Tarifflucht der Unternehmen: Abspalten und abschwatzen

Werden Betriebsteile outgesourct, gelten Tarifverträge weiter. Aber nicht für Neueingestellte. Es drohen Zwei-Klassen-Belegschaften.

Leute essen in einer Kantine

Wird auch oft outgesourct: die Kantine Foto: dpa

BERLIN taz | Der Mann hatte seinen Job in der Gärtnerei des Kreiskrankenhauses im Raum Offenbach vor 38 Jahren angetreten. Öffentlicher Dienst war das damals, eine sichere Sache. Nach 20 Jahren wurde das Krankenhaus in eine Gmbh umgewandelt, weitere Überleitungen in immer neue Gmbhs und „Facility Management Gesellschaften“ folgten. Der Gärtner bekam keine Lohnerhöhungen mehr. Er gewann jetzt eine Klage um eine Nachzahlung seines Lohnes von mehr als 10 000 Euro.

Das Beispiel des Mannes stellten Verdi-Gewerkschafter am Donnerstag vor, anlässlich einer Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zur Tarifflucht in Berlin. Die Tarifbindung sei „spürbar gesunken“, sagte Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand. Nur noch 59 Prozent der Beschäftigten und 49 Prozent im Osten unterliegen Tarifverträgen.

Werden Betriebe privatisiert und umgewandelt, so wie das Krankenhaus bei Offenbach, genießen die Beschäftigten zwar noch eine „Nachwirkung“ der alten Tarifverträge für ihre Arbeitsverhältnisse. Doch die Löhne werden dann nicht mehr ohne weiteres erhöht. Der Gartenarbeiter aus dem Krankenhausbetrieb hatte allerdings Glück. Ihm half eine Klausel im Arbeitsvertrag, wonach die Lohngestaltung für die Altbeschäftigten auch in der neuen Gmbh dynamisiert werden müsse.

Beschäftigte werden weichgeklopft

Verdi-Rechtsexperte Peter Schmitz zählte auf, wie Arbeitgeber Belegschaften aus alten Tarifbindungen lösen: Befristet Beschäftigte und Auszubildende werden nur übernommen, wenn sie den neuen Bedingungen zustimmen. Beförderungen werden nur in Aussicht gestellt, wenn der oder die Betreffende neuen Einzelverträgen zu anderen Bedingungen zustimmt. Neueingestellte werden ohnehin nach den neuen Tarifen bezahlt. „Der Druck ist erheblich“, berichtet Schmitz.

In den privatisierten und umgewidmeten Krankenhausbetrieben bei Offenbach überprüfte die Gewerkschaft Verdi 50 Arbeitsverträge der Altbeschäftigten. Am Ende aber wollten nur elf Leute klagen. „Manchen Leuten wurde vom Arbeitgeber versprochen, in die Wunschabteilung zu wechseln, wenn sie einem neuen Vertrag zustimmen“, erzählte Sinem Bohn, Rechtssekretärin bei Verdi in Frankfurt am Main.

Die alten Tarifbindungen bröckeln, wenn beispielsweise Dienstleister in einem Industriebetrieb abgespalten und ausgelagert werden. Wer in einem Metallbetrieb in der Kantine arbeitet, fällt dann nach der Auslagerung in die Zuständigkeit eines Tarifvertrages für die Gastronomie. Wer in den Spedition tätig ist, gehört fortan zur Logistik. Buntenbach forderte, bei Auslagerungen und Abspaltungen von Betriebsteilen künftig die alte Tarifzuständigkeit auch für Neueingestellte weitergelten zu lassen.

Sieben Arbeitsstunden mehr, unbezahlt

Die Aufspaltung der Belegschaften bei Auslagerungen ist eine Methode der Tarifflucht. HInzu kommt, dass immer mehr Unternehmen in Arbeitgeberverbänden nur noch eine OT-Mitgliedschaft haben, sie sind also ohne Tarifbindung (OT).

Diese Arbeitgeber müssen ihrer Belegschaft keine Tariflöhne zahlen und das Personal darf auch nicht im Rahmen von Tarifverhandlungen streiken. Im Arbeitgeberverband Gesamtmetall ist der Anteil der Unternehmen mit OT-Mitgliedschaft innerhalb von zehn Jahren von 25 auf 48 Prozent gestiegen, hieß es beim DGB.

Die Belegschaft im Unternehmen Knorr Bremse Powertech in Berlin erlebt seit diesem Jahr, was es heißt, wenn eine Firma den Arbeitgeberverband Gesamtmetall verlässt. Dem Personal wurde mitgeteilt, dass ab April die 42-Stunden-Woche gelte, ohne Entgeltausgleich. Bislang galt eine Arbeitszeit von 35 Stunden.

Eine gespaltene Belegschaft

Der Vorstandsvorsitzende habe die Belegschaft mit dem Argument der Sicherung von Arbeitsplätzen verunsichert, erzählt Michael Steinhoff, Betriebsratsvorsitzender im Unternehmen. Die Beschäftigten wehrten sich, der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder stieg rapide an. Die meisten Leute aus der Stammbelegschaft ließen sich nicht zu neuen Verträgen bewegen. Noch nicht.

Das Unternehmen reagierte mit der verstärkten Einstellung von Leiharbeitnehmern mit 42-Stunden-Verträgen. Diesen wurde die Übernahme angeboten, natürlich unter der Bedingung, dass sie auch als Festangestellte die 42-Stunden-Woche akzeptierten. Fast alle befristet Beschäftigten wurden entfristet, aber nur mit 42-Stunden-Verträgen, berichtet Steinhoff. Azubis wurden nur noch mit 42 Stunden übernommen. Neueingestellungen gab es nur mit 42-Stunden-Verträgen. Die Belegschaft im Unternehmen ist gespalten. „50 Prozent haben unterschrieben, 50 Prozent nicht“, sagt Steinhoff.

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