TÜCKEN DER ABBILDUNGSÄSTHETIK: Ein Mann aus Bronze
"In jeder Stadt", so hatte Johannes R. Brecher einst gedichtet, "steht Stalins Monument": Bremen bekommt jetzt eins. Aber eher aus Versehen.
Nein, Lenin ist es nicht. Das lässt sich sofort erkennen. Vielleicht hat deshalb die Bürgerschaftspressestelle den Vorfall aufgegriffen: Beim Aufstellen der überlebensgroßen Männer-Plastik im Kastanienwäldchen Am Wall, Ecke Herdentorsteinweg, hätten Passanten gefragt: "Wer soll das denn sein? Lenin?" Ja, so ein Quatsch.
Ein Blick aufs Werk erklärt sofort den Lapsus. Der Fußgänger hat die historischen Figuren verwechselt. Die Statue, die Bürgerschaftspräsident Christian Weber in acht Tagen enthüllt, trägt keinen Spitzbart, sondern Mütze und buschiger Schnurrbart prägen ihr Gesicht. Kein Zweifel: Die Wardenburger Künstlerin Christa Baumgärtel hat eine Stalin-Plastik geschaffen.
"In jeder Stadt", so hatte der Kunstminister der DDR, Johannes R. Brecher, einst gedichtet, "steht Stalins Monument." Nun hatte gewiss keiner vor, diese Prophezeiung zu erfüllen. Das Standbild hätte an Nachkriegsbürgermeister Wilhelm Kaisen erinnern sollen. An dessen 125. Geburtstag wirds der Öffentlichkeit übergeben. Doch sind der Künstlerin, die einer Abbild-Ästhetik verpflichtet ist, Fehler bei der Herstellung von Ähnlichkeit unterlaufen. Denn, was wir als ähnlich empfinden, beruht auf Konvention, also typischen Attributen: Seitenscheitel und Bärtchen beglaubigen ein Hitlerporträt. Spitzbart plus Glatze gleicht Lenin.
Große Bedeutung haben dabei stets die Kopfbedeckungen. Grundsätzlich maskieren sie persönliche Züge und ordnen Dargestellte einer sozialen Gruppe zu: Die Tiara macht Päpste, ein Helm den Motorradfahrer. Umgekehrt konnten berühmte Träger eines ungewöhnlichen Hutes den zum Emblem machen: Berühmt sind Napoleons Zweispitz und Chaplins Melone. Einen Kaisen-Hut gibts nicht: Fotos zeigen ihn mal mit Borsalino, mal mit schickem Homburg, aber auch eine aparte Pudelmütze trug er mit Würde.
Als unspezifisches Zeichen wäre eine Kopfbedeckungen insofern zu vermeiden gewesen. Baumgärtel aber hat sich an derForm des Elbseglers orientiert, den manche Ernst-Thälmann- oder Prinz-Heinrich-Mütze nennen. Kaisen trug sie, Bilddokumenten zufolge, nur bei der Gartenarbeit.
Zugleich hat die Künstlerin auf zwei von Kaisens - oft auf Fotos präsenten - Accessoires verzichtet: Auf sein Rauchzeug. Und, besonders unklug: Auf seine Brille. Die sitzt bei den allermeisten Kaisen-Bildern auf der Nase des Landesvaters - auch bei der 80-Pfennig-Briefmarke von 1987. Bis ins 20. Jahrhundert waren Augengläser seltene Beigaben, Emblematisch tragen sie Weise. Erst nach 1945 lassen sich einige diktatorische Staatsführer mit Augengläsern darstellen. Meist setzen sie dabei auf Sonnenbrillen, wie Kim Jong Il oder General Wojciech W. Jaruzelski.
Durch Wahl der entinidividualisierenden Kopfbedeckung und den Verzicht auf Individualitätspotenziale wie Stumpen und Augenglas schuf Baumgärtel also eine Bronze, die Männern ähnelt, die leicht militärische Schirmmützen tragen und buschige Schnäuzer. Stalin ist der bei weitem bekannteste von ihnen. Und leider sind der Künstlerin die für Gesichtserkennungssoftware wichtige Kinnpartie, aber auch Augen- und Ohrenform zu dessen Gunsten verrutscht. Der Freude bei der Enthüllung wird dieser peinliche Fauxpas keinen Abbruch tun.
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