: Tanz um die Quote
■ Werner Dauth inszenierte für Radio Bremen die Komödie „Lieber Liebe“
Stand 'ne Omi im Hausflur zur WG und sagte „ich komme von der Gebühreneinzugszentrale GEZ. Haben Sie ein Fernsehgerät, dann müssen Sie es anmelden“. „Nö“, antworteten wir schüchtern. „Ha'm nur'n Plattenspieler – muß man den auch anmelden?“ „Nein, muß man nicht. Auf Wiedersehen.“ Später dann änderte sich vieles, auch das Fernsehgerät meldeten wir an, um eines Tages einen Film zu sehen, der da heißt „Lieber Liebe“.
„Der Konkurrenzkampf wird immer härter“, sagt Michael Glöckner, Pressewart von Radio Bremen, der kleinsten ARD-Anstalt. Politiker wie Edmund Stoiber setzen, so Glöckner weiter, auf große Sender und haben für die kleinen nicht viel übrig. Dazu der Film-Magnat Leo Kirch, der immer mehr Einfluß gewinnt. Und dann die Quote, auf die sie alle schielen. Da landet ein anspruchsvoller Film wie Karl Fruchtmanns Die Grube „auf einem Sendeplatz 23 Uhr 20“, seufzt Glöckner über das miese Schalten und Walten in der Programmkoordination. Und auch „Lieber Liebe“, eine vom Serien-Regisseur Werner Dauth im Radio-Bremen-Auftrag inszenierte Komödie von Spielfilmlänge, mußte einer Fußball-Übertragung weichen und ist am 29. November um – 23.20 Uhr im Ersten zu sehen. „Wissen Sie, gegen Fußball haben wir halt keine Chance“, seufzt Glöckner wieder und tut ganz so, als hätte das Besondere keine Chance mehr in der ARD.
Dabei ist Peter (Tobias Langhoff), die Hauptfigur der Komödie, durchaus ein Allerweltstyp. Alter: um die 30; Studium abgebrochen; vom Taxifahrer zum Aushilfsbuchhalter in einer Im- und Exportfirma aufgestiegen; voller Flausen im Kopf zupft er Beatles-Songs auf der Gitarre und ist genau das, was man früher Junggeselle nannte und auch dementsprechend einzuschätzen wußte.
Diesem Peter also läuft eines Tages Flipper (Florian Spörl), ein dreizehnjähriger Naseweis vor's Auto, damit die Geschichte ihren Gang nimmt. Denn Flippers Mutter Andrea (Susanne Schäfer) ist nicht nur bildhübsch, sondern scheint's auch solo. Es funkt sozusagen auf den ersten Blick und funkt noch auf den zweiten, doch leider übt sie den gar unanständigen, zumindest romanzeninkompatiblen Prostituierten-Beruf aus, und ihrem Zuhälter schmeckt die ganze Chose gar nicht.
Ach, nett zu sehen, wie das Paar die Parkallee hinauf- und wieder hinunterfährt; nett auch, daß sich Norbert Caesars Gemischtwarenladen im Ostertor in einen Puff verwandelt hat; nett erst recht, wie Peter und Andrea mit der Sielwallfähre Kreisel dreh'n, denn die Heimat ist nun mal im Film am schönsten.
Doch ansonsten tun Regisseur Werner Dauth und das Radio-Bremen-Produktionsteam viel dafür, daß diese Heimat künftig seltener von Kameras eingefangen wird. Angefangen beim lüsternen Büroleiter Im- und Export, dem bei jedem Dekolleté die Augen übergehen, weiter über den Zuhälter mit Strichkoteletten und hin zum dummen Schläger mit Afro-Look wird Direktkurs auf jedes Klischee genommen, als hätte es niemals Romanzen a la „Bohèmien trifft Prostituierte“ wie „Irma la douce“, „Liebe und Anarchie“ oder jetzt „Geliebte Aphrodite“ gegegeben.
Einen Fehlschlag kann sich jeder, auch Radio Bremen, einmal leisten; einen Fehlschlag übrigens, in dem Tobias Langhoffs Peter und Susanne Schäfers Andrea eher einer Sparkassenfiliale zu entstammen scheinen als dem Milieu der Bohème. Doch hinter dem Fehlschlag verbirgt sich anderes. Denn die Quote, über die bei Radio Bremen gern geschimpft wird, hat man mit einer Inszenierung wie dieser selbst im Auge. Das Besondere wird beim kleinen Sender mehr und mehr zum Andenken an die Vergangenheit. Doch wenn Radio Bremen sich so weiter in den Main-stream stürzt, suchen wir demnächst nach Omi und fragen, ob sie auch GEZ-Kündigungen entgegennimmt.
Christoph Köster
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen