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Archiv-Artikel

Systemwechsel

betr.: „Chávez will mehr Macht“, Interview mit Dorothea Melcher, taz vom 30. 11. 07

Sehr geehrte Dorothea Melcher, wir haben uns im Ölstreik in Venezuela kennengelernt, wo Sie als eine der wenigen Hochschulprofessorinnen der Andenuniversität im Unterstützerkreis für die Chávezregierung, „classe media en positivo“ (die „gute“ Mittelschicht), teilgenommen haben. Ich verdanke Ihnen ein gutes Wissen über die Hintergründe zu dem Machtmissbrauch der Vorgängerregierung und in welchem Umfang Chávez diese mit seinen Reformen korrigiert hat.

Mich erstaunt, dass Sie sich jetzt in so starken Worten zur Chávezregierung und der Möglichkeit einer „Diktatur“ äußern. Leider vermisse ich in dem Interview die klare Gegenüberstellung zwischen der jetzigen politischen Struktur und ihren Vor- und Nachteilen und der von der Chávezregierung gewünschten Struktur und deren Vor- und Nachteilen. Mir bleibt es immer schleierhaft, wie das Wort Systemwechsel manchmal einen positiven und manchmal einen negativen Beigeschmack bekommt, ohne dabei auf Details zu verweisen.

Aus meiner Sicht wäre es demokratischer gewesen, über alle Änderungen einzeln und nicht im Paket abzustimmen, so dass sich tatsächlich ein differenziertes Stimmungsbild zu den unterschiedlichen Veränderungen ergeben hätte. Dennoch bleibt meine Kritik hier auch relativ. Eine Bevölkerung, die bisher noch nie über ihre Verfassung abgestimmt hat – und dies nicht einmal nach dem Zusammenschluss unterschiedlicher Systeme wie in Deutschland – sollte nicht kritisieren, was sie selber nicht gewillt ist einzulösen.

Mehr Inhalt über die geplanten Veränderungen würde auf jeden Fall die Diskussion versachlichen. Es würde auch dazu anregen, ob solche Abstimmungen bei uns in Deutschland möglich wären, und wenn nicht, was uns hindert, über solche Dinge eine eigene Meinung zu haben und diese ins politische Gewicht zu werfen.

HENNING LILGE, Bonn

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