lediglich der eigenen Glaubwürdigkeit und einer ernsthaften Arbeit gegen rechts.
Ein anderes beliebtes Vorurteil von Politik und Öffentlichkeit ist, Aussteigen damit zu verwechseln, sich die Haare wieder wachsen zu lassen oder die Bomberjacke auszuziehen. Politische Gesinnung ist aber weder eine Frage der Frisur noch der Marken von Jacken oder Schuhen. Wer heute immer noch pauschal Skinheads mit Neonazis gleichsetzt, sollte am besten die Finger von „Aussteigerprojekten“ lassen. JÖRG FISCHER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen