Tagebuch Roskilde-Rockfestival: Apokalyptischer Hort der Unordnung
Staub und Schweiß mischen sich mit lauter Musik der langweiligen Oasis und der fetzigen Gang Gang Dance. Und wer mit dem Riesenrad fahren will, muss vorher den Strom erstrampeln.
ROSKILDE taz | Es ist heiß in Roskilde. Heiß und staubig. Deswegen wünschen wir uns nichts sehnlicher als Regen. Auf dass wir erfrischt und gereinigt werden, auf dass der Regen unsere Körper in Strömen hinabrinnen kann wie jetzt der Schweiß. Doch wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, dass dieses Gejammere albern ist. Das Wetter könnte besser nicht sein bei 29 Grad, blauem Himmel und viel Sonne. Viel zu fürchterlich klingen die Geschichten von legendären Schlechtwetter-Roskilde-Ausgaben. Schlamm bis in die Gummistiefel? Dauerregen? Kein einziges trockenes T-Shirt mehr? Da durchspüle ich mal lieber alle Hautporen, die ich so habe.
Was gibt es neues auf einem der schönsten Rockfestivals ever? Zum Beispiel: Ein Riesenrad. Mit dem darf aber nur fahren, wer sich vorher auf einem feststehenden Fahrrad fünf Minuten lang einen abgestrampelt hat. Auf insgesamt etwa zwanzig Rädern treten Festivalbesucher gleichzeitig in die Pedale - und damit erzeugen sie Strom. Der Strom treibt das Riesenrad an. Eine Lektion in Sachen Umweltfreundlichkeit! Nachhaltigkeit! Die Belohnung: drei Runden lang eine ziemlich fantastische Aussicht genießen. Über das Festivalgelände mit seinen sechs verschiedenen Bühnen, gefühlt tausenden Imbiss-, Bier- und Klamottenständen und dieses Jahr wohl so 90.000 Besuchern, die da unten überall herumwuseln.
Die Campingplätze kann man von hier oben auch erkennen, diese apokalyptischen Horte der Unordnung und des Drecks. Wir Journalisten sind da nicht untergebracht, wir haben extra Plätzen mit eigenen Zelten. Jeder eins, und die standen sogar schon, als wir kamen. Komfortabel, aber auch ganz schön langweilig. Deswegen fasste ich in der Riesenradgondel den Plan: Auf diesen Zeltplatz gehe ich und schaue mir das genauer an. Anett aus Norwegen fand auch, dass ich das machen sollte. Kennengelernt habe ich Anett in der Crowd bei Kanye West - als ein Typ ohne jegliches Beinkleid zwischen uns herumhüpfte, mussten wir beide lachen. Ich links von ihm, sie rechts. Wir kamen ins Gespräch. Sie schrieb mir ihre Handynummer auf. Der Typ fiel auf den Boden und sein schönes Pixies-T-Shirt wurde ganz staubig. Was der wohl gedacht haben muss, als er aufgewacht ist?
Oasis sind einer der Headliner in Roskilde dieses Jahr. Sie widmen den neun "Kids", die vor Jahren hier totgetrampelt wurden, ihren Überhit "Live Forever" und sind auch sonst vorhersehbar und langweilig. Nach wie vor haben sie das große Problem, nach zwei großartigen ersten Platten nur Mist fabriziert zu haben - das aktuelle Album "Dig Out Your Soul" ausgenommen, das ist ganz gut. Ihr Legendenstatus konnte uns zum Glück (das war echt mein erstes Oasis-Konzert) nicht davon abhalten, schnell abzuhauen und ins Cosmopol zu stolpern.
Da spielen Gang Gang Dance, die irgendjemand aus unserem Camp empfohlen hatte. Es sei wie Chk Chk Chk, Dance Punk oder zumindest sehr tanzbarer Kuhglocken-Rock. Das fand ich nicht. Aber trotzdem: Gang Gang Dance aus Brooklyn, NY, waren schon ziemlich gut. Die Beats waren da, die exaltierte Frontfrau war da, der Synthie war da, die Hipster im Publikum waren da, die crazy Lightshow war da, der hinüberhüpfende Funke war da. Als Schluss war, spielten drüben Oasis ihren letzten Song: "I Am The Walrus", das Beatles-Cover, der ewige letzte Song. Gähn.
Am Sonnabend regierte in Roskilde nicht mehr so der Schweiß, sondern der Staub, die Hitze ist nicht mehr schwül, sondern nur noch trocken. Nachdem gestern Abend das Handy meiner neuen norwegischen Festivalbekanntschaft Anett (angeblich) gesponnen hat (am Netz hat es nicht gelegen, das ist im Gegensatz zu deutschen Festivals immer stabil), hat sie mir dann heute Nachmittag die großen Campingplätze gezeigt. Staubige Orte. Hier wohnen die Leute teilweise schon seit Montag. Es stinkt nach Klo, überall liegt Müll herum, einfach alles ist mit Staub bedeckt. Sehr sympathisch. Wir saßen bei staubigen Freunden von ihr und tranken Bier aus staubigen Dosen. Es war wunderschön. Als ich mir später die Nase putzte, schnäuzte ich Schwarzes ins Taschentuch.
Schon seit zehn Minuten bollern auf der Orange Stage die albernen Slipknot vor sich hin. Die Scheune, in der die unglaublich wichtigen Journalisten vor ihren Computern sitzen und für umme Kaffee trinken, ist nicht weit davon entfernt. Immer auf dem linken Ohr dumpf von Slipknot angeschrieen zu werden, ist, das kann ich Ihnen zum Sonntag versichern: kein Spaß. Aber nicht nur deswegen muss ich jetzt gehen. Im Odeon spielen seit zehn Minuten die deutschen Deichkind. Und obwohl die ja eigentlich auch eine ziemlich alberne Kapelle sind, möchte ich doch gern sehen, wie die hier so aufgenommen werden.
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