Syrischer Bürgerkrieg: Brot aus dem Nichts
An einem kalten Februarmorgen im syrischen Bürgerkrieg ist der Kühlschrank unserer Autorin leer und der Backofen kaputt. Trotzdem bäckt sie Brot.

M eist erinnere ich mich an diesen Tag bei Familienfeiern. So auch beim letzten Opferfest, als wir die Verwandtschaft meines Mannes in Amuda, einer Stadt im Nordosten Syriens, besuchten. Wie üblich, bereiteten die Frauen der Familie „Hamis“, ein Festessen mit Lammfleisch, zu, für das unsere kurdische Region bekannt ist. Ich half meinen Schwägerinnen beim Kneten des Brotteigs, schaute auf das lodernde Feuer im Ofen und war augenblicklich zurück an jenem Morgen. Ich dachte an das Lachen meiner Kinder, an die Brotkrümel auf ihren Lippen, an den Hunger. Ich dachte zurück an den Tag, an dem ich lernte, wie man trotz Not der Verzweiflung widersteht.
Als der Bürgerkrieg Syrien zerriss, waren es nicht nur die Bombardements, die unser Leben veränderten, es war auch die bedrückende Leere, die danach einzog. Es war die Stille in den Küchen, in denen nicht mehr gekocht wurde, es waren die lautlosen Wasserhähne, die nicht mehr tropften, die dunklen Zimmer ohne Licht und die Regale, die – bis auf das Nötigste – leergeräumt waren. Es fehlte an Brot. Dieses Grundlebensmittel, von dem wir nie gedacht hätten, dass es je von unseren Tischen verschwinden könnte.
An einem kalten Morgen im Februar 2012, meine drei Kinder, das jüngste acht Jahre alt, machten sich gerade für die Schule fertig, öffnete ich den Kühlschrank und fand darin nur ein paar Oliven und einen kleinen Teller mit Joghurt. Mein Mann war gerade mit leeren Händen aus der Bäckerei – oder was davon übrig war – zurückgekommen. Die Bäckerei in unserem Viertel in der Stadt Al-Hasaka hatte wegen Mehlmangel geschlossen.
Avin Youssef ist eine kurdische Journalistin und Schriftstellerin aus Qamischli im Nordosten Syriens. Die Mutter von drei Kindern begann ihre journalistische Karriere 2015. Youssef beschäftigt sich mit Frauen- und Menschenrechtsfragen, engagiert sich als Umweltaktivistin sowie für die Dokumentation von Kriegsfolgen und deren Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Sie hat eine Reihe von Kurzgeschichten veröffentlicht. Derzeit ist sie eine von elf Teilnehmerinnen des Projekts „Her turn – Supporting Syrian female journalists“, das von der taz Panter Stiftung initiiert wurde.
Einen Moment lang saß ich regungslos da und starrte auf die leeren Töpfe in der Küche. Das war alles, was ich ihnen zu essen anbieten konnte. Ich fühlte mich hilflos, angesichts des Hungers meiner Kinder, doch fiel mir die kleine Tüte Mehl wieder ein, die ich noch hatte.
Ohne nachzudenken, holte ich eine Schüssel, schüttete das Mehl hinein, mischte es mit Wasser und Salz – nur nach Gefühl – und knetete es mit zitternden Händen. Wie sollte ich ohne Hefe, ohne Ofen und ohne Strom Brot backen?
Mein Mann beobachtete mich. Erstaunt fragte er, was ich da mache. Er wusste, dass ich nicht backen kann. Schließlich bin ich in Damaskus aufgewachsen und anders als die Frauen vom Land wissen Hauptstädterinnen eher selten, wie man Brot bäckt. Ich antwortete, während sich meine Augen mit Tränen füllten: „Ich werde backen!“.
Unser Elektroofen war vor Wochen bei einem Stromausfall kaputtgegangen. Ich ging in den Hof und sammelte einige Stöcke, die mein Mann vom Beschneiden der Weinreben im Garten aufbewahrt hatte. Sie waren feucht, also holte ich – weil ich nichts anderes fand – die alten Schulhefte meiner Kinder, die ich eigentlich, als Andenken aufbewahrt hatte, und machte ein Feuer. Ich fand auch eine rostige Metallplatte – Schrott, der in unserem Garten herumlag. Gemeinsam verwandelten mein Mann und ich das Stück Metall in eine provisorische Bratpfanne.
Nun versuchte ich, den Teig mit einem runden Holzstab auszurollen. Kaum hatte ich den ersten Teigfladen auf die heiße Metallplatte gelegt, verbrannte er. Der zweite Fladen klebte an der Platte fest, garte, aber blieb in der Mitte roh. Der dritte wurde sehr hart und zerbrach. Die ganze Arbeit war mühsam, der Backvorgang reine Glückssache. Mir kamen die Tränen. Ich schaute meine Kinder an, die mit leeren Mägen und hoffnungsvollen Augen um mich herumstanden, und sagte: „Das liegt am Rauch“, dann machte ich weiter.
Am 8. Dezember 2024 fiel das Regime des syrischen Langzeitmachthabers Baschar al-Assad. Wie lebt es sich heute in dem in weiten Teilen zerstörten Staat? Journalistinnen von Damaskus bis Qamishli erzählen von ihrem Alltag zwischen Trümmern und Träumen. ➝ zur Kolumne
Illustration: Hamed Eshrat
Schließlich sammelte ich einen kleinen Haufen gebackenen Teig zusammen, der kaum wie Brot aussah. Ich kochte Tee, stellte ihn neben den Teller mit Oliven und Joghurt und rief meine Kinder zum Frühstück. Ich schämte mich für die verkohlten Ränder und die seltsame Form der Stücke. Aber ihnen war das egal. Sie machten sich nicht lustig darüber, sie murrten auch nicht. Sie aßen mein Brot mit Appetit und verschlangen jedes Stück mit einer Freude, als hätte ich ihnen ein Festmahl zubereitet.
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich nicht nur Brot gebacken hatte. Ich hatte etwas aus dem Nichts geschaffen. Aus meiner Angst und der Sorge einer Mutter, die ihre Kinder inmitten des Krieges beschützen will.
Es war das erste Mal, dass ich Brot gebacken habe. Es war nicht perfekt, aber es war mein Brot. Und es hat uns geholfen, weiterzumachen. In einer Welt, die uns im Stich gelassen hatte, in einem Krieg, der alles zerstört hat, hat mir dieser Moment etwas zurückgegeben: das Gefühl von Verantwortung und das Wissen darüber, dass selbst im Überleben Würde steckt.
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