Syrien-Tagebuch Folge 9: „Alawiten verteidigen das Regime“
Das Regime von Präsident Baschar al-Assad schürt gezielt konfessionelle Spannungen. Das hat auch auch Auswirkungen auf die Armee.
![](https://taz.de/picture/53097/14/kafruna0663.jpeg)
Der 36-jährige Osama ist Alawit. Ende 2012 desertierte er aus der syrischen Armee und floh in den Libanon. Seinen richtigen Namen will er aus Angst um seine Familie in Syrien nicht nennen.
Als Alawiten haben sie mich auf Posten geschickt, wo ich andere kontrollieren musste und mehr Verantwortung trug. Sie dachten, ich würde Baschar al-Assad mit meinem Leben verteidigen. Aber für mich war das ein Problem.
Erst war ich beim Geheimdienst, dann haben sie mich auf einen sehr gefährlichen Posten versetzt. Ich war nicht in der Lage, zu töten und zu foltern und habe gefragt, warum sie mich versetzt haben. Da sagten sie: „Weil du Alawit bist. Diese Terroristen wollen deine Schwester und Mutter vergewaltigen.“ Man konnte mit ihnen nicht diskutieren. Die Generäle wissen genau, wie sie die Leute manipulieren und Hass unter den Religionsgruppen säen können.
Im Zweifel mit den Minderheiten
In meiner Einheit gab es Alawiten und Sunniten. In Versammlungen hieß es, Terroristen aus dem Ausland benutzten die Religion, um Syrien wegen Israel zu zerstören. War ein General nur mit Alawiten oder anderen Minderheiten zusammen, sagte er: „Ich vertraue diesen Sunniten nicht, ich vertraue nur dir – als Alawit, Christ, Druse.“
Alltag in Deir ez-Zor, Syrien
Sie haben dieses Spiel gespielt, um die Gesellschaft zu spalten, aber dadurch wurde auch die Armee von innen zerfressen. Die sunnitischen Soldaten sind weggelaufen. Am Ende verlieren sie auch die Alawiten, denn die müssen dort kämpfen, wo sie die anderen aus Misstrauen nicht mehr hinschicken können. In den alawitischen Dörfern trauern sie um viele junge Männer und langsam verstehen sie, was das Regime macht. Aber die Angst vor den Sunniten ist riesig.
Ich kenne alawitische Familien, deren Söhne am Anfang, als es nur friedliche Proteste gab, tot nach Hause kamen. Das waren Soldaten, die sich geweigert hatten, auf Demonstranten zu schießen und hingerichtet wurden. Die Armee brachte ihre Leichen mit einer Delegation und Staatsmedien im Schlepptau in die Dörfer und behauptete, sie seien von Terroristen getötet worden.
Kampf gegen das Regime, nicht gegen die Alawiten
Assad hat die Alawiten in Panik versetzt. In den Dörfern des Küstenhinterlandes gibt es keine Sunniten, die Menschen dort kennen keine persönlich und glauben den Horror, den das Regime erzählt. Sie denken, 17 Millionen Sunniten warten darauf, sie umzubringen.
Die Opposition hat leider verpasst, diesen Leuten zu erklären, dass sich ihr Kampf gegen das Assad-Regime richtet und nicht gegen sie als Alawiten. Selbst alawitische Oppositionelle haben sich geweigert, über Religion zu reden, weil sie keinen Konfessionalismus wollten. Dabei müssen wir darüber reden, um den Alawiten zu erklären, dass Assad sie nur benutzt, um an der Macht zu bleiben.
Das Regime tut so, als würden die Alawiten das Land kontrollieren, dabei sind sie das schwächste Glied. Sie machen zwei von 23 Millionen Syrern aus. Ich glaube, die Zahl der Sunniten, die heute noch zum Regime stehen, ist größer als die aller Alawiten zusammen. Wir können das Regime nicht als alawitisch bezeichnen, denn dann würde es eine Konfession verteidigen. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Die Konfession verteidigt das Regime.
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