: Tanja und die Eiseintönigkeit
Der Stasi-Verdacht einer Chemnitzer Trainerin war bei den Deutschen Meisterschaften interessanter als die Wettbewerbe ■ Von Günter Rohrbacher-List
Mannheim (taz) – Mannheim am vierten Adventssamstag. Verstopfte Straßen, volle Parkhäuser, mit Geschenktüten bepackte Menschen – und eine halbleerer Parkplatz vor dem Eiskunstlaufzentrum Herogenrieth. Kein Plakat in der Stadt, geschweige denn in der Region Rhein-Neckar wies auf das Ereignis hin, das sich Deutsche Meisterschaften im Eiskunstlauf nennt und von letzten Donnerstag bis gestern dort stattfand. Und so schwer es potentiell interessierte ZuschauerInnen hatten, live dabeizusein, so kompliziert war es für Journalisten, Informationen zu erhalten. Das Mannheimer Sport- Amt verwies an den Mannheimer ERC (Kunstlauf, Stockschießen, Eisschnellauf). Dessen geplagter Verantwortlicher Hans-Dieter Dahmen („So etwas mache ich nicht noch einmal mit. Ich weiß nicht mehr als Sie.“) gab den schwarzen Peter entnervt weiter an die Deutsche Eislaufunion (DEU), die ihn prompt wieder nach Mannheim zurückreichte. Man wähnte sich in einem Behördenirrgarten.
Die Wettkämpfe selbst waren bis auf die Konkurrenz der Frauen, so langweilig, daß zwangsläufig andere Dinge in den Vordergrund rückten. Sonja Morgenstern (37) vom Chemnitzer EV, Trainerin des neuen deutschen Meisters Ronny Winkler, war 1969 bis 1972 von über einem Dutzend IM des MfS ausspioniert worden. „Ich empfinde Mitleid, Haß und am meisten Verachtung.“ In Verdacht: pikanterweise ihre Chemnitzer Kollegin Monika Scheibel, Trainerin der neuen Paarlauf-Meister Mandy Wötzel und Ingo Steuer, die es bei nur drei Konkurrenten allzu leicht hatten, da die Zweitplazierten Jakatarina Silnitzkaja und Marno Kreft patzten. Monika Scheibel räumt ein, daß Kontakte zur Stasi da waren. „Als damalige Cheftrainerin mußte man es machen.“ Die DEU will mit beiden Trainerinnen weiterarbeiten und (noch) keine Konsequenzen ziehen. Unruhe beim Familientreffen!
Bei einem solchen konnte man sich angesichts der Verbrüderungen und Verschwesterungen zwischen FunktionärInnen, ehemals Aktiven und JournalistInnen wähnen. Was unten auf dem Eis geschah, geriet zur Nebensache. Auch Walter Tröger war da am Freitag abend („Ihr erster Auftritt als NOK-Präsident, Herr Tröger, darauf sind wir als DEU sehr stolz.“), aber meist im VIP-Raum zu finden. Und Dr.Wolf-Dieter Montag von der Einlaufunion war gerade einem Bremer Ärztekongreß entflohen. Impressionen einer Kurzvisite.
Doch zum spannendsten Wettbewerb. Nach dem Technik-Programm lag Titelverteidigerin Marina Kielmann nur auf Platz drei. Die 15 Jahre junge Tanja Szewczenko aus Düsseldorf, die zuletzt bei der Juniorinnen-WM in Seoul Bronze gewann und vor der Kür auf Platz eins stand, war die Überraschung. Doch Kielmann, die mit 24 die Älteste war, registrierte anschließend bei der Kür- Auslosung zufrieden, als Drittletzte laufen zu dürfen. Und es gelang ihr alles. Mit fünf Dreifachsprüngen hievte sie sich auf den ersten Platz. Tanjas Nerven jedoch – sie war Schlußläuferin – fingen erheblich an zu flattern und verhinderten die von vielen erwünschte Sensation. „Ich bin sehr zufrieden mit dem dritten Platz. Ich fahre zur Europameisterschaft nach Helsinki. Es ist schon eine Umstellung vom Juniorinnen- auf das Meisterinnen-Programm,“ freute sich der Lichtblick der Mannheimer Eiseintönigkeit und verbreitete hoffnungsvollen Glanz für die Zukunft des Frauenlaufs nach Marina Kielmann.
Doch die denkt noch lange nicht ans Aufhören und will bei der Europameisterschaft vom 10. bis 17.Januar Titelverteidigerin Surya Bonaly aus Frankreich angreifen. Aber vorher wird sie Weihnachten feiern, „das lasse ich mir nicht nehmen.“
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