Tag der offenen Tür in Tempelhof: Tempelhof lebt für einen Tag auf

Zehntausende strömen auf das stillgelegte Flughafengelände. Es sind Nostalgiker, Senioren und Familien, die auf Rosinenbomben hoffen. Doch statt Süßigkeiten gibt es linke Proteste.

Volksfest im Flughafen Bild: dpa

Bereits vor der Schließung des Flughafens 2008 hatte die Stadtentwicklungsverwaltung angeregt, das Flugfeld als Grün- und Parkfläche beizubehalten und eine Bebauung nur an den Rändern des Geländes vorzunehmen. Tiefergehende Vorschläge indessen brachte sie nicht zustande - was zu heftiger Kritik führte.

Nach einem Wettbewerb im Frühjahr entstanden Vorschläge, entlang des Columbiadamms das "Columbiaquartier" aus Wohnbauten zu gestalten. Für die Südseite des Flugfeldes wurden Gewerbebauten entworfen.

Umstritten ist die Nutzung des Flughafengebäudes: Soll es für Messen, Filmproduktionen oder als Campus für innovative Unternehmen genutzt werden? ROLA

Um fünf nach zwei öffnen die Polizisten die Absperrgitter vor dem ehemaligen Flughafen Tempelhof. Tausende eilen über den Vorplatz, strömen durch den Eingang in das riesige Gebäude. Wie eine Welle schwappt die Menge in die ehemalige Abfertigungshalle. Die Berliner nehmen den Flughafen, der seit vergangenem Herbst keiner mehr ist, wieder in ihren Besitz.

Zumindest für einen Nachmittag: Am Dienstag vor 60 Jahren endete die Luftbrücke. Zur Feier des Tages öffnet Tempelhof deshalb noch einmal seine Tore. Um 15 Uhr laufen laut Polizei bereits 50.000 Menschen über das Gelände.

Einige lassen sich in der Halle auf dem alten Laufband der Gepäckausgabe nieder. Andere hocken neben den ehemaligen Büros der Fluglinien. Mit Orden geschmückte amerikanische Veteranen stehen in Uniformen herum. Die Besucher zieren sich nicht, sie fragen nach Autogrammen und machen Fotos.

Nicht jeder hat an einem Dienstagnachmittag Zeit. Und nicht jeder interessiert sich für den Flughafen Tempelhof. So sind viele Weiß- und Grauhaarige unter den Besuchern. "Mit Tempelhof ist es wie mit einem Popstar. Da gehen nur die Generationen hin, die damit groß geworden sind", erklärt Manfred Beck, der an einem Stehtisch lehnt. Der 71-Jährige kann sich noch gut an die Luftbrücke erinnern. "Wer einmal Trockenkartoffeln gegessen hat, vergisst diese Zeit nicht."

Zur Feier des Tages hat er sich eine Krawatte mit Stars and Stripes darauf angelegt. Die beißt sich zwar mit seinem karierten Jackett, aber darum geht es heute nicht. "Die Amerikaner haben damals Völkerverständigung gelebt. Drei Jahre nach dem Krieg haben sie dem Feind die Hand gereicht." Plötzlich hält er inne. Die Blasinstrumente der Rias-Big-Band setzen ein. Beck wippt mit. "Bei dieser Musik geht mir das Herz auf." Tatsächlich, seine Augen werden feucht. Er gerät weiter ins Schwärmen. "Die Amerikaner rufen, und alle Berliner sind da." Darüber muss Beck selbst ein bisschen lachen. "Na ja, zumindest die über 50."

Die Menschen drängen in Richtung des Schilds "Abflug/Departure". Aus einem niedrigen Gang geht es hinaus auf das Flugfeld. Draußen empfängt die Besucher das imposante Rund des über 1.200 Meter langen Nazi-Baus. Ein Rosinenbomber steht davor. Es riecht nach Bratwürstchen. An Buden werden Hotdogs verkauft.

Die Menschen verteilen sich wie Ameisen auf dem riesigen Platz, über den früher die Maschinen rollten. Gelbe Linien sind auf den Beton gemalt. Geheime Zeichen, deren Bedeutung man nur aus der Vogelperspektive versteht. Die Größe des Geländes ist beeindruckend. Wäre da nicht ein drei Meter hoher Zaun, der die Besucher von der Wiese fernhält. Hier endet die Besitznahme der Berliner.

Immer mehr Menschen strömen auf den Platz. Ein Rosinenbomber soll über Tempelhof fliegen mit dem 88 Jahre alten Luftbrücken-Piloten Gail Halvorsen an Bord, der wie damals Süßigkeiten abwirft. So war es angekündigt. Erwartungsvoll verteilen sich die Menschen auf dem Platz, auch einige Familien sind gekommen.

Als der Rosinenbomber heranschwebt, tauchen Grüppchen von Studenten mit Luftballons und Tröten auf. Hurtig laufen sie auf den Zaun zu, enthüllen Transparente und schnallen sich Schmetterlingsflügel aus Pappe auf den Rücken. "Der Zaun muss weg" und "Tempelhof für alle" skandieren die rund 70 Demonstranten. Einige klammern sich an den Zaun. Es sind Mitglieder des Bündnisses "Squat Tempelhof", das am 20. Juni den Flugplatz besetzen möchte. Sie kritisieren die "neoliberale Stadtumstruktuierung" Berlins, die zur Verdrängung Einkommensschwacher aus der Innenstadt führe. Die Aktivisten fürchten eine Nachnutzung Tempelhofs mit Luxuslofts. Auf ihren Transparenten fordern sie stattdessen "Berlins größte Wiese".

Die Festbesucher wissen nicht, ob sie den Flieger oder die bunten Demonstranten knipsen sollen. Polizeiwannen rollen heran, doch die Beamten schreiten nicht ein. "Alles im friedlichen Bereich, das ist freie Meinungsäußerung", sagt ein Polizist.

Der Rosinenbomber zieht weiter seine Runden. Er wirft Päckchen ab, allerdings nur über der abgesperrten Wiese. Enttäuschte Gesichter bei den Jungen und Mädchen. Hätten die linken Aktivisten das Feld gestürmt, zumindest die Kinder hätten sie auf ihrer Seite gehabt.

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