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Syrien nach dem Sturz von AssadEnde einer Ewigkeit

Gastkommentar von

Anita Starosta

Vor einem Jahr wurde in Syrien das Assad-Regime gestürzt. Um das Land zu einer Demokratie aufzubauen, ist nun auch die Zivilgesellschaft gefragt.

Menschen feiern den Jahrestag des Sturzes des Assad-Regimes auf dem Umayyad-Platz im Zentrum von Damaskus, am 8.12.2025 Foto: Moawia Atrash/dpa

V or einem Jahr überschlugen sich die Ereignisse in Zentralsyrien. Quasi über Nacht fiel die jahrzehntelange Assad-Dynastie wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Heute hält sich der Kriegsverbrecher Baschar al-Assad in Moskau auf, fern des Landes, das er und seine Familie in all diesen Jahren zugrunde gerichtet hatte. Trotz aller Ungewissheit, die die neue Ära unter dem sich an die Macht geputschten Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa und seiner HTS-Armee unweigerlich mit sich bringt, stand doch eines fest: Auch Ewigkeiten sind endlich!

Vorbei ist das Aushorchen, Drangsalieren und Verschwindenlassen durch den syrischen Gemeindienst, vorbei die Checkpoints des Regimes, die stets mehr mit Willkür statt Rechtsstaatlichkeit agiert haben. Vorbei auch das berüchtigte Foltergefängnis in Sednaya, dessen Türen aufgebrochen wurden und Tausende Inhaftierte endlich Jahre und teils Jahrzehnte der Dunkelheit hinter sich lassen konnten. Millionen Sy­re­r:in­nen feierten in den Straßen und auf den Plätzen einen neuen Anfang.

Bild: privat
Anita Starosta

ist Referentin für Syrien bei medico international. Sie bereist die Region regelmäßig und war 2022 zuletzt in Nordostsyrien, wo sie langjährige Projektpartner von medico besuchte, u.a. Nothelfer und Menschenrechtsaktivisten.

Möglich wurde so auch, dass wir als medico international erstmals unsere Part­ne­r:in­nen vom Syrian Center For Legal Studies and Research in Damaskus treffen konnten. Ganze zehn Jahre lang unterstützten wir sie da bereits, konnten aufgrund gemeinsamer strikter Sicherheitsvorkehrungen aber nur sehr eingeschränkt und über Dritte kommunizieren. Mit ihnen bewegte ich mich im Januar inmitten der kalten und nach Gewalt riechenden Wände von Sednaya. Die An­wäl­t:in­nen hatten zuvor unzählige Akten, Dokumente und Notizen aus dem Gefängnis gerettet, um so den nun wichtigen Aufklärungs- und Wahrheitsfindungsprozess zu garantieren. Es waren emotionale Momente für mich, diesen emblematischen Ort des Assad-Regimes zu betreten.

Syrien

Die über 50-jährige Gewaltherrschaft der Assad-Familie ist seit 2024 Geschichte. Baschar al-Assad ist nach Russland geflüchtet, nachdem Rebellen das Regime gestürzt haben. Derzeit amtiert die Übergangsregierung von HTS-Führer al-Scharaa.

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Seit 2011 engagiert sich medico international in Syrien – zunächst dort, wo der Aufstand gegen das Regime die staatlichen Strukturen verdrängt hatte und mit medizinischer Nothilfe für Menschen, die zwischen den Frontlinien überleben mussten. Später kamen in Idlib inoffizielle Schulen hinzu, getragen von dem Anspruch, trotz Krieg und Repression den Kontakt zu unbewaffneten zivilgesellschaftlichen Initiativen nicht abreißen zu lassen.

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Dort, wo das Regime keinen Zugriff hatte, ließ sich tatsächlich etwas bewegen. In Idlib etwa gründeten feministische Aktivistinnen ein Frauenhaus, im Nordosten entstand mit dem Aufbau der kurdisch geprägten Selbstverwaltung der Kurdische Rote Halbmond, der zu einer zentralen Gesundheitsorganisation für die Selbstverwaltung heranwuchs.

In Rojava, wie der syrische Nordosten auch genannt wird, mischte sich die Freude über den Sturz Assads von Beginn an mit Sorgen über die neuen Machtverhältnisse und die Zukunft der Selbstverwaltung. Schließlich wurden im Zuge des Vormarschs der Armee 100.000 Kur­d:in­nen aus dem Kanton Afrin von türkeinahen Milizen gewaltvoll vertrieben. Bis heute leben viele von ihnen unter unwürdigen Bedingungen in Notunterkünften – verzweifelt über die fehlende Perspektive.

Ein Jahr nach dem Sturz Assads steht Syrien vor immensen Herausforderungen

Während sich in vielen Teilen Syriens zivilgesellschaftliche Netzwerke bildeten, um ein freies Syrien von unten aufzubauen, bestätigten sich parallel Befürchtungen vor dem Einfluss islamistischer Milizen. Die HTS hat ihr Umfeld nicht vollständig unter Kontrolle oder ist zu eng mit ihm verbündet. Die Massaker an den Ala­wi­t:in­nen in Latakia im März, die Übergriffe auf die drusische Bevölkerung in Suweida im Juli und weitere Gewalt in anderen Städten zeigen die Fragilität der Lage.

Ein Jahr nach dem Sturz Assads steht Syrien vor immensen Herausforderungen. Die Übergangsregierung, belastet durch politische und wirtschaftliche Krisen, islamistischen Einfluss und eine fragmentierte Gesellschaft, zeigt bislang nur begrenzten Willen, eine echte Übergangsjustiz einzuleiten. Gewalt hält an, Täter bleiben überwiegend ungestraft, das Schicksal der Verschwundenen bleibt ungeklärt. International erfährt der einst auf einer Terrorliste stehende Ahmed al-Scharaa rege Anerkennung, allen voran von den autoritär regierten USA und weiteren westlichen Regierungen.

Um die in den Gebieten der Selbstverwaltung in den letzten zwölf Jahren erkämpften Rechte nicht zu verlieren, stehen Ver­tre­te­r:in­nen der Syrischen Demokratischen Kräfte von Beginn an in Verhandlungen mit der HTS. Es geht ihnen vor allem darum, Frauenrechte, kulturelle Rechte und eigene demokratische Institutionen zu sichern – als Teil eines inklusiven Syriens.

Gleichzeitig braucht es Raum für jene Stimmen, die umfassende Autonomieprojekte der Minderheiten ablehnen und sich für ein geeintes Syrien aussprechen. Gegenseitige Anerkennung und Respekt sind hierbei entscheidend. Die Zivilgesellschaft spielt dabei eine Schlüsselrolle – jene Menschen, die sich in den letzten Monaten in Damaskus, Homs, Aleppo oder Idlib solidarisch mit den Betroffenen der Gewalt zeigten, Hilfe organisierten und sich für ein plurales Syrien einsetzen.

Zum Jahrestag hält nun auch der langjährige medico-Partner Right Defense Initiative, eine kurdische Menschenrechtsorganisation aus Qamişlo, in Damaskus den Abschluss einer landesweiten Verständigung zwischen Stammesführern, arabischen Feministinnen, kurdischen NGOs, syrischen Institutionen und Re­gie­rungs­ver­tre­te­r:in­nen beider Seiten ab. Die Beharrlichkeit ihrer Hoffnung an einen gemeinsamen Versöhnungsprozess ist bewundernswert – und ist der Garant für die Gewährleistung eines neuen Syriens.

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