Tagesschau aufs Handy: Appsurder Streit
Nach Protesten von Verlagen und Privatfunkern sieht der ARD-Vorsitzende Boudgoust auf dem App-Markt "genug Platz für uns alle". Schließlich sei das der Wettbewerb.
Das Winterloch hat sein Medienthema gefunden: Nachdem die ARD mit gewohnt souveränem Dilettantismus kurz vor Weihnachten etwas unkonkret eine "Tagesschau"-Anwendung - neudeutsch: App - für das iPhone von Apple bis zum Frühjahr 2010 hinausposaunt hat, schießen jetzt ganz unweihnachtlich die üblichen Verdächtigen zurück: Die von Springer geführten Verlagshirten kritisieren vor allem, dass das ARD-Angebot gratis sein soll: "Wenn sich bezahlte Applikationen auf mobilen Geräten nicht durchsetzen, wird dies tausende Arbeitsplätze in der Verlagsbranche kosten", drohte Vorstandschef Mathias Döpfner im Focus.
Dem christdemokratischen Medienstaatsminister Bernd Neumann war nicht mal der erste Weihnachtsfeiertag heilig. "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte mit Gratisangeboten für das iPhone nicht unnötig neue Geschäftsmodelle der privaten Anbieter gefährden", gab Neumann am Freitag den Erzengel. Und die manchmal ja doch irgendwie merkwürdigen Heiligen Könige von der Süddeutschen verglichen die frohe Botschaft von ARD-Aktuell mit dem Vorgehen von Roland Koch beim ZDF (zur Erinnerung: Hessens CDU-Pontius-Pilatus hat für seine Partei beim Zweiten Chefredakteur Nikolaus Brender der Herberge verwiesen).
Der Weltuntergang droht also wieder einmal. Doch worum geht es wirklich? Die Internetangebote der Öffentlich-Rechtlichen sind auf sogenannten Smartphones wie dem iPhone via Internet ohnehin verfügbar. Ob eine App nun dem Zugriff so rasend auf die Beine hilft, sei mal dahingestellt. Wie die "Tagesschau"-App tatsächlich aussehen soll und wird, weiß derzeit nicht einmal die ARD so genau. Da sie dummerweise aber den zweiten Schritt (Ankündigen!) vor dem ersten (Machen!) getan hat, bleibt ihr nicht so viel anderes übrig, als ihr Onlineangebot tagesschau.de mehr oder weniger komplett als App aufzumotzen. Bei zu viel Modifikation würde nämlich ein neues digitales Angebot daraus, das erst mal ein aufwendiges Prüfverfahren der ARD-Gremien, den Drei-Stufen-Test, durchlaufen müsste. Und so garantiert nicht wie geplant bis Ende März fertig würde.
Der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust gibt sich aus dem Urlaub heraus als ganz unschuldiges Christkind: "Werfen wir mal einen Blick in den sogenannten ,App Store' für das iPhone mit seinen zigtausend Applikationen: Da gibt es kostenpflichtige Navigationsprogramme ebenso wie kostenlose, und bei Spielen oder E-Book-Readern ist es genauso: Beides existiert nebeneinander, und der Nutzer kann sich das Programm aussuchen, das seinen Bedürfnissen am besten entspricht", sagte Boudgoust gestern der taz. "Wir wollen keine Konkurrenten auf dem iPhone plattmachen, sondern das ist der publizistische Wettbewerb, den der Gesetzgeber genau so vorgesehen hat. Ich bin sicher, da ist genug Platz für uns alle."
Außerdem, aber das verschweigen die ARD-Granden lieber, liefern solche Anwendungen natürlich die beste Rechtfertigung für die geplante vollumfängliche Gebührenpflicht für "neuartige Empfangsgeräte". Denn dann ist ja wirklich Gebührenfinanziertes auf PC und Handy angekommen. Boudgousts Antwort besticht also durch eine gewisse anstaltsinterne Logik, dürfte die Bundesregierung aber kaum zufrieden stellen.
Während private Medienunternehmen "zum Teil ums Überleben kämpften", dürfte der öffentlich-rechtliche Rundfunk deren Lage nicht noch verschärfen, so Bundesmedienminister Neumann. Verlage wie Privatfunker benötigten mehr Spielraum für Marktentwicklungen: "Haben sie diesen nicht, wird das Nebeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen Medienanbietern für die Zukunft in Frage gestellt." Das hätte die Bundesregierung vermutlich sogar wirklich ganz gern, doch Neumann ist für Angelegenheiten des unter die Kulturhoheit der Länder fallenden Rundfunks gar nicht zuständig, was seine Ahnungslosigkeit zum Teil erklären mag.
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