Tarifverhandlungen für Redakteure: Lohndumping im Journalismus
Die Verlage wollen bei den Mittwoch wieder beginnenden Verhandlungen die Gehälter für junge Journalisten drastisch senken. Volontäre sollen 25 Prozent weniger bekommen.
Wenn sich am Mittwoch im Hotel Radisson Blue in Köln-Deutz die Journalistengewerkschaften und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zu ihrer vierten Tarifrunde treffen, geht es - ums Geld, natürlich.
Es geht, sagen der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die zu Ver.di gehörende Deutsche Journalisten-Union (dju), aber noch um mehr: um nicht weniger als die Zukunft des Journalismus. Die Vertreter der Journalisten befürchten, dass die Gesellschaft ihren Beruf, der in Sonntagsreden gern als bedeutsam für das Funktionieren einer Demokratie gepriesen wird, künftig vor allem mit Dumpinglöhnen in Verbindung bringt.
Seit September laufen die Gespräche, nachdem die Journalistengewerkschaften den Gehaltstarifvertrag zum 31. Juli 2010 gekündigt haben. Aufgeheizt ist die Stimmung, seitdem die Arbeitgeber im Dezember ihre Pläne vorstellten: Im Kern geht es darum, dass sie die Einstiegsgehälter für Volontäre senken wollen - um mindestens 25 Prozent. Bislang verdienen Volontäre laut Tarif knapp 1.800 Euro im ersten und rund 2.000 Euro im zweiten Berufsjahr. Einbußen in vergleichbarem Ausmaß drohen allen Redakteuren, die bei einem Verlagswechsel neu eingestellt oder auch nur innerhalb eines Medienhauses in eine andere Firma verschoben werden. Wie alt oder wie gut qualifiziert sie sind, spielte künftig keine Rolle. Die Folge wäre eine zunehmende Erstarrung der Redaktionen, denn niemand würde dann noch freiwillig den Verlag wechseln.
Früher gelang es den Verlagen immer wieder mal, ein teures Gehalt einzusparen, wenn altgediente Redakteure als Freie noch einmal neu anfingen. Solche Selbstverwirklichungsabenteuer riskieren aber nur noch wenige. Insofern liegt es nahe, dass die Verleger jetzt Neueinsteigern ans Portemonnaie wollen. Bislang liegt der Tarif für Redakteure nach der erst Mitte 2008 angepassten Lohnskala in den ersten drei Berufsjahren bei knapp 3.000 Euro, steigt dann auf 3.467 Euro und ab dem siebten Berufsjahr auf 4.000 Euro. Aber nur bei tarifgebundenen Verlagen, versteht sich. Bei den anderen - und erst recht bei der taz - liegen diese Sätze schon heute zumeist niedriger.
Es gib immer welche, die es für noch weniger machen
Was die Volontäre angeht, ist der Hintergedanke der Manager klar: Es gibt ohnehin genug Bewerber, da finden wir auch welche, die es für noch weniger Geld machen als bisher. Kajo Döhring, Hauptgeschäftsführer des DJV und Verhandlungsführer seiner Organisation bei den Verhandlungen in Köln, betont jedoch, aus den Unis wisse man schon jetzt, dass sich potenzielle Nachwuchsjournalisten aufgrund der besseren Verdienstaussichten verstärkt für die PR-Branche entscheiden. "Der Job als Journalist wird - noch - als Berufung verstanden, und das ist auch gut so, aber wenn das ausgenutzt wird, wird das bald nicht mehr so sein", sagt Döhring. "Wir müssen grundsätzlich argumentieren, dass durch die Pläne der Verleger das Berufsbild nachhaltig beschädigt wird."
Von 2003 bis 2009 sank bei den Tageszeitungen die Zahl der fest angestellten Redakteure von 15.000 auf 14.000. Wer übrig geblieben ist, muss nicht nur für die entlassenen Kollegen mitschuften. Auch der Arbeitsaufwand auf dem digitalen Feld ist gewachsen. "Wie soll Qualitätsjournalismus noch möglich sein, wenn man nicht nur immer mehr arbeiten muss, sondern auch noch schlechter bezahlt wird?", fragt Renate Gensch, dju-Vize in Berlin-Brandenburg und Betriebsratschefin des Berliner Verlags (Berliner Zeitung).
Für viele Redakteure ist ein Tarifgehalt schon jetzt unerreichbar. Laut DJV gibt es in der Zeitungsbranche derzeit 19 Verlage, die mittels Leiharbeit Kosten sparen, dazu kommen 39, die "ohne Tarifbindung" Mitglied im BDZV sind. Wie zum Hohn wurde eben bekannt, dass der Stuttgarter Holtzbrinck-Konzern (u. a. Zeit, Tagesspiegel) mitten in der Verhandlungsrunde klammheimlich die Mitgliedschaft seiner Saarbrücker Zeitung im BDZV von einer normalen in eine ohne Tarifbindung umgewandelt hat.
Untertarifliche Gehälter für neu eingestellte Redakteure sind bei solchen Verlagen bereits die Regel. Besonders absurd mutet es an, dass es legal ist, Journalisten als Leiharbeitskräfte zu beschäftigen, obwohl sie Dauerarbeitsplätze besetzen. Möglich ist das, weil es für den Einsatz eines Leiharbeitnehmers auf einem Arbeitsplatz keine zeitliche Begrenzung mehr gibt. Rot-Grün schaffte sie 2003 ab.
Renditen der fetten Jahre
Der Streit zwischen Verlegern und Gewerkschaften ist von der üblichen Rhetorik geprägt. Die Arbeitnehmervertreter fordern 4 Prozent mehr, weil es nach rund zehnjähriger Zurückhaltung ihrerseits nun "Nachholbedarf gibt" (Gensch). BDZV-Verhandlungsführer Werner Hundhausen begründet die Verlegerstrategie dagegen damit, dass "über viele Jahre hinweg" die Auflagen "bei den Abotiteln von etwa 1 bis 2 Prozent jährlich und bei den Boulevardtiteln sogar noch in einen wesentlich stärkeren Maße" zurückgegangen seien. Zudem gebe es bei den Anzeigen eine Rückentwicklung auf das Niveau von Mitte der 90er Jahre zu beklagen. An diesen Rahmenbedingungen werde sich nichts ändern.
Als Einzelunternehmen verkünden die Verlage freilich regelmäßig frohe Botschaften, vergangene Woche etwa teilte die FAZ mit, man habe 2010 einen Gewinn im einstelligen Millionenbereich erzielt. Die Pläne der Verleger seien "absurd", wenn man bedenke, dass "Springer so viel Geld verdient, dass die Vorstände kaum noch laufen können", sagt Martin Dieckmann, bei Ver.di Leiter des Medienbereichs im Bezirk Nord. Springer stellt kommende Woche seine Zahlen für 2010 vor - es wird wieder ein Rekordergebnis sein.
"Der BDZV versucht den Eindruck zu erwecken, von 350 Titeln stünden 300 am Abgrund. Unsere Zahlen besagen etwas anderes", sagt DJV-Funktionär Döhring. Die Verleger hätten sich an "die Renditen der fetten Jahre" gewöhnt und seien nicht bereit zu akzeptieren, dass die Gewinne statt zwischen 16 und 20 Prozent nur noch zwischen 6 und 8 Prozent lägen. Dass diese Gewinne heute geringer seien, liege auch an den Managementfehlern "der letzten 15 Jahre", sagt Renate Gensch, die in Köln mit am Verhandlungstisch sitzt. Es sei nicht einzusehen, dass die Journalisten - und mittelbar auch die Leser - das ausbaden sollen.
Allerdings dürfte es für die Gewerkschaften schwierig werden, Mitglieder für den Kampf zu mobilisieren, falls sich die Verleger in Köln stur stellen sollten. Schließlich geht es nicht zuletzt um die Interessen zukünftiger Journalisten. Döhring sagt, seine DJV-Mitglieder sähen die Pläne der Verleger allgemein als "Angriff auf das Selbstverständnis jedes Journalisten". Der Betriebsratschef einer überregionalen Tageszeitung ist dagegen pessimistisch: "Für den zukünftigen Nachwuchs streikt keiner."
Allein kann man nichts ausrichten
Der auf Gewerkschaftsforschung spezialisierte Soziologe Ulrich Brinkmann (Uni Trier) sagt, es gebe generell "keine starke Tradition eines für seine eigenen Interessen kämpfenden Journalismus". Wie bei anderen "Wissensarbeitern" herrsche bei Journalisten der Irrglaube vor, sie könnten ihre eigenen Probleme "individuell selber regeln" - obwohl man "allein gar nichts ausrichten kann gegen die drastische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen".
Die sich daraus für die Journalistenorganisationen ergebenden Probleme betreffen nahezu alle Bereiche. Die "Entgrenzungen von Arbeitszeiten bis zur Hinnahme verstärkter Gesundheitsrisiken" stellten die Gewerkschaften "vor neue Herausforderungen", schreiben Brinkmann und Koautor Oliver Nachtwey in einer Beilage der vom Bundestag herausgegebenen Zeitung Das Parlament. Journalisten haben zum Trend der "Entgrenzung" einiges beigetragen. Die Bereitschaft, am Abend und am Wochenende zu Hause Arbeit zu erledigen, die in keiner Überstundenstatistik erfasst wird, war bereits ausgeprägt, als die Lage noch paradiesisch war.
Bei den Journalistengewerkschaften hofft man zumindest insgeheim, dass sich alsbald die Politik konzertiert gegen den fundamentalistischen Sparkurs der Verlage zu Wort meldet. DJV-Verhandlungsführer Döhring sagt, er höre "aus dem politischen Umfeld" bereits vereinzelt Kritik, beispielsweise von Landräten, die die Kürzungen bei Lokalzeitungen spüren. Ihr Problem: Wenn sie Pressekonferenzen veranstalten, kommen immer weniger Journalisten.
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