Sven Hansen über Birmas designierten Präsidenten: Epochenwechsel mit Makel
In Birma hat am Dienstag ein historischer Epochenwechsel stattgefunden. Erstmals seit 1962 wurde von beiden Kammern des Parlaments ein Zivilist zum Präsidenten bestimmt. Htin Kyaw, der zum Monatsende das Amt antreten soll, gilt als integer. Ob er aber das Land weiter in die Demokratie führen und die großen Erwartungen der Bevölkerung erfüllen kann, hängt weniger von ihm ab als von Aung San Suu Kyi. Da sie laut der vom Militär geschriebenen Verfassung nicht Präsidentin sein darf, hat die bisherige Oppositionsführerin ihren Vertrauten Htin Kyaw wählen lassen. An seiner Loyalität zweifelt sie nicht. Ob er eigene Akzente setzen kann und überhaupt darf, bleibt offen.
Die Lady, wie sie in dem von den Militärs in Myanmar umbenannten Land genannt wird, hatte schon vor dem Erdrutschsieg ihrer Partei im November klargemacht, dass sie über dem Präsidenten stehen will. Das entspricht sicher dem Willen der Wähler, aber nicht der Verfassung. Deshalb hat der Epochenwechsel jetzt einen Makel. Ein problematischer Verfassungsartikel vereitelt den Wählerwillen, denn er verhindert, dass die populärste Politikerin Präsidentin wird. Diese wiederum hebelt die Verfassung mit ihrem Marionetten-Präsidenten aus. Das ist zwar nachvollziehbar, aber sehr fragwürdig für eine Politikerin, die versprochen hat, ihr Land zu einem Rechtsstaat zu machen.
Kein gutes Zeichen ist außerdem, dass Aung San Suu Kyi fast bis zuletzt offen ließ, wer ihre Marionette sein soll. Noch problematischer: Sie ließ auch große Bereiche ihrer Politik offen, etwa wie sie Frieden mit den ethnischen Minderheiten erreichen will.
Die Bevölkerung störte sich daran bisher wenig. Denn wie die Alternative aussähe, wurde wieder einmal klar, als das Militär jetzt einen Hardliner zum Vizepräsidenten kürte. Dagegen sind die Versprechen der Lady deutlich attraktiver, auch wenn sie manche Wähler enttäuschen dürfte.
Lieber einen Epochenwechsel mit Makel als keinen.
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