TOURISMUS UND MENSCHENRECHTE: Dumpingpreise ein Rechtsverstoß?
Mit dem Instrumentarium Menschenrechte sollen Staaten Ausbeutung im Tourismus bekämpfen. Ein Gespräch über Sanktionen und politische Möglichkeiten.
Der Informationsdienst des evangelischen Entwicklungsdienstes Tourism Watch hat vor der ITB Berlin 2011 die Studie „Alles, was Recht ist“ zur Beachtung der Menschenrechte im Tourismus veröffentlicht. Neben vielen Zahlen und konkreten Beispielen werden Forderungen an politische Gremien und Regierungen, an Reiseveranstalter und Verbände gestellt. Ein Gespräch mit Heinz Fuchs, dem Leiter von Tourism Watch.
taz: Herr Fuchs, was früher in der Tourismuskritik angeprangert wurde wie Landenteignung, unmenschliche Arbeitsbedingungen oder Naturzerstörung im Tourismus – glauben Sie jetzt durch den Menschenrechtsrahmen sanktionsfähig zu machen?
Heinz Fuchs: Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Anan vertrat deutlich die Auffassung, dass die Souveränität einzelner Staaten bei den Menschenrechten endet. Er hat die Menschenrechte ganz hoch gehängt. Wenn wir gerechtere Verhältnisse auf der Welt herstellen wollen, sind die Menschenrechte der Rahmen dafür. Die allermeisten Staaten haben diesen Rahmen anerkannt und die Menschenrechtskonventionen unterschrieben. Innerhalb dieses Rahmens müssen wir agieren und dieses Instrumentarium ausschöpfen.
Doch wer agiert in diesem Rahmen?
Auf dieser Ebene gibt es viel Bewegung, um die Menschenrechte auch auf die Verantwortlichkeit von Unternehmen zu übertragen. Wenn man beispielsweise auf die Webseite des Bundesverbandes der Deutschen Industrie geht, gibt es dort Informationen, dass deutsche Unternehmen im Ausland die Pflicht haben, die Menschenrechte zu respektieren, ihre Umsetzung zu fördern. Als Thema ist es dort angekommen – bei einem Verband, der nicht als der progressivste gilt. Hinsichtlich Tourismus hat in Deutschland noch kein Verband eine menschenrechtliche Verantwortung angemahnt.
Unternehmen sollen also in die Pflicht genommen werden, sich für menschenrechtliche Belange zu engagieren. Aber warum sollten sie das tun?
Dass wir uns damit beschäftigt haben, hat vor allem den Hintergrund, dass wir in den letzten fünf Jahren die Diskussion über die gesellschaftliche Verantwortung im Tourismus, im Sinne von Corporate Social Responsibility, mit initiiert und geführt haben. Wir haben ein bisschen darauf vertraut, dass sich unternehmerische Verantwortung im Kerngeschäft freiwillig reguliert, und haben die Politik weitgehend außen vor gelassen. Wir haben aber gemerkt: Es gibt Dinge, die haben nichts mit Freiwilligkeit zu tun: menschenwürdige Arbeit, die Kernarbeitsnormen oder Schutz von Kindern – das sind Verpflichtungen und keine freiwilligen Leistungen. Die Staaten müssen dafür sorgen, dass diese Pflichten eingehalten werden und bei Nichteinhalten dieser Pflichten auch die Möglichkeit zu Sanktionen haben.
Und welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es?
Es gibt staatliche Instrumente der Außenwirtschaftsförderung wie etwa die Hermes-Bürgschaften: Wenn jemand gegen Menschenrechte verstößt, könnte er beispielsweise für einige Jahre von den Hermes-Bürgschaften ausgeschlossen werden, also von den staatlichen Förderinstrumenten. Oder jemand könnte Außenwirtschaftsförderung nur in Anspruch nehmen, wenn er eine menschenrechtliche Risikoprüfung durchgeführt hat. Wenn jemand bei der Deutschen Bank einen Kredit für Auslandsinvestitionen bekommen will, ginge das nur, wenn das Investitionsvorhaben eine Menschenrechtsprüfung durchlaufen hat. Die Möglichkeiten liegen auf der Hand, sie sind nur noch nicht im Einsatz.
Sollte man diese auf internationaler Ebene diskutieren?
Aus nationalstaatlicher Sicht ist es immer schwierig. Wie beispielsweise bei der Ticketbesteuerung – immer kommt die Antwort: National können wir da gar nichts machen. Wir müssen zumindest europäisch oder gleich global agieren.Aber es wäre eine große Chance, wenn Deutschland hier eine aktive Vorreiterrolle für mehr menschenrechtliche Verantwortung in der internationalen Wirtschaft übernehmen würde. Wenn dann die Regierung zusätzlich ihre Rolle im Weltsicherheitsrat für eine konsequente Menschenrechtspolitik nutzen würde, wäre dies ein wichtiger Beitrag und Deutschland würde bei diesen Prozessen nicht immer hinterherrennen.
Sie sagten in einem Interview, Ägypten müsste bei der Demokratisierung auch den Tourismus neu gestalten. Hat das Land gerade nicht andere Probleme?
Wir können dem Land nur raten, auch auf den Tourismus zu schauen und ihn nicht so weiter zu führen, wie er bisher war. Der Tourismus war sehr mit dem Militär und den Herrscherfamilien verstrickt. Man muss sich nun entscheiden: Setzt man weiterhin auf die großen Investoren mit ihren Anlagen oder verstärkt auf eine diversifizierte Struktur mit kleineren und mittleren Betrieben.
Wie könnte das konkret aussehen?
Ein gutes Beispiel ist Südafrika: Dort wurde eine Politik des Black Empowerments initiiert. Bisher besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen wurden im neuen Südafrika stärker am Tourismus beteiligt. Eine ähnliche Strategie könnte es auch in Ägypten geben. Ich denke, wenn Menschen selbst Verantwortung übernehmen und Business betreiben, trägt dies auch wesentlich zu einer demokratischen Gesellschaft bei.
Was ist Ihre Forderung an die Reiseveranstalter in Bezug auf Ägypten und Tunesien?
Sie sollen sich einen Moment Zeit nehmen, um zu sehen, mit wem sie bislang gearbeitet haben und mit wem sie zukünftig arbeiten wollen. Sie sollten die Länder nicht als Schnäppchen präsentieren. Das hat Rückwirkungen auch auf andere Länder, auch dort werden dadurch die Preise gedrückt. Die Preise, die gezahlt werden, sind Abzocke auf dem Rücken derjenigen, die die Revolution organisiert haben. Sie sind kein ernst zu nehmender Beitrag, dass künftig faire Löhne bezahlt werden können. Die gängigen 198 Euro pro Woche mit Flug nach Ägypten sind im Grunde schon eine Menschenrechtsverletzung.
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