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Tarifverhandlungen bei der BVG1,5 Grad und 10 Minuten Wendezeit

Die #wirfahrenzusammen-Kampagne will bessere Arbeitsbedingungen für Bus- und Bahnfahrer. Eine Aktivistin und ein Busfahrer erklären, wie.

Debby Roschka und Mathias Kurreck setzen sich nicht nur für bessere Arbeitsbedingungen für Bus- und Bahnfahrer ein Foto: Joscha Nivergall

Berlin taz | Vor einem Jahr saß Mathias Kurreck noch vorne im gelben BVG-Bus und fuhr Pend­le­r:in­nen durch die Hauptstadt. An den Endhaltestellen ärgerte er sich, dass er wieder einmal zwischen Pausenbrot und Pinkelpause wählen musste. Debby Roschka saß hinten im Bus und hörte Musik oder las ein Buch. Sie ärgerte sich, wenn der Bus oder die Straßenbahn Verspätung hatte und sie mal wieder zu spät an ihrem Ziel ankam. Zwei getrennte Realitäten, die sich nur selten überschnitten.

Neulich ist Roschka wieder mit dem Bus gefahren. Diesmal saß sie ganz vorne, so dass sie den Fahrer sehen konnte. Auf der Konsole stand die Zahl 40. „Der Busfahrer hatte 40 Minuten Verspätung angehäuft“, sagt sie. „An der Endhaltestelle wird er also noch weniger Zeit haben, um seine Grundbedürfnisse zu befriedigen.“

Debby Roschka und Mathias Kurreck kennen sich seit einem Jahr. Sie studiert soziale Arbeit und ist Aktivistin bei Fridays for Future. Er ist Verdi-Vertrauensmann und freigestellter Busfahrer. Seit einem Jahr lernen sie die Organisation, Struktur und Arbeit der anderen Seite kennen. Sie über Gewerkschaften. Er über Klima-Aktivismus. Die Hoffnung: Sie können ihre jeweiligen Peergroups davon überzeugen, mehr zusammenzuarbeiten.

In dieser Woche verhandelt Verdi erneut mit dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) über einen neuen Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der BVG. Es geht um mehr Urlaubstage, eine höhere Mindestruhezeit zwischen den Diensten und eine längere Wendezeit an den Endhaltestellen.

Gewerkschaft und Aktivisten haben viel erreicht

Es bleibt abzuwarten, ob die Kooperation zwischen Fridays for Future und Verdi, auch als #wirfahrenzusammen bekannt, zu besseren Ergebnissen für die Beschäftigten führt. Aber eines ist schon jetzt klar: Die gemeinsame Bewegung von Ge­werk­schaf­te­r:in­nen und Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen hat viel mehr erreicht, als nur Druck auf die Regierung und den Arbeitgeber auszuüben. Sie haben die Tür zu einem größeren sozialen Zusammenhalt geöffnet – wenn auch nur um einen kleinen Spalt.

Die Kluft zwischen den gesellschaftlichen Gruppen wird immer größer. Au­to­fah­re­r:in­nen gegen Radfahrer:innen. Generation Z gegen Boomer. Kernenergie gegen Wärmepumpen. Themen, die zu hitzigen Diskussionen und verhärteten Fronten führen, tauchen immer häufiger auf. Mitten in dieser Gemengelage stehen Roschka und Kurreck und versuchen, eine Verbindung zwischen zwei Seiten herzustellen.

Zwei Seiten, die nicht unbedingt miteinander kooperieren wollen. Nicht alle Verdi-Mitglieder und schon gar nicht alle Bus- und Bahn­fah­re­r:in­nen der Hauptstadt finden die Zusammenarbeit mit den Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen gut. Einige befürchten eine Politisierung des Arbeitskampfes, die nicht durch das deutsche Streikrecht abgedeckt ist.

Andere wiederum stehen nicht einmal hinter den Forderungen der Klimaaktivist:innen. „Warum müssen wir in Deutschland so viel zurückstecken, wenn in den USA und China so viel mehr Emissionen ausgestoßen werden“, sagt ein Bahnfahrer beim Warnstreik Anfang Februar. Er steht vor einem Bus am Betriebsbahnhof Lichtenberg, in dem sich Streikende aufwärmen können.

Auch Busfahrer haben Bedürfnisse

Rund 20 Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen sind beim Streik in Lichtenberg mit dabei. Mit gelben Warnwesten und Klemmbrettern stehen sie zwischen den BVG-Beschäftigten. Sie wollen Unterschriften für die Petition #wirfahrenzusammen sammeln: bessere Arbeitsbedingungen, aber auch mehr Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr. Jede Unterschrift sollte auch von einem Gespräch über den Klimawandel begleitet werden, so zumindest das Ziel der Kooperation.

Unterschriften sind leicht zu sammeln. Das Gespräch über Klima eher nicht. „Ich werde für bessere Arbeitsbedingungen unterschreiben“, sagt ein Busfahrer zu einem jungen Klimaaktivisten. „Aber von den Klimaklebern halte ich nichts.“ Als dann die Co-Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, auftritt und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen lobt, wird sie von der Menge lautstark ausgebuht.

„Der Busfahrer hat andere Bedürfnisse als ein Hochschullehrer“, sagt Mathias Kurreck. „Er will einfach nur sicher nach Hause kommen, mit den Kindern spielen, etwas warmes Essen und abends ins Bett gehen, damit er am nächsten Morgen um 2 Uhr mit seinem Fahrrad oder Auto zur Arbeit fahren kann.“ Manche würden denken, dass Klimaschutz und die eigenen Bedürfnisse nicht zusammenpassen, sagt er.

Dass immer weniger Menschen sich für Maßnahmen gegen den Klimawandel interessieren, hat auch Debby Roschka in den vergangenen Jahren gespürt. Schon seit ihrer Jugend ist die 22-Jährige bei Fridays for Future aktiv. Wie viele junge Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen hatte sie aber zuletzt etwas Hoffnung verloren. „Wir stehen auf der Straße und fordern politische Veränderung, letztendlich ist da aber oft nicht genug Druck dahinter“, sagt sie.

Es ist eine mühsame und langsame Veränderung

Auch Kurreck hat in letzter Zeit immer tiefer in eine scheinbar trostlose Zukunft geblickt. Allerdings nicht, wie Roschka, wegen der Klimabewegung – damit hatte er sich in seinem Leben noch nie beschäftigt. Er ist seit 2007 bei der BVG. „Irgendwann dachte ich mir nur noch: Oh Gott, das muss ich noch 30 Jahre lang machen“, so der Busfahrer.

Aber im vergangenen Jahr hat die Zusammenarbeit zwischen Fridays for Future und Verdi wieder frischen Wind in die Gewerkschaftsstrukturen, Streikoffensiven und sein Leben gebracht. „Ich bin gerne mit diesen Leuten zusammen, weil sie eine andere Denkweise mitbringen“, sagt er über die Aktivist:innen.

„Das sind keine Schüler, die keine Ahnung haben“, sagt Kurreck. „Sie sind gut organisiert und strukturiert, auch wenn es nicht immer so aussieht.“ Er möchte diese Strukturen für die Gewerkschaft übernehmen. „Als Gewerkschaft haben wir es verpasst, offener, digitaler und schneller zu werden.“

Er wurde von seinen Kollegen in der Gewerkschaft mehr oder weniger zur Zusammenarbeit mit Fridays for Future gezwungen. Mit seinen 38 Jahren ist er das jüngste Mitglied des Teams und hätte somit die engste Verbindung zu den jungen Ak­ti­vis­t:in­nen hieß es. Und obwohl er jetzt mit Leidenschaft dabei ist, fällt es ihm immer noch schwer, sich als Aktivist zu bezeichnen.

Die kleinteilige Arbeit lohnt sich trotzdem

„Du machst alles, was eine aktivistische Person macht“, sagt dazu Debby Roschka. „Du führst Gespräche, du lernst dazu, du veränderst die Welt mit allem, was du tust.“

Es ist eine mühsame und langsame Veränderung. Doch Roschka und Kurreck glauben, dass sich die kleinteilige Arbeit trotzdem lohnt. „Es ist wichtig, nicht nur mit der eigenen Bubble zu sprechen“, sagt Debby Roschka. „Menschen zu überzeugen, die noch Vorbehalte haben, und zu merken, dass sich was bewegt, ist total machtvoll.“

Als Roschka neulich mal wieder im Pausenraum auftauchte, saß dort eine Frau, die die Klimaaktivistin schon einmal abgewiesen hatte. „Mit mir musst du gar nicht erst anfangen“, hatte sie damals noch gesagt, erzählt die 22-Jährige. Diesmal war die Sozialarbeitsstudentin aber ein vertrautes Gesicht. „Du bist ja schon wieder da“, sagte die Straßenbahnfahrerin dann. Das hat schon gereicht, die Petition hat sie unterschrieben.

Neben besseren Arbeitsbedingungen für Bus- und Bahn­fah­re­r:in­nen in der Hauptstadt haben Roschka und Kurreck ein weiteres, viel weitreichenderes Ziel: Sie erhoffen sich durch diese vielen Einzelgespräche eine ähnliche Wirkung, wie sie sie bei sich gemerkt haben. Dass zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, sich in einer Sache gemeinsam wiederfinden können: im Kampf für eine klimagerechte Welt.

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