Taliban-Terror in Afghanistan: Stimmung gegen die Abstimmung
Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl bomben sich die Taliban wieder in den afghanischen Alltag, um Präsident Karsai zu schwächen. Die Bundeswehr erwartet bis Donnerstag eine Gewalteskalation.
KABUL ap/dpa | Wenige Tage vor der Präsidentenwahl in Afghanistan haben Aufständische das Hauptquartier der NATO-Schutztruppe in Kabul ins Visier genommen. Vor dem Tor zündete ein Selbstmordattentäter am Samstagmorgen eine gewaltige Autobombe und riss mindestens sieben afghanische Zivilpersonen mit sich in den Tod. Mehr als 90 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, wie das Verteidigungsministerium mitteilte. Ein Taliban-Sprecher bekannte sich zu der Bluttat.
Der Anschlag galt dem NATO-Hauptquartier und der rund 150 Meter entfernten US-Botschaft, wie Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid per Telefon erklärte. Die Bombe habe 500 Kilogramm Sprengstoff enthalten, sagte er weiter.
Nach der Explosion irrten blutüberströmte Menschen in der Nähe des Tatorts umher. Über der Stadt stieg eine dichte Rauchwolke auf. Unter den Verletzten waren den Behörden zufolge auch eine Parlamentsabgeordnete, afghanische und ausländische Soldaten sowie mehrere Kinder. Letztere versammeln sich regelmäßig vor dem Hauptquartier, um Kaugummi und andere Waren an vorbeikommende Ausländer zu verkaufen.
Störung der Wahl offensichtliches Ziel
Schutzbarrieren begrenzten offenbar die Schäden an dem NATO-Gebäude, in dem auch der Oberkommandierende, US-General Stanley McChrystal, seinen Sitz hat. Es befindet sich in derselben Straße wie die US-Botschaft und der Präsidentenpalast.
Der Leiter der polizeilichen Ermittlungsbehörde bemaß die verwendete Sprengstoffmenge auf etwa 270 Kilogramm, also wesentlich weniger als von den Taliban angegeben. Gleichwohl galt die Menge als groß genug, um eine Verwicklung des Terrornetzwerks El Kaida zur Unterstützung der örtlichen Taliban zu vermuten.
Die islamisch-fundamentalistische Taliban-Miliz hat wiederholt damit gedroht, die Wahl massiv zu stören. Die Aufständischen haben die Bevölkerung aufgerufen, die Abstimmung zu boykottieren. Mit einem Anschlag auf das NATO-Quartier wollten die Taliban Beobachtern zufolge offensichtlich demonstrieren, dass sie jederzeit zu Übergriffen auf die Besatzungstruppen fähig sind. Immerhin musste der Attentäter drei Kontrollstellen der Polizei durchfahren, um zu seinem Ziel zu gelangen.
Präsident Hamid Karsai verurteilte den Anschlag als Tat der "Feinde Afghanistans". Mit solchen Anschlägen werde versucht, vor der Präsidentenwahl Angst und Schrecken zu verbreiten, erklärte Karsai. Die Afghanen ließen sich davon aber nicht einschüchtern, "und sie werden ihre Stimme abgeben". Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte den Anschlag als feigen Angriff auf die Demokratie. In einem Kondolenzschreiben sicherte sie Karsai ihre volle Unterstützung zu.
Es war der erste große Anschlag in Kabul seit Februar. Damals griffen acht Taliban-Kämpfer in einer koordinierten Kommandoaktion drei Regierungsgebäude an. 20 Menschen sowie die Attentäter kamen dabei ums Leben.
Bundeswehr rechnet mit weitere Eskalation der Gewalt
In Nordafghanistan wurde unterdessen ein Bundeswehrsoldat bei einem Angriff verwundet. Er erlitt leichte Verletzungen an der Hand, wie die Bundeswehr am Samstag in Berlin mitteilte. Eine Patrouille sei am Mittag etwa sechs Kilometer südwestlich des Bundeswehr-Stützpunktes in Kundus mit Panzerabwehrhandwaffen und Handfeuerwaffen beschossen worden. Die Soldaten hätten das Feuer erwidert.
Vor der Afghanistan-Wahl am kommenden Donnerstag rechnet die Bundeswehr im nordafghanischen Kundus mit einer weiteren Zunahme von Angriffen und Anschlägen der Aufständischen. "Darauf muss man eingestellt sein", sagte der Kommandeur des zivil- militärischen Wiederaufbauteams, Oberst Georg Klein, in Kundus. Bei seiner Ankunft in der Provinz im Frühjahr sei die Lage dort bereits schwierig gewesen. Seitdem habe die Zahl der Zwischenfälle weiter zugenommen. "Es vergeht fast kein Tag mehr, an dem nicht geschossen wird."
Zur Bedrohungslage für die Deutschen sagte der Oberst: "Die Soldaten müssen in dem Moment auf Angriffe eingestellt sein, wo sie das Tor des Lagers hinter sich lassen. Im Lager muss man mit Raketenangriffen rechnen." Mit der bislang größten deutsch- afghanischen Offensive gegen die Taliban im Norden - der Operation "Adler" - habe man die Aufständischen zwar nicht vertrieben, aber gestört. "Natürlich hatte die andere Seite auch Verluste."
Inzwischen werde die Versorgungsroute der internationalen Truppen aus dem Norden durch Kundus nach Kabul genutzt, um die gefährliche Strecke durch Pakistan zu entlasten, sagte Klein. Auf der nördlichen Route sei es bereits zu "einigen Zwischenfällen" gekommen.
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