Tarifflucht in Deutschland: Weiße Flecken des Systems
Die Zahl der verbindlichen Tarifverträge ist seit 2014 rückläufig. Das damals eingeführte Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie hat also nicht geholfen.
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie führte die große Koalition nicht nur den Mindestlohn ein, sondern erleichterte auch die Bedingungen dafür, dass nicht tarifgebundene Betriebe Tariflöhne zahlen müssen. Das Arbeitsministerium kann Tarifverträge seitdem leichter für allgemeinverbindlich erklären. Zuvor mussten mindestens 50 Prozent der Beschäftigten einer Branche bereits Tariflöhne erhalten. Seitdem kann die Allgemeinverbindlichkeit erklärt werden, wenn es „im öffentlichen Interesse geboten erscheint“.
Grünen-Politikerin Müller-Gemmeke bezeichnete das Gesetz am Montag als „Fehlschlag“. Die Bundesregierung habe es nicht geschafft, die Tarifbindung zu stärken, die „weißen Flecken des Tarifsystems“ würden immer größer. Grund dafür sei die Veto-Möglichkeit der Spitzenorganisationen im Tarifausschuss.
Der Tarifausschuss muss zustimmen, wenn das Arbeitsministerium einen Tarifvertrag für alle Unternehmen in einer Branche verbindlich machen will. So könnten Arbeitgeber jederzeit ihr Veto gegen Tarifverträge einlegen, kritisierte die Grünen-Politikerin. Sie forderte die Bundesregierung dazu auf, die Veto-Option für die Vertreter der Spitzenverbände abzuschaffen.
Auch die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie übte Kritik an der wachsenden Tarifflucht. Der Landesbezirksleiter für Hessen und Thüringen Volker Weber bezeichnete sie am Samstag in Wiesbaden als „Krebsgeschwür“. Unternehmen, die keine Tariflöhne zahlten, handelten verantwortungslos und würden „unsere Wirtschafts- und Sozialordnung von innen her zerfressen“. Wer die Mitbestimmungskultur in der deutschen Wirtschaft aufs Spiel setze, „setzt auch den Wohlstand aufs Spiel“, erklärte Weber.
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